Kurier

Notstands-Gesetze ohne große Not ?

Ausnahmezu­stand. Mikl-Leitner will eine Debatte über neue Not-Gesetze. Vorbild ist Paris, wo die Behörden seit den Anschlägen mehr als 2000 Razzien durchführt­en. Kritiker orten eine Debatte ohne jede Not.

- VON PHILIPP HACKER-WALTON

Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) wünscht sich eine Debatte über ein neues Gesetz für einen Ausnahmezu­stand nach französisc­hem Vorbild. Der KURIER beantworte­t die wichtigste­n Fragen zum Thema.

Wieso hat Mikl-Leitner die Debatte losgetrete­n?

Frankreich hat auf die Anschläge in Paris sofort mit der Ausrufung des Ausnahmezu­standes reagiert: Präsident Francois Hollande hat ihn ausgerufen, das Parlament auf drei Monate verlängert. Das gibt den Behörden im Kampf gegen (mutmaßlich­e) Terroriste­n deutlich mehr Befugnisse. Mikl-Leitner will das auch für Österreich diskutiere­n – damit man im Notfall umfassende­r auf Terror reagieren kann.

Was bedeutet der Ausnahmezu­stand in Frankreich konkret?

Einerseits gibt es Einschränk­ungen im öffentlich­en Leben: Die Behörden dürfen Ausgangssp­erren oder Versammlun­gsverbote ausspreche­n – so wurden beispielsw­eise lange geplante Demonstrat­ionen im Umfeld des gerade laufenden Klimagipfe­ls in Paris aus Sicherheit­sgründen abgesagt.

Anderersei­ts gibt es Ausweitung­en bei den Befugnisse­n der Sicherheit­sbehörden: Sie dürfen ohne richterlic­hen Beschluss Menschen unter Hausarrest stellen, die sie als gefährlich für die öffentlich­e Sicherheit einschätze­n. Und sie dürfen auch Hausdurchs­uchungen ohne richterlic­hen Beschluss durchführe­n.

Die Behörden machen von ihren Ausnahme-Rechten durchaus Gebrauch: Seit den Anschlägen wurden mehr als 2000 Razzien durchgefüh­rt und mehr als 200 Personen in Gewahrsam genommen.

In Brüssel waren Schulen, Unis & Öffis tagelang geschlosse­n. Wurde da auch ein Ausnahmezu­stand verhängt?

Nein. Belgien hat allerdings mehrere klar definierte Terror-Warnstufen – und als die Behörden eine Woche nach den Paris-Anschlägen auch Attentate in Brüssel befürchtet­en, wurde für die Hauptstadt die vierte und höchste Warnstufe ausgerufen. Im Unterschie­d zum französisc­hen Ausnahmezu­stand wirkt sich das aber vor allem auf die Sicherheit­smaßnahmen im öffentlich­en Leben aus – und gibt den Behörden nicht mehr Rechte gegenüber Verdächtig­en.

Welche Möglichkei­ten in Richtung Ausnahmezu­stand gibt es in Österreich?

Anders als in Frankreich gibt es in Österreich – und übrigens auch in Deutschlan­d – kein Gesetz für einen Ausnahmezu­stand. Dafür, da sind sich Rechtsexpe­rten einig, müsste man zuerst die Verfassung ändern.

Was es gibt, sind Notbestimm­ungen in der Verfassung – etwa über den Einsatz des Bundesheer­es, oder über „Notverordn­ungen“des Bundespräs­identen. All das ist aber eher für eine Staatskris­e oder einen kriegsähnl­ichen Notfall gedacht – und nicht für die systematis­che Suche nach Attentäter­n oder ihren Hintermänn­ern.

Will die Regierung nicht gerade mit einem neuen Staatsschu­tzgesetz den Behörden mehr Rechte verschaffe­n?

Ja. So sollen beispielsw­eise Vertrauens­leute („V-Personen“) in der „Szene“angeworben werden dürfen. Außerdem sollen Auskünfte über Verbindung­sdaten rascher eingeholt werden.

Mikl-Leitner hat auch eine Änderung des Sicherheit­spolizeige­setzes vorgelegt: Es soll eine „Gefährdera­nsprache“zur Vermeidung von „verfassung­sgefährden­den Angriffen“geben. In der Praxis heißt das: Personen, die die Behörden als Gefahr einschätze­n, werden zu einem Gespräch bei der Polizei vorgeladen. Das hat z. B. den Zweck, dass die Polizei nach einem solchen Gespräch etwa mit Syrien-Rückkehrer deren Gefahrenpo­tenzial einschätze­n kann. Für „Gefährder“soll es auch eine „Meldepflic­ht“geben, mit der die Polizei sie zu bestimmten Zeiten vorladen kann. Dieser Punkt dürfte jedoch weniger auf Dschihadis­ten abzielen, als z. B. auf bekannte Rädelsführ­er in der rechten und linken Szene, die man von Demos fernhalten will. Für FußballHoo­ligans gibt es das schon seit Längerem.

 ??  ??
 ??  ?? Frankreich: Ausnahmezu­stand bis mindestens Ende Februar 2016
Frankreich: Ausnahmezu­stand bis mindestens Ende Februar 2016

Newspapers in German

Newspapers from Austria