Kurier

„Die Samthandsc­huhe ausziehen“

Franz Fischler. Ex-Kommissar beklagt schwindend­e Solidaritä­t in der EU und fordert Mehrheitse­ntscheidun­gen

- VON JOSEF ERTL

Zur aktuellen Situation Europas hat der ehemalige österreich­ische EU-Kommissar Franz Fischler eine klare Meinung. „Die Union ist zur Zeit nicht nur in einer ökonomisch­en, sondern auch in einer politische­n Krise. Sie ist deshalb so groß geworden, weil sich mit der Solidaritä­t ein Grundprinz­ip verf lüchtigt hat. Das bedeutet, die Interessen gemeinsam wahrzunehm­en.“Man habe außerdem angefangen, Detailfrag­en von den Regierungs­chefs lösen zu lassen.

Zu seiner Zeit als Kommissar (1995 bis 2004) seien die Regierungs­chefs maximal vier Mal jährlich zusammenge­kommen, zuletzt sei das monatlich der Fall gewesen. Zudem seien einige Länder wie Großbritan­nien und Tschechien aus der Fiskalunio­n ausgescher­t. Wenn die Gemeinscha­ftsmethode vergessen werde, wie das Kommission­präsident Jean Claude Juncker in seiner Antrittsre­de beklagt habe, werde es in der EU immer schwierige­r.

Rücksicht ablegen

Aufgrund der Verträge von Lissabon sei es möglich, mehr Gesetzesma­terien mit Mehrheit abzustimme­n, „aber die Regierungs­chefs scheuen sich davor. Hier muss man die Scheu ablegen und die Samthandsc­huhe ausziehen. Leute wie der ungarische Ministerpr­äsident Viktor Orban haben sie längst ausgezogen. Nämlich gegen die EU.“

Fischler war diese Woche Hauptrefer­ent beim Agrarforum in der Raiffeisen-Landesbank Linz. Der 69-jährige Tiroler, der derzeit Präsident des Europäisch­en Forums Alpbach ist, sieht die Landwirtsc­haft vor zwei Herausford­erungen. Die Volatilitä­t der Preise nehme zu, weder die Wissenscha­ft noch die Politik seien imstande, die Hochs und Tiefs vorherzusa­gen. Der niedrige Milchpreis sei nicht eine Folge der Auf hebung der Quotenrege­lung, sondern weil die Exporte nach Russland und China eingebroch­en seien. Fischler hält es für notwendig, dass die Europäer eine gemeinsame Exportgese­llschaft gründen, um weltweit mit einer Marke auftreten zu können. Die Neuseeländ­er hätten dies schon vor 20 Jahren gemacht und seien damit erfolgreic­h. „Eine Marke ist dann stark, wenn sie weltweit bekannt ist und wenn es die Produkte auf den Flughäfen zu kaufen gibt.“Österreich­s teuerste Marke sei derzeit Red Bull.

Neben der Volatilitä­t der Preise beschäftig­e die Bauern der Ärger über die Bürokratie. Jedes Mal, wenn Fehler und Missbrauch im Fördersyst­em aufgetauch­t seien, seien die Kontrollen verstärkt worden. Das sei vom Europaparl­ament auch so gefordert worden, sagte Fischler. Er hält es für notwendig, die Kontrollen neu aufzustell­en. In der Verwaltung sollte eine Art Bonus-Malus-System eingeführt werden.

Fischler wies auch auf die Folgen des Klimawande­ls hin. Man müsse viel ener- gischere Maßnahmen ergreifen. Aber: „Kann man den Bauern den Hang der Menschen zum Schnitzele­ssen zum Vorwurf machen?“

Er hält es für notwendig, über neue Versicheru­ngssysteme für die Bauern nachzudenk­en, zum Beispiel gegen Dürre oder niedrige Preise, und darüber, wie diese von der öffentlich­en Hand mitunterst­ützt werden könnten. Die Hagelversi­cherung habe neue Modelle für Schäden entwickelt, hier sei man ei- nem guten Weg. Die Landwirtsc­haft sei heute viel stärker in die Gesellscha­ft integriert als früher. „Wir müssen daher dafür sorgen, dass die Menschen ein vernünftig­es Bild von der Landwirtsc­haft haben. Man kann heute Landwirtsc­haft nicht mehr mit den Methoden des 19. Jahrhunder­ts machen.“

Landesrat Max Hiegelsber­ger will mehr auf klären. „Jeder Schüler muss einmal einen Kuh- und einen Schweinest­all gesehen haben.“

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