„Die Samthandschuhe ausziehen“
Franz Fischler. Ex-Kommissar beklagt schwindende Solidarität in der EU und fordert Mehrheitsentscheidungen
Zur aktuellen Situation Europas hat der ehemalige österreichische EU-Kommissar Franz Fischler eine klare Meinung. „Die Union ist zur Zeit nicht nur in einer ökonomischen, sondern auch in einer politischen Krise. Sie ist deshalb so groß geworden, weil sich mit der Solidarität ein Grundprinzip verf lüchtigt hat. Das bedeutet, die Interessen gemeinsam wahrzunehmen.“Man habe außerdem angefangen, Detailfragen von den Regierungschefs lösen zu lassen.
Zu seiner Zeit als Kommissar (1995 bis 2004) seien die Regierungschefs maximal vier Mal jährlich zusammengekommen, zuletzt sei das monatlich der Fall gewesen. Zudem seien einige Länder wie Großbritannien und Tschechien aus der Fiskalunion ausgeschert. Wenn die Gemeinschaftsmethode vergessen werde, wie das Kommissionpräsident Jean Claude Juncker in seiner Antrittsrede beklagt habe, werde es in der EU immer schwieriger.
Rücksicht ablegen
Aufgrund der Verträge von Lissabon sei es möglich, mehr Gesetzesmaterien mit Mehrheit abzustimmen, „aber die Regierungschefs scheuen sich davor. Hier muss man die Scheu ablegen und die Samthandschuhe ausziehen. Leute wie der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban haben sie längst ausgezogen. Nämlich gegen die EU.“
Fischler war diese Woche Hauptreferent beim Agrarforum in der Raiffeisen-Landesbank Linz. Der 69-jährige Tiroler, der derzeit Präsident des Europäischen Forums Alpbach ist, sieht die Landwirtschaft vor zwei Herausforderungen. Die Volatilität der Preise nehme zu, weder die Wissenschaft noch die Politik seien imstande, die Hochs und Tiefs vorherzusagen. Der niedrige Milchpreis sei nicht eine Folge der Auf hebung der Quotenregelung, sondern weil die Exporte nach Russland und China eingebrochen seien. Fischler hält es für notwendig, dass die Europäer eine gemeinsame Exportgesellschaft gründen, um weltweit mit einer Marke auftreten zu können. Die Neuseeländer hätten dies schon vor 20 Jahren gemacht und seien damit erfolgreich. „Eine Marke ist dann stark, wenn sie weltweit bekannt ist und wenn es die Produkte auf den Flughäfen zu kaufen gibt.“Österreichs teuerste Marke sei derzeit Red Bull.
Neben der Volatilität der Preise beschäftige die Bauern der Ärger über die Bürokratie. Jedes Mal, wenn Fehler und Missbrauch im Fördersystem aufgetaucht seien, seien die Kontrollen verstärkt worden. Das sei vom Europaparlament auch so gefordert worden, sagte Fischler. Er hält es für notwendig, die Kontrollen neu aufzustellen. In der Verwaltung sollte eine Art Bonus-Malus-System eingeführt werden.
Fischler wies auch auf die Folgen des Klimawandels hin. Man müsse viel ener- gischere Maßnahmen ergreifen. Aber: „Kann man den Bauern den Hang der Menschen zum Schnitzelessen zum Vorwurf machen?“
Er hält es für notwendig, über neue Versicherungssysteme für die Bauern nachzudenken, zum Beispiel gegen Dürre oder niedrige Preise, und darüber, wie diese von der öffentlichen Hand mitunterstützt werden könnten. Die Hagelversicherung habe neue Modelle für Schäden entwickelt, hier sei man ei- nem guten Weg. Die Landwirtschaft sei heute viel stärker in die Gesellschaft integriert als früher. „Wir müssen daher dafür sorgen, dass die Menschen ein vernünftiges Bild von der Landwirtschaft haben. Man kann heute Landwirtschaft nicht mehr mit den Methoden des 19. Jahrhunderts machen.“
Landesrat Max Hiegelsberger will mehr auf klären. „Jeder Schüler muss einmal einen Kuh- und einen Schweinestall gesehen haben.“