„Haben etliche Lachkrämpfe gehabt“
Interview. Barbara Petrisch, Regina Fritsch und Stefanie Dvorak über Tabus, Kirchenskandale und Fäkalsprache
Sie sitzen am Küchentisch und kommentieren die Welt. Vulgär, besserwisserisch, radikal: Werner Schwabs „Präsidentinnen“. Barbara Petritsch (als Grete), Regina Fritsch (als Erna) und Stefanie Dvorak (als Mariedel) über einen wirklich heftigen Text. KURIER: Die verklemmte Erna, die ordinäre Grete, die kloputzende Mariedel: Beneiden Sie einander um diese Rollen? Regina Fritsch: Ich bin ursprünglich davon ausgegangen, dass ich eine andere Rolle, nämlich die Grete spiele! Barbara Petritsch: Weil die sexy Fritsch: Nein, ich weiß nicht warum ... die Grete wäre einfach mein spontaner Zugriff gewesen. Stefanie Dvorak: Ich find’, wir drei passen einfach so gut zusammen.
Na, wirklich! Das könnte gar nicht anderes sein! Dieser Text ist zunächst als unspielbar eingestuft worden. Können Sie sich vorstellen, warum? Fritsch: Ich war 1990 schon am Burgtheater, als dieser Text ins Haus kam. Ich hab’ das Stück gelesen und wollte es nicht spielen. Weil ich es schlichtweg nicht durchschaut habe. Es war auch zu arg. Zu heftig. Diese Komposition, diese Genialität, dieses Gesamtkunstwerk hab’ ich erst viel später verstanden. Petritsch: Heute ist diese Tabuverletzung nicht mehr gegeben. Wenn ich den Fernseher aufdrehe, hör’ ich solche Ausdrücke schon im Kinderkanal. Aber es hat trotzdem eine Wucht. Wie Schwab hin- ter die Fassade der Kleinbürger und deren Gedanken blickt. Dieses Stück ist ja nicht sehr alt ... hat sich in den letzten 25 Jahren so viel verändert? Dvorak: Ja, die ganzen Kirchenskandale sind erst in den letzten Jahren öffentlich geworden. Über vieles wurde nicht geredet. Solche tabuisierten Themen auf die Bühne zu stellen, war undenkbar. Ein Text wie dieser, im Staatstheater! Fritsch: Und hier kriegen ja alle ihr Fett ab. Vom Papst bis zum Bundespräsidenten. Und heute haben wir keine Tabus mehr? Fritsch: Doch, jede Gesellschaft hat ihre Tabus. Über sexuellen Missbrauch in der Kirche wird nun zwar endlich öffentlich geredet, aber die Aufarbeitung hat erst angefangen. Petritsch: Und die Sprache ist dreckiger geworden. Als ich jung war, ist ein Saal verstummt, wenn man „Scheiße“gesagt hat. Das Stück wirkt heute aber nach wie vor, nicht, weil die Fäkalsprache schockt, sondern weil die Figuren so treffend gezeichnet sind. Diese drei Schreckschrauben, die gibt es ja. Erst neulich hab’ ich wieder eine wie die Grete beim Heurigen gesehen. Fritsch: Schwab hat in meine Rolle, die Erna, biografische Züge seiner eigenen Mutter gelegt.Hier geht es auch um ein seelisches Missbrauchsthema. Diese verkorkste Mutter kann nur ein psychisch krankes Kind hervorbringen. Petritsch: Da sind sich unsere Rollen sehr ähnlich. Auch Gretes Kind kann nur kaputt sein, wenn es vom eigenen Vater missbraucht wird und die Mutter das deckt. Sehen Sie da eine österreichische Tradition? Von Haneke bis Seidl, um bei Zeitgenossen zu bleiben, gibt es eine Tendenz zum Finsteren, zum Hässlichen, zum Unter-die-Tuchent und in den Keller schauen. Dvorak: Also, wir haben in Österreich schon eine Tradition an Abgründen. Und an Kellern. Petritsch: Von Horváth über Artmann bis Jelinek ... österreicherisch dabei ist die Groteske. Wir sind uns einig: Diese Sprache vermag uns nicht mehr zu schockieren. Aber in anderen Belangen scheint unsere Gesellschaft auch reaktionärer geworden zu sein. Haben Sie insgesamt das Gefühl, dass wir weiter sind? Aufgeklärter? Dvorak: Das Nicht-Reflektieren der eigenen Taten ist nach wie vor sehr präsent. Fritsch: Nicht zuletzt durch das Internet sind die Zugänge zu Wissen und damit zur Möglichkeit von Aufklärung weit größer geworden. Die
