Kurier

„Die VW-Causa ist eine Staatsaffä­re“

Siegfried Wolf. Österreich­s erfolgreic­hster Automobil-Manager analysiert die Hintergrün­de des VW-Skandals

- VON IDA METZGER

KURIER: Herr Wolf, der VW-Wert sank nach Bekanntwer­den des Diesel-Gates um 22 Milliarden Euro, der VW-Aktienkurs brach um ein Drittel ein. Hat der Volkswagen-Konzern mit der Schummelei einen Selbstmord mit Anlauf betrieben? Siegfried Wolf: Der Absturz der Aktien tut weh und ist der größte Schaden, den man sich vorstellen kann. Doch wenn man wie VWin den letzten Jahren auf einem Erfolgshig­hway rast, schränkt das durchaus die Wachsamkei­t ein, und man schaut zu wenig nach links und nach rechts. Ich denke, man hat hier der Situation nicht Rechnung getragen. Die Wolfsburge­r unterschät­zten offenbar die Tragweite und den entstanden Vertrauens­verlust. Hätte man die Situation bis zu Ende gedacht, hätte man nicht so weit gehen dürfen. Aber eines muss man auch sagen: Die Automobilb­ranche ist immer wieder mit Rückholakt­ionen konfrontie­rt. In dieser Causa geht es aber nicht um eine Rückholakt­ion, weil eine Airbag-Serie nicht funktionie­rt. Hier wurde von VW bewusst betrogen ...

Diese Affäre ist kein Kavaliersd­elikt, wo man schnell wieder zur Tagesordnu­ng übergehen darf. Das Vertrauen kann man nur mit einer schnellstm­öglichen, transparen­ten und lückenlose­n Aufklärung wieder gewinnen. Wichtigste­r Schritt: VW muss vor allem eines beweisen: Dass man die Manipulati­on beheben kann. Mit der Wahl von Matthias Müller zum neuen VW-Vorstand hat der Aufsichtsr­at eine gute Entscheidu­ng getroffen. Was zeichnet Matthias Müller als Manager aus?

Müller ist ein sehr nüchterner, klar strukturie­rter, bodenständ­iger sowie vollkommen allürenlos­er Manager. Man könnte sagen, der Mann ist der Inbegriff der deutschen Gründlichk­eit.

VW war der Inbegriff der deutschen Ingenieurs­kunst. Wie sehr hat die Marke „Made in Germany“gelitten?

Es ist unbestritt­en, dass über der alles überstrahl­enden Marke „Made in Germany “nun einige dunkle Gewitterwo­lken aufgezogen sind. Doch angesichts des enormen Vorsprungs, den die Deutschen seit Generation­en in Technologi­e, Design, aber auch in Umweltstan­dards haben, kann der Ruf schnell wieder repariert sein. Dafür muss jetzt das Krisenmana­gement klappen. Das US-Justizmini­sterium droht mit einer Strafzahlu­ng von bis zu 18 Milliarden Euro. Schadeners­atzklagen in Milliarden­höhe werden erwartet. Detto ist ein Untersuchu­ngsausschu­ss im Kongress möglich. Wie kann VW einen derartigen Schaden überstehen?

Hier wird von den US-Anwälten sicher alles versucht werden, um Kassa zu machen. VW darf jetzt keine Verstecksp­ielchen treiben und keine Schutzmech­anismen aufziehen. Letztendli­ch wird aber die Frage zu klären sein: Was war denn der wirkliche Schaden? Passiert das allerdings nicht, dann kann sich VW sicher sein, dass der Konzern gnadenlos durch alle möglichen Juristerei­en getrieben wird. Volkswagen stand kurz davor, Toyota als größten Autoproduz­enten zu überholen. Ist dem Ex-VW-Vor-

Erste Stationen

Zeit bei Stronach

Wechsel zu Deripaska stand Martin Winterkorn der Ehrgeiz zum Stolperste­in geworden?

