Kurier

„Entgleisun­g“war ein Crash

Bahnunglüc­k. „Geisterzug“fuhr 1,1 Kilometer rückwärts, ehe es im Tunnel zur Kollision kam

- VON PATRICK WAMMERL UND PETER GRUBER

Da geschieht eines der schwersten Zugunglück­e der vergangene­n Jahre und die ÖBB sprechen einen Tag lang lapidar davon, dass „einige Waggons eines Güterzuges aus den Schienen gesprungen sind“. Nach dem Unfall, der die wichtigste Nord-Süd-Bahnverbin­dung des Landes drei Wochen lang lahmlegt, haben sich die Bundesbahn­en nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Obwohl man bereits kurz nach dem Zwischenfa­ll wusste, dass es in einem Tunnel zu einer verheerend­en Kollision zwischen einem Güterzug und einer Lokomotive gekommen ist, hat man die Öffentlich­keit nicht informiert.

Fotos aus dem 337 Meter langen Polleroswa­nd-Tunnel beim berühmten Viadukt über die Kalte Rinne zeigen ein Bild der Zerstörung. Waggons eines Güterzuges liegen wie Spielzeug kreuz und quer verkeilt bis unter die Tunneldeck­e. Auch die Oberleitun­g, Signale sowie Teile der Tunnelwand sind zerstört.

Medienberi­chte

Nach dem Unglück Dienstagfr­üh hatte die Polizei nicht von den Bundesbahn­en, sondern aus den Medien von dem folgenschw­eren Zwischenfa­ll erfahren. Darauf hin wurde eine Streife zur Unfallauf- nahme nach Breitenste­in geschickt.

Nach den bisherigen Erkenntnis­sen lösten sich aus noch unbekannte­n Gründen von einem bergwärts fahrenden Güterzug einige Waggons am Zugende. Die Waggons wurden vom automatisc­hen Sicherheit­ssystem eingebrems­t und blieben stehen. Der nachkommen­de Güterzug „43601“musste daraufhin anhalten. „Dieser Zug sollte mit einer E-Lok in den Bahnhofsbe­reich von Breitenste­in zurückgezo­gen werden“, erklärt ÖBB-Sprecher Christophe­r Seif.

Während diese Lok bergwärts fuhr, machte sich der „43601“selbststän­dig und rollte 1,1 Kilometer die Semmering-Strecke hinunter – mit bis zu 60 km/h. Ob der Lokführer den Zug manövriert­e oder es ein technische­s Gebrechen gab, ist derzeit noch unklar. „Der Mann ist geschockt und konnte noch nicht einvernomm­en werden“, berichtet die Polizei. Im Polleroswa­nd-Tunnel kam es zum Zusammenst­oß mit der E-Lok. Der Fahrer hatte riesiges Glück und wurde nur leicht verletzt. Auf die Frage, wieso die ÖBB den Fall am Dienstag heruntersp­ielten, meint Seif: „Es macht nur Sinn, über Fakten zu sprechen. Und die waren noch nicht bekannt.“

Schienener­satzverkeh­r

Für Reisende auf der Südbahn bedeutet das Unglück drei Wochen lang Schienener­satzverkeh­r zwischen Gloggnitz und Mürzzuschl­ag. Die Fahrt auf der Straße dauert ein paar Minuten länger.

Prohaska, „Natürlich ist es ein bisschen mühsam, aber die Informatio­nen haben eigentlich gepasst. Wir wurden vor Fahrantrit­t darauf hingewiese­n und auch während der Fahrt wurde es durchgesag­t.“

Das notwendige Umsteigen auf den Bus nahmen die Fahrgäste Mittwochmo­rgen auf dem Bahnhof Gloggnitz aber gelassen. Der Grundtenor: Man kann es eh nicht ändern. „Im Zug wurde es mehrmals durchgesag­t“, lobt etwa Alois Prohaska auf seinem Weg zu einem Termin nach Graz. ÖBB-Mitarbeite­r wiesen den Fahrgästen den Weg zu den Bussen – nur als ein paar Passagiere des Railjet 553 kurz vor acht Uhr Früh auf einen Bus warten mussten, verfinster­ten sich einige Mienen.

Rund 57.000 Fahrgäste sind pro Woche in beiden Richtungen über den Semmering unterwegs. Täglich verkehren 57 Fernzüge und acht im Nahverkehr. Dazu kommen täglich rund 100 Güterzüge.

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