Die „Präsidentinnen“ Frage ist nur, was wir mit diesem größeren Wissen wirklich anfangen. Petritsch: Ja, die Frage stellt sich, wenn ich mir die Plakate von der FPÖ ansehe … Können wir resümieren: Unsere Gesellschaft ist extremer geworden? Fritsch: Hermann Groer war mein Religionslehrer. Ein Mitschüler von mir hat sich umgebracht. Ein anderer Mitschüler hat die Missbrauchsfälle durch Groer an die Öffentlichkeit gebracht. Wir haben alle gewusst, auch die Erwachsenen: Irgendetwas stimmt mit dem nicht. Aber keiner hat etwas gesagt. Dass man sich als Kind artikuliert und auch gehört wird, das gab es früher fast nicht. Das heißt: Werner Schwab hat damals zur rechten Zeit den Finger in die Wunde gelegt. Fritsch: Ja, absolut. Was macht das Stück heute mit uns? Provoziert es noch? Fritsch: Ja, ich glaube schon. Diese Stupidität, dieser Glaube an Kalendersprüche, dieses Sich-Erheben und Besserals-die-Anderen-sein-Wollen! Es ist das immer gleiche rohe Gesellschaftsspiel, das Schwab hier deutlich zeigt. Petritsch: Ich glaube, in dieser Bigotterie erkennt sich so mancher wieder. Dvorak: Aber wahrscheinlich erkennen sich genau die nicht, die gemeint sind. Fritsch: Wenn man die Zeichnungen von Manfred Deix sieht, hält man sie für übertrieben. Im täglichen Leben begegnet man dann aber oft tatsächlich genau solchen Typen. Dvorak: Für die anderes Den- kende eine Bedrohung sind. Petritsch: Zurück zur Sprache: Ich erinnere mich, als ich vor Jahrzehnten Georg Groddecks „Das Buch vom Es“gelesen habe. Da fällt der Satz: „Der Mensch, das wandelnde Klo.“Ich dachte zunächst: Das ist ja zu blöd. Aber bei der ersten Darmspiegelung merkst du: Es ist ja so! Vorgänge, die jeder, wenn er Glück hat, täglich erledigt ... Fritsch: ... die sind allerdings schon noch immer ein Tabuthema. Das erinnert an Buñuels „Der diskrete Charme der Bourgeosie“, wo eine Gesellschaft gemeinsam aufs Klo geht und sich zum Essen diskret zurückzieht. Fritsch: Ich habe im Stück den Satz: „Ich habe ja auch oft einen großen, festen Stuhl“. Den bring’ ich nicht über die Lippen, ohne lachen zu müssen. Petritsch: Wir machen das ja absichtlich. Wenn der Dramaturg kommt, fragen wir ihn immer nach seinem Stuhlgang. Er ist jedes Mal sehr irritiert, obwohl er den Text kennt. Schwabs Texte wurde jahrelang abgelehnt, erst mit den Präsidentinnen ist er berühmt geworden. Können Sie sich erinnern an Ihre Anfangszeit? Wurden Sie auch oft abgelehnt? Dvorak: Das hört ja nie auf. Rollen, die man gerne spielen würde und nicht bekommt. Ablehnung ist Teil des Berufs. Scheitern und neu versuchen gehört dazu. Petritsch: Ich war immer sehr radikal. Wenn ich eine Rolle nicht gekriegt habe, bin ich einfach wo anders hingegangen. Ich hatte letztlich Glück. Fritsch: Mit reiner Ablehnung umzugehen ist dennoch schwierig. Es ist ganz natürlich, wenn man polarisiert. Aber in der Kritik: Ein Verriss ohne Differenzierung, das ist verletzend, weil es respektlos der eigenen Arbeit gegenüber ist, als hätte man sich keine Gedanken gemacht, nichts gewollt und nichts gewagt. Petritsch: Ich habe lang versucht, keine Kritiken zu lesen. Aber das klappt nicht. Man sieht es an den bestürzten Gesichtern der Umgebung. Wenn einer betroffen fragt, „Wie geht’s dir?“dann weiß ich schon alles! Glauben Sie, dass Burgtheaterbesucher von heute noch Schwierigkeiten mit diesem Stück haben könnten? Petritsch: Naja, zumindest ungewohnt ist es mir noch immer, mit dieser Direktheit Fäkalien anzusprechen. Wir haben beim Proben schon etliche Lachkrämpfe gehabt!