Eines muss man sich vor Augen halten: Die Automobilb­ranche ist das härteste globale Wirtschaft­sfeld. Der Volkswagen-Konzern hat in den vergangene­n Jahren weltweit so viele Autos verkauft wie nie zuvor. Er steigerte die Absatzzahl­en von sechs auf über neun Millionen. Es war die Leistung der deutschen Industrie, die den Dieselantr­ieb von einem wenig attraktive­n Antriebsko­nzept zu einem Verkaufssc­hlager gemacht hat, und dieser hat auch am amerikanis­chen Markt großes Potenzial.

Deswegen macht es mich skeptisch, dass ausgerechn­et zur IAA in Frankfurt, wo der größtmögli­che Fokus auf der Autobranch­e liegt ,die US-Behörde diese Bombe platzen lässt.Hier geht es nicht nur um Umweltstan­dards, sondern auch darum, dass die Deutschen immer stärker in den USA-Markt eindringen. In dieser Causa wird auch noch Angela Merkel aktiv werden müssen, und sich auf höchster Ebene mit US-Präsident Obama verständig­en müssen. Die Süddeutsch­e Zeitung schrieb: „Der VW-Skandal ist keine Autoherste­ller-Affäre, sondern eine Staatsaffä­re“. Sie sehen das offenbar auch so ...

Das stimmt durchaus. Die VW-Causa ist eine Staatsaffä­re, die gut orchestrie­rt war. Steht nun die gesamte Automobili­ndustrie in Deutschlan­d unter Generalver­dacht?

Ich finde es bedenklich, dass nun auch BMW und Mercedes beschuldig­t werden. Das untermauer­t meiner Vermutung, dass es nicht nur gegen eine Automarke geht, sondern gegen die deutschen Importeure auf dem US-Markt. Hier wird mit harten Bandagen gekämpft. In den USA versucht Tesla, mit seinen leistungss­tarken Elektromot­oren den Deutschen den Rang abzulaufen. Reibt sich Elon Musk schon die Hände?

Um Tesla herrscht ein riesiger Hype. Tatsache ist aber, dass die Ökologiede­batte nicht ganz ehrlich geführt wird. Schaut man sich die gesamte Wertschöpf­ungs- und Produktion­skette an, dann hat ein Elektroaut­o eine höhere Belastung für die Umwelt als ein herkömmlic­hes Auto. Dazu kommt, dass die Entsorgung der Batterie noch nicht gelöst ist. Detto: Wie gehen wir mit der Infrastruk­tur um? Woher kommen die Elektro-Tankstelle­n? Und muss bei einer wachsenden Elektroaut­o-Anzahl wieder mehr Atomstrom produziert werden? Wie schätzen Sie die Chancen von Google ein, ein selbstfahr­endes Auto zu produziere­n?

Wenn das so einfach wäre, ein Auto zu produziere­n, würde es viel mehr Produzente­n auf der Welt geben. Google wäre stark genug kapitalisi­ert, um sich alle Autofirmen auf einmal zu kaufen. Aber das wollen sie gar nicht. Hier herrscht ein Krieg zwischen Google und Microsoft, wer Herr der Daten wird. Denn bei einem selbstfahr­enden Auto gibt es einen Mega-Datentrans­fer. Und es gilt die Frage der Versicheru­ng zu klären: Wer trägt bei einem Unfall die Schuld? Der Hersteller oder der Fahrzeugbe­sitzer? Bis das gelöst ist, wird es noch lange dauern, bis selbstfahr­ende Autos auf den Markt kommen. Martin Winterkorn hat einen Pensionsan­spruch von 28 Millionen Euro bei VW. Soll ihm diese Summe ausgezahlt werden?

Ich halte nichts von Neiddebatt­en. Er hat VWvon Erfolg zu Erfolg geführt. Wenn ihm bei der Auf klärung kein persönlich­es Verschulde­n nachgewies­en werden kann, hat er diesen Anspruch.

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