„Frauen lernen einmal zuzuschlagen“
Belästigungen. Nach Übergriffen werden Selbstverteidigungskurse gestürmt. Das Training ist intensiv, aber wirksam
„Die beste Selbstverteidigung ist, wenn ich mich nicht verteidigen muss“, sagt Egon Winter und blickt ernst in die rund 20köpfige Mädels-Runde. Es ist Dienstagabend, und die Frauen haben sich zum wöchentlichen Training für Fortgeschrittene des Vereins Goshindo Women Defence in Wien getroffen. Die Übergriffe in der Silvesternacht in Köln und Salzburg beschäftigen die Kursteilnehmerinnen. Wie man sie verhindern könne? „Man muss immer sein Gefahren-Radar einschalten“, sagt Winter, der bis zur Pension bei der Polizei gearbeitet hat. Ansonsten? Es gebe kein Patentrezept.
Nach Bekanntwerden der Vorfälle hat ein regelrechter Ansturm auf Selbstverteidigungskurse eingesetzt. Viele Vereine verzeichnen sprunghaft angestiegene Anmeldezahlen, sie überlegen zusätzliche Termine anzubieten. „Wobei sprunghaft ein Hilfsausdruck ist“, formuliert es Goshindo-Obmann und Präsident des Jiu Jitsu Verbands Österreich, Michael Takács. Vier der acht AnfängerKurse, die heuer von seinem Verein angeboten werden, sind bereits lange vor Beginn des ersten Trainings am9. Februar ausgebucht. „Normalerweise beginnen zwei Wochen vor dem Kurs die Anmeldungen“, meint er. Beim Mitbewerber S.A.M.I. – Self Defense and Martial Arts Institute – berichtet man von einem 50-prozentigem Anstieg bei Nachfragen zu Selbstverteidigungskursen.
Muskel lähmen
Die Frauen des Fortgeschrittenen-Trainings rund um Egon Winter haben sich mittlerweile paarweise zusammengefunden und üben Schlagtechniken. Hart krachen Schienbeine gegen schwarze Trainings-Polster auf Oberschenkelhöhe. Das soll die Muskeln lähmen. Da- nach steht das Training von Befreiungstechniken am Programm. Egal, ob im Würgegriff oder um die Taille. Nach einem Schockschlag lernen die Frauen, sich dank gezielter Bewegungen und Schläge loszureißen.
„Es ist aber nicht das Ziel hinzuschlagen, sondern abzuwehren“, erklärt Christine L. Ihr Training zeigt jedoch, dass sie es locker könnte. „Das Wichtigste ist, Gefahren zu erkennen. Sich in der leeren U-Bahn etwa neben den Notknopf zu stellen.“Das Radar einzuschalten. Das ist es auch, was Anfänger zu Beginn lernen. Wachsam sein. Erst dann geht es um Schläge und empfindliche Körperpartien wie Augen und Schritt.
Hemmschwelle
Indes ist Trainer Winter in einen Ganzkörper-Schutzanzug geschlüpft. Es steht das „BadMan-Training an“. Die Teilnehmerinnen können nun das Gelernte in einer Angriffs- und Verteidigungssituation üben. „Die Frauen lernen damit, wirklich einmal zuzuschlagen, obwohl sie immer hören, sie sollen das nicht“, erklärt Winter die Idee dahinter. Es gehe darum, Hemmungen abzubauen. „Die meisten Frauen, die Opfer werden, sind die, die sich nicht wehren oder schreien trauen.“
Für viele Frauen keine leichte Aufgabe. „Es hat nicht nur eine beim Bad-Man geweint und gesagt, ich kann das nicht“, erzählt Leonie-Carolina. Seit fünf Jahren besucht sie mit ihrer Mutter einen Selbstverteidigungskurs. Diese war als Mädchen überfallen worden, verfiel vor Schreck in eine Schockstarre und wollte ihrer TeenagerTochter die selbe Erfahrung ersparen. Leonie-Carolina legt für die Wirksamkeit von Selbstverteidigung ihre Hand ins Feuer. „Es hat mir einiges an Selbstsicherheit gebracht“. Allein das würden potenzielle Täter abschrecken. „Wenn Männer aufdringlich werden, sage ich: ‚Ich gebe zu bedenken, dass ich mich wehren kann’.“Das reiche. Tatsächlich kann die zierliche Frau die Angriffe von Trainer Winter locker abwehren. Denn Selbstverteidigung, klärt Winter auf, sei eine reine Kopfsache.
Die Übergriffe von Köln stellen die Trainer dennoch vor neue Herausforderungen. „Wir sind nun gefordert, Szenarien mitzuentwickeln. Bisher waren sexuelle Übergriffe in koordinierter Form hierzulande nicht üblich“, erklärt Goshindo-Obmann Takács. Zusätzlich überlege man, PfeffersprayTrainings anzubieten. Obwohl, wie Takács betont, diese nicht ausschließlich zur Verteidigung genutzt werden sollen.