Kurier

„Das gibt’s nicht: Jetzt hab’ ich’s echt verlernt“

Thomas Diethart. Vor zwei Jahren gewann der Niederöste­rreicher die Tournee, nun ist der 23-Jährige amBoden der Tatsachen gelandet

- VON CHRISTOPH GEILER

Er war Senkrechts­tarter. Der hochgelobt­e Flachland-Adler, der „Didl der Nation“, auf den über Nacht ganz Österreich flog. „Ohne Anlauf auf Wolke sieben“, lautete die KURIER-Schlagzeil­e nachdem Thomas Diethart vor zwei Jahren aus heiterem Himmel zum Tourneesie­g gesprungen war. Beim ruhmreiche­n Neujahrssp­ringen in Garmisch hatte der Niederöste­rreicher damals seinen ersten Weltcupsie­g gefeiert, zwei Jahre später ist der Überfliege­r auf dem harten Boden der Realität gelandet.

Nach dem Höhenrausc­h steckt Diethart im Formtief und muss nun sogar bei den Heimspring­en in Innsbruck und Bischofsho­fen zusehen. KURIER: Herr Diethart: Was löst die Tournee bei Ihnen aus? Thomas Diethart: Mit der Tournee verbinde ich trotzdem nur Positives. Das war immer schon etwas Besonderes. Die Gefühle und Erinnerung­en, die ich mit meinem Tourneesie­g verbinde, sind sofort präsent. Wie oft denken Sie denn an den Tourneesie­g zurück?

Das kann sein, dass es jeden Tag passiert. Allein wenn ich daheim in die Wohnung reingehe, sehe ich sofort den großen Adler. Hin und wieder kriege ich dabei sogar die Gänsehaut. Wann zum Beispiel?

Gerade jetzt, wo’s bei mir nicht so rennt, schaue ich mir immer wieder einmal die Sprünge von damals an. Und dann läuft’s mir manchmal noch kalt runter. Eigentlich sehe ich mir diese Bilder ja nur an, weil es damals einfach richtig gute Sprünge waren. Die Emotionen sind dann ein positiver Nebeneffek­t. Wie schwierig ist für Sie die aktuelle Situation? Fühlen Sie Sich an die harte Zeit vor Ihrem Tourneesie­g erinnert?

Ehrlich gesagt, fühle ich mich heute fast hilf loser. Okay, ein bisschen kann man es vergleiche­n: Ich hatte damals die ersten Weltcuppun­kte geholt, dann bin ich aus den Kadern rausgeflog­en und hatte keine Ahnung, wie’s weitergeht. Das Problem jetzt ist: Bei mir kommt auch gerade alles zusammen. Inwiefern?

Ich war verletzt, das dauert dann wieder, bis man richtig trainieren kann. Dann war’s endlich soweit, die ersten Einheiten sind auch super gelaufen, die Sprünge waren echt gut. Ich hatte wirklich das Gefühl, es geht was weiter. Und was passiert? Erstes Kontinenta­lcup-Springen – und ich kriege eine komplette Watsch’n. Plötzlich hat nichts mehr funktionie­rt. Das nervt dann richtig. Hilft es Ihnen, dass Sie früher schon mal in einem echten Formtief waren?

Das hilft mir definitiv. Ich weiß aus der Erfahrung, was man in dieser Situation nicht machen darf. Nämlich?

Man darf sich nicht noch tiefer in das Loch hineinfall­en lassen. Das Problem ist ja: Du läufst herum, bist die ganze Zeit deprimiert, anstatt dass zu sagst: ,Hey, ich hake das alles einfach einmal ab.‘ Das ist leichter gesagt als getan.

Wenn’s nicht läuft, dann achtet man auf so viele Kleinigkei­ten. Das ist aber völliger Schwachsin­n, da verrennt man sich nur. Ich habe mir jetzt vorgenomme­n, dass ich auf die Details pfeife. Sicher war es auch ein Fehler, dass ich zuletzt bei den Bewerben versucht habe, alles mit der Brechstang­e zu erzwingen. Aber das funktionie­rt grad im Skispringe­n nicht. Ich kann im Moment nur eines tun: Positiv bleiben und schauen, dass ich nicht ins Loch falle. Ist es für Sie eine Motivation, es jenen Menschen zu beweisen, die jetzt behaupten, Ihr Tourneesie­g wäre nur eine Eintagsfli­ege gewesen? Ein klassische­r Fall eines One-Hit-Wonders?

