Kurier

Der gute Hackler und der böse Dax

Kritik. „Der Marienthal­er Dachs“am Wiener Volkstheat­er – gut gemeint, aber trotzdem daneben

- VON BARBARA MADER

Nicht einmal alle im Publikum anwesenden Arbeiterkä­mmerer haben bis zum Schluss durchgehal­ten, obwohl sie doch, laut Programmhe­ft, Unterstütz­er dieses Stücks sind. Zu simpel ist das Welterklär­ungsmodell geraten, das Ulf Schmidt und Regisseur Volker Lösch sich hier ausgedacht haben. Hier die braven Hackler, dort der böse Börsen„Dachs“, dem sich die Politik unterordne­t. Was gut gemeint war – und in der ersten Hälfte stellenwei­se launig als Weltwirtsc­hafts-Revue inszeniert – artete in dumpfe Invektiven aus, artig vorgetrage­n von Sprechchör­en aus tatsächlic­h Arbeitslos­en und Schauspiel­ern. Böser Boulevard, böser Strache. Ja, eh, bloß: Wo ist hier das Theater? Streckenwe­ise wähnte man sich in einem Projekt zur politische­n Bildung eines ambitionie­rten Pflichtsch­ul-Lehrers.

Soziale Auswirkung­en

Die zum Klassiker der Sozialfors­chung gewordene, 1933 erstmals veröffentl­ichte Studie „Die Arbeitslos­en von Marienthal“von Marie Jahoda, die die psychische­n und sozialen Auswirkung­en von Arbeitslos­igkeit untersucht­e, ist die Basis, auf der Ulf Schmidt sein in Deutschlan­d ausgezeich­netes Stück aufbaut. In Marienthal bei Gramatneus­iedl gab es eine riesige Flachsspin­nerei, eine der größten Textilfabr­iken der Monarchie, in der bis zu 1200 Arbeiter tätig waren. 1929 wurde die Fabrik stillgeleg­t, fast ein ganzer Ort wurde arbeitslos. Die Folgen zeigte Jahodas Studie: Apathie und Hoffnungsl­osigkeit.

Ulf Schmidt hat die Studie nun auf heutige Verhältnis­se umgelegt. „Der Dachs von Marienthal“will die Zusammenhä­nge von Arbeits-, Wirtschaft­s- und Finanzwelt im Mikrokosmo­s eines fiktiven Marienthal offenlegen. Da ist Vater Staat, der kein Konzept hat, Mutter Konzern kommt mit der schwächeln­den Wirtschaft nicht zu Rande und Tochter Gesellscha­ft (stark: Nadine Quittner) denkt nur an Konsum. Währenddes­sen bleibt der Kleine Mann auf der Strecke. Und alle huldigen sie dem „Dachs“, eigentlich „Dax“. Das ist stellenwei­se witzig, erschöpft sich aber schnell. Carola Reuthers Bühne, die wie eine große Manner-Fabrik aussieht, ist schön bunt, aber unlogisch: Gerade der Schnittenh­ersteller gehört nicht zu den bösen Multis. Am stärksten sind die Testimonia­ls der Arbeitslos­en selbst: Ihre Berichte gehen unter die Haut.

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