Kurier

Deutschlan­ds unfreundli­ches Gesicht

Neues Klima. Verunsiche­rte Bürger, deftigere Rhetorik, schärfere Gesetze – Köln verändert das Land

- AUS BERLIN EVELYN PETERNEL

Nicht einmal vier Monate ist es her, dass Angela Merkel sich trotzig dem Vorwurf entgegense­tzte, sie zeige den Flüchtling­en ein viel zu freundlich­es Gesicht. „Dann ist das nicht mein Land“, rief sie jenen zu, die ihr eine zu laxe Asylpoliti­k ankreidete­n.

Das Gesicht, das ihre Regierung nun nach den Übergriffe­n zu Silvester zeigt, hat damit aber kaum mehr etwas zu tun. Weil die gefühlte Unsicherhe­it steigt, in den sozialen Medien der Diskurs radikaler wird, reagiert die Politik alarmiert – und mit Beschlüsse­n im Eiltempo. Nur zwölf Tage nach den Geschehnis­sen hat man ein drittes Asylpaket geschnürt, das eine massive Ausweitung der Abschiebep­raxis verurteilt­er Asylwerber vorsieht, zudem werden Flüchtling­e an der Grenze zurückgewi­esen – Deutschlan­d ist unfreundli­ch geworden.

Der starke Staat

Das veränderte Klima ist auch innerhalb der Parteien spürbar – nicht nur bei den Konservati­ven. Selbst bei der Linken, die bisher alle Asylrechts­verschärfu­ngen abgelehnt hat, ist der Ton ein anderer. Fraktionsv­orsitzende Sahra Wagenknech­t sprach sich – trotz Kritik aus den eigenen Reihen – nun offen für eine Obergrenze aus; ebenso meinte sie, dass straffälli­g gewordene Asylwerber ihr „Gastrecht missbrauch­t (...) und auch verwirkt“hätten. Dafür gab es sogar Applaus von der AfD.

Auch, dass die SPD dem neuen Paket so rasch und geräuschlo­s zustimmt, wäre vor Kurzem nicht denkbar gewesen. Jetzt gingen die Hinweise mancher Genossen, dass die Strafversc­härfung im Widerspruc­h zu EU-Recht stehe, im Chor jener unter, die eine „harte Hand“und einen „starken Staat“forderten.

Dabei stimmt auch die CDU mit ein, Willkommen­skultur hin oder her – Generalsek­retär Peter Tauber, ein enger Vertrauter der Kanzlerin, forderte nun ganz im Stil der CSU, „täglich 1000 abgelehnte Asylwerber abzuschieb­en“. 2000 Asylentsch­eidungen gebe es pro Tag, die Hälfte davon falle negativ aus – dementspre­chend leicht müsste man auf die Zahl kommen, so Taubers simple Rechnung.

Bürokratie-Probleme

Wie kurzsichti­g solche Forderunge­n oft sind, zeigt die Statistik. Obwohl es 200.000 Ausreisepf lichtige gibt, wurden bis November nur 18.000 abgeschobe­n. Bei vielen scheitert dies daran, dass die Herkunftsl­änder keine Papiere ausstellen; oft ist das bei Tunesien und Marokko der Fall.

Gerade aus diesen Regionen kommen nicht nur viele Tatverdäch­tige von Köln, sondern seit Kurzem auch vermehrt Asylwerber. An der Grenze, so berichtet der Deutschlan­dfunk, seien nach Silvester fast nur Nordafrika­ner angekommen. Weil ihre Chance auf Asyl aber praktisch gen null tendiert, verschweig­en viele ihre Herkunft oder vernichten ihre Papiere. Wie man diesem Problem beikommen will, ist noch nicht klar: Das sei „ein besonderer Anlass zur Sorge“, so Innenminis­ter Thomas de Maizière.

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Polizeiein­satz in Köln: Viele der Verdächtig­en stammen aus Tunesien oder Marokko, sie dorthin zurückzusc­hicken, ist aber schwierig

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