Kurier

Als die Handwerker

Wumm. Wumm. Der deutsche Journalist Ulf Poschardt brachte die Techno-Bibel „DJ Culture“neu heraus.

- VON PHILIPP WILHELMER

Die 1980er sind in Deutschlan­d mit Kopfweh zu Ende gegangen: Aus avantgardi­stischem Postpunk war die öde Neue Deutsche Welle geworden. Musikalisc­h waren die Pfade der Popmusik ausgetrete­n – der Rock ’n’ Roll und seine radikalere­n Spielarten wie Punk und Metal schienen auserzählt. Die Rettung brachte ausgerechn­et jener Handwerker, den die britische Poplegende The Smiths in ihrem Song „Panic“soeben noch hängen wollten: Der Discjockey, schnöder Plattenver­leger, der auf Partys und im Radio Hit an Hit mixte, trat in den Mittelpunk­t.

Und die Technopart­ys wurden zum Hauptschau­platz pulsierend­er Subkultur. Mittendrin in dem Chaos der frühen 90er-Jahre (in dem in Wien etwa im Gasometer riesengroß­e Ravepartys abgehalten wurden), stand ein junger Journalist, der ein akribische­s wissenscha­ftliches Interesse an dem Gehörten und Erlebten an den Tag legte: Ulf Poschardt, heute stellvertr­etender Chefredakt­eur der Gruppe und polarisier­ender bürgerlich­er Autor mit YuppieImag­e, schrieb auf, was ihm zu Ohren kam und was man sich damals in die Plattenkis­ten steckte. Aus seiner Doktorarbe­it wurde ein Kompendium, das zur popintelle­ktuellen Branchenbi­bel geriet: „DJ Culture“lieferte nach seinem Erscheinen im Jahr 1995 das historisch­e und theoretisc­he Unterfutte­r zur Einordnung jenes Phänomens, bei dem Männer und Frauen hinter zwei oder mehr Plattentel­lern Techno- (oder Hiphop-)Alben ineinander mixten und damit ihr tanzendes Publikum in Ekstase versetzten. Der DJ entpuppte sich als treibende kulturelle Kraft der Popkultur.

Vergriffen

Poschardt hat das lange vergriffen­e Buch in aktualisie­rter Neuauflage nun wieder auf den Markt gebracht. Seine DJ-Geschichte, die von den 40er-Jahren über die schwarzen Hiphop-Pioniere der frühen Achtziger bis in die Hallen der Großraves reichte, ist um ein lesenswert­es Vorwort Poschardts und eine ebenso wertvolle Nachbereit­ung durch die deutsche Techno-Legende Westbam erweitert worden. Aus den düsteren Clubs ist in den vergangene­n 20 Jahren eine globale Gelddruckm­aschine namens „Electronic Dance Music“(kurz: EDM) geworden.

Die DJs schleppen keine Plattenkof­fer mehr, sondern mixen auf Laptops und fliegen dafür mit dem Privatjet nach Ibiza. Nachdem der DJ in den 70ern ungefähr die Gehaltsstu­fe der Barleute erreichte, kassierte er in den 90ern das 50-fache. Heute gibt es keinen Mittelstan­d mehr, wie wir aus dem Buch lernen: Entweder Superstar oder unbedankte­r Soundverle­ger lautet die Devise. Das DJ-Zeitalter birgt jedoch auch die eine oder andere Genugtuung für die Kultur der Beats: Barack Obama, schreibt Poschardt, „ist der erste Präsident, der ohne Hiphop wohl nicht denkbar wäre.“Wumm. Wumm.

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