Der gute Hackler und der böse Dax
Kritik. „Der Marienthaler Dachs“am Wiener Volkstheater – gut gemeint, aber trotzdem daneben
Nicht einmal alle im Publikum anwesenden Arbeiterkämmerer haben bis zum Schluss durchgehalten, obwohl sie doch, laut Programmheft, Unterstützer dieses Stücks sind. Zu simpel ist das Welterklärungsmodell geraten, das Ulf Schmidt und Regisseur Volker Lösch sich hier ausgedacht haben. Hier die braven Hackler, dort der böse Börsen„Dachs“, dem sich die Politik unterordnet. Was gut gemeint war – und in der ersten Hälfte stellenweise launig als Weltwirtschafts-Revue inszeniert – artete in dumpfe Invektiven aus, artig vorgetragen von Sprechchören aus tatsächlich Arbeitslosen und Schauspielern. Böser Boulevard, böser Strache. Ja, eh, bloß: Wo ist hier das Theater? Streckenweise wähnte man sich in einem Projekt zur politischen Bildung eines ambitionierten Pflichtschul-Lehrers.
Soziale Auswirkungen
Die zum Klassiker der Sozialforschung gewordene, 1933 erstmals veröffentlichte Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“von Marie Jahoda, die die psychischen und sozialen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit untersuchte, ist die Basis, auf der Ulf Schmidt sein in Deutschland ausgezeichnetes Stück aufbaut. In Marienthal bei Gramatneusiedl gab es eine riesige Flachsspinnerei, eine der größten Textilfabriken der Monarchie, in der bis zu 1200 Arbeiter tätig waren. 1929 wurde die Fabrik stillgelegt, fast ein ganzer Ort wurde arbeitslos. Die Folgen zeigte Jahodas Studie: Apathie und Hoffnungslosigkeit.
Ulf Schmidt hat die Studie nun auf heutige Verhältnisse umgelegt. „Der Dachs von Marienthal“will die Zusammenhänge von Arbeits-, Wirtschafts- und Finanzwelt im Mikrokosmos eines fiktiven Marienthal offenlegen. Da ist Vater Staat, der kein Konzept hat, Mutter Konzern kommt mit der schwächelnden Wirtschaft nicht zu Rande und Tochter Gesellschaft (stark: Nadine Quittner) denkt nur an Konsum. Währenddessen bleibt der Kleine Mann auf der Strecke. Und alle huldigen sie dem „Dachs“, eigentlich „Dax“. Das ist stellenweise witzig, erschöpft sich aber schnell. Carola Reuthers Bühne, die wie eine große Manner-Fabrik aussieht, ist schön bunt, aber unlogisch: Gerade der Schnittenhersteller gehört nicht zu den bösen Multis. Am stärksten sind die Testimonials der Arbeitslosen selbst: Ihre Berichte gehen unter die Haut.