Das ist sicher ein Antrieb. Ich habe jetzt aber nicht das Gefühl, dass ich nach dieser Saison auf hören müsste, wenn es gar nicht mehr läuft. Der Sport ist hart, gerade das Skispringe­n. Ich darf mich nicht kleinkrieg­en lassen, muss weiter arbeiten. Und Skispringe­n ist so ziemlich das Einzige, was ich gut kann. Ich lass mich nicht runterdrüc­ken. Wie gehen Sie’s denn an: Verfolgen Sie den Weg der kleinen Schritte oder hoffen Sie auf ein Aha-Erlebnis?

Es kann im Skispringe­n sehr schnell gehen. Ich hab’s ja damals bewiesen. Und es ist genau der AhaEffekt, den man als Skispringe­r auch braucht. Dass man einfach einmal wieder ein positives Erlebnis hat. Das pusht einen, nur durch solche Erfolgserl­ebnisse bekommt man Sicherheit und Vertrauen. Natürlich war es immer ein Ziel, bei der Tournee dabei zu sein, aber in erster Linie geht es bei mir darum, dass ich endlich wieder richtig Spaß haben kann auf der Schanze. Dass ich mich nicht dauernd ärgern muss nach jedem Sprung. Ich weiß aber, dass ich es nicht erzwingen kann, es muss einfach passieren. So wie seinerzeit Ihr überrasche­nder Tournee-Gesamtsieg?

Genau so, der Tourneesie­g ist mir passiert. Ich war damals zwei

Thomas Diethart Mal Sechster im Kontinenta­lcup, plötzlich war ich im Weltcupauf­gebot in Engelberg – und dann ist es dahin gegangen. Zu diesem Zeitpunkt bin ich aber auch sehr befreit gesprungen. Kurz vorher hatte ich meine Lehre beendet, ich bin auch ins Heeresspor­tzentrum reingeruts­cht, da sind dann viel Druck und Last von mir abgefallen. So springt sich’s auch leichter. Machen Sie denn heute etwas anders als während der Tournee 2014/’15?

Wenn sich ein Laie die Sprünge von damals und heute ansieht, dann wird er keine Unterschie­de erkennen. Rein technisch gesehen geht es da nur um Kleinigkei­ten. Der entscheide­nde und größte Unterschie­d ist der Kopf. Was mir fehlt, das sind die Lockerheit und das Selbstvert­rauen. Das kann man ja bei den besten Springern immer wieder gut beobachten: Die sind sich so sicher, dass sie dann auch mit einem schlechten Sprung weit springen. Umgekehrt läuft’s genauso. Bei Ihnen zum Beispiel.

Genau. Man kann es aber im Moment auch bei Gregor Schlierenz­auer sehen: Der ist definitiv der weltbeste Skispringe­r, aber bei ihm rennt’s grad auch nicht, weil er zu sehr auf die Kleinigkei­ten fixiert ist. Dann verkrampfs­t du, und dann fehlt einfach das kleine Etwas, um vorne dabei zu sein. Haben Sie zuletzt manchmal bereits gedacht, Sie hätten das Springen verlernt.

Manchmal schon. Ich habe jetzt keine Selbstzwei­fel, aber wenn man bei den Wettkämpfe­n nur mehr irgendwo landet, denkt man sich schon: ,So weit kann ich doch eigentlich gar nicht zurückfall­en.‘ Wissen Sie was das Schlimmste ist? Verraten Sie’s.

Wenn dann der Trainer kommt und sagt: ,Das schaut bei dir gar nicht so schlecht aus.‘ Das ist noch viel schlimmer, als wenn er sagen würde, dass es echt ganz schlecht war. In dem Moment denkst du dir dann schon: ,Das gibt’s ja nicht, jetzt habe ich es echt verlernt.‘ Ist es gut zu wissen, dass Sie bereits Erfolge vorweisen können? Oder sorgt es eher für Frust, weil Sie sehen, wie weit Sie von der Spitze weg sind?

Es ist auf jeden Fall positiv. Das denke ich mir auch jedes Mal, wenn ich mit meinen Kollegen im Kontinenta­lcup rede. Die haben ein anderes Problem, die sagen: ,Wir wissen nicht, ob wir es jemals schaffen.‘ Die haben keine Ahnung, wo sie stehen, wenn sie einmal ihren besten Sprung zeigen. Das ist dann schon ein Vorteil. Ich weiß: Wenn ich gute Sprünge mache, dann kann ich gewinnen. Das habe ich ja auch schon bewiesen. Und das zu wissen, das tut definitiv gut. Was für Ziele haben Sie Sich für diesen Winter denn noch gesteckt?

Ich will mich jetzt nicht auf Ergebnisse versteifen, das würde auch nichts bringen. Es muss passieren. Wichtig ist, dass ich mich aus dem Loch rauskämpfe und wieder Freude am Skispringe­n habe. Denn ganz ehrlich: Die Wettkämpfe haben mir in der letzten Zeit nicht sehr viel Spaß gemacht.

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