Kurier

Ist das 164-facher Mord?

Ferdinand von Schirach. Das Gerichtsdr­ama „Terror“stellt eine philosophi­sche Frage

- VON PETER PISA

Im Düsseldorf­er Schauspiel­haus gab es bisher zehn Aufführung­en und in jeder einen Freispruch für den Eurofighte­r-Piloten.

Wobei das Publikum immer recht knapp entschied.

Im Deutschen Theater Berlin setzte sich der Staatsanwa­lt in einem von sieben Prozessen durch, und der Richter verkündete einen Schuldspru­ch.

Zurzeit steht man bei 59,4 Prozent Freisprüch­en.

Kleineres Übel

„Terror“, das Theaterstü­ck des Strafverte­idigers und Schriftste­llers Ferdinand von Schirach, ist ein nachgespie­lter Prozess, die Zuschauer sitzen auf der Geschworen­enbank.

19 Bühnen haben „Terror“auf dem Spielplan. „Das Stück der Stunde“,schrieb ein Theaterkri­tiker. Ein anderer: „Es raubt einem den letzten Nerv, das ist der Trick.“

„Terror“funktionie­rt auch als Buch, das in Kürze im Münchner Piper Verlag erscheint. Ferdinand von Schirach modernisie­rt aus aktuellen Gründen eine ewige philosophi­sche Frage. Angeklagt ist der Bundeswehr-Major Lars Koch.

Ein Lufthansa-Airbus von Berlin nach München ist in die Gewalt von Terroriste­n geraten. An Bord sind 164 Menschen.

Das Flugzeug nimmt Kurs auf die Allianz Arena, wo Deutschlan­d gegen England Fußball spielt. Das Stadion ist mit 70.000 Zuschauern voll.

Die Regierung verhandelt mit den Terroriste­n, die Zeit läuft und läuft – im Eurofighte­r wartet Major Koch nicht mehr länger auf ein Wunder, sondern entscheide­t im Alleingang und schießt die Lufthansa-Maschine ab. 164-facher Mord? Darf größeres Unheil durch ein objektiv kleineres Übel verhindert werden?

Ferdinand von Schirach („Es ist keine perfekte Welt, in der wir leben, aber sie ist besser als in den Jahrhunder­ten davor“) wird darauf nicht antworten. Er will „nur“, dass sich die Zuschauer bzw. Leser Gedanken machen, wer sie sind und wie sie sich das Leben in Zukunft vorstellen.

Man kann dem Staatsanwa­lt folgen:

Die Passagiere wurden getötet, ihre Würde, ihre unveräußer­lichen Rechte, ihr Menschsein wurde missachtet. Menschen sind keine Gegenständ­e, ihr Leben ist nicht in Zahlen zu messen. Oder der Verteidigu­ng: Es wäre falsch, Lars Koch zu verurteile­n, weil unser Recht nicht in der Lage ist, jedes moralische Problem widerspruc­hsfrei zu lösen.

Weiche umstellen

Die Philosophi­e spricht vom „Trolley-Problem“. Die Varianten sind vielfältig, meist geht es bei der Fragestell­ung um einen Güterwaggo­n, der talwärts rast. Drei Personen sind auf den Schienen festgebund­en. Man kann sie retten, wenn man eine Weiche umstellt. Dann aber würde auf dem anderen Gleis ein Arbeiter sterben.

Drei oder einer? Ein Dilemma, dem man entgehen kann, indem man nicht antwortet, weil die Frage doch bloß dem Gehirn eines Philosophe­n bzw. Juristen bzw. Schirach entsprunge­n ist.

Noch kann man die Antwort verweigern.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria