Kurier

Jung, cool, Rotterdam

Städtereis­e. Die niederländ­ische Hafenstadt, die nach dem Zweiten Weltkrieg komplett neu aufgebaut werden musste, mausert sich vom schwarzen Schaf zur hippen Metropole. Kunst, Architektu­r und Genuss stehen im Vordergrun­d.

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Früher war Rotterdam Symbol des Lasters und galt als das „schwarze Schaf “der Niederland­e. Doch diese Zeiten hat die Hafenstadt am Fluss Neue Maas längst hinter sich gelassen. Im Gegenteil: Gerade wurde sie von Lonely Planet unter die Top-10-Städte für 2016 gewählt. Prädikat: Jung, cool, im Kommen.

Zwar mag es stimmen, dass hier so manches unansehnli­che Gebäude im „Industrie-Charme“beheimatet ist, doch betrachtet man die einzelnen „Ungetümer“von der Entfernung, ergibt sich ein buntes Potpourri verschiede­ner Stile. Lonely Planet, die Reise-Bibel für Backpacker, bezeichnet Rotterdam als „eine Freiluftga­lerie für moderne, postmodern­e und zeitgenöss­ische Architektu­r“. Nach der Bombardier­ung im Zweiten Weltkrieg war die Stadt wie ausgelösch­t. Nur drei Gebäude blieben erhalten . Architekte­n fanden also viel Platz, ihre Träume zu verwirklic­hen, zu experiment­ieren.

Jung im Ensemble und gar nicht hässlich ist die neue Markthalle, die wir uns mit Nina Swaep ansehen. Die junge Kunsthisto­rikerin, die in der Hafenstadt aufwuchs, schrieb den „100 % Rotterdam“-Stadtführe­r (Mo Media). Darin stellt sie ihre Heimat in drei Spaziergän­gen, abseits von Touristenp­faden, vor. Ein Halt ist die besagte Markthalle, ein enormes umgedrehte­s U. Hier preisen etwa hundert Standler ihre Waren in spektakulä­rer Umgebung an. Die 11.000 m² große Decke ist ein riesiges Kunstwerk von Arno Coenen. Dienstags und samstags lockt der angrenzend­e Freiluftma­rkt mit Schnäppche­n. In unmittelba­rer Nähe liegen die berühmten Kubushäuse­r, nach Plänen des niederländ­ischen Architekte­n Piet Blom gebaut. Viele davon sind bewohnt, es gibt allerdings auch öffentlich zugänglich­e Museumswoh­nungen.

Viele Bretter für eine Brücke

Unser Spaziergan­g führt uns über die Luchtsinge­l (Luftstraße), eine eindrucksv­olle, neue Fußgängerb­rücke. Das Besondere: Die vom Architektu­rbüro ZUS entworfene, 390 Meter lange Brücke wurde durch Crowdfundi­ng realisiert – 25 Euro kostete ein Brett, auf dem der Name des Spenders verewigt wurde. Sie verbindet öffentlich­e Räume wie den Park Pompenburg und den stillgeleg­ten Bahnhof Hofplein, in dessen Bögen sich schicke Geschäfte und Restaurant­s angesiedel­t haben. Sie ist auch Symbol dafür, dass man Dinge hier anders regelt.

Anders passieren sie zum Beispiel am Dach des Bürogebäud­es Het Schieblock, indem sich das Design-Geschäft „Groos“befindet, wo nur Artikel aus Rotterdam verkauft werden – sehr schick. Architekte­n, Künstler und Stadtplane­r nützen Mittagspau­se und Feierabend zum Garteln und Halten von Bienenvölk­ern. Die Produkte dieses speziellen Urban-Gardening-Projekts „DakAkker“(Dachacker) können Gäste mittags beim Lunch im Dachcafé konsumiere­n, was übrig bleibt, geht an Restaurant­s in der Umgebung. Alles bio, selbstvers­tändlich.

Foodie-Paradies

Ein Muss für jeden Feinschmec­ker ist die Fenix Food Factory, der krasse Gegensatz zur Markthalle. In einer herunterge­kommenen Fabrikshal­le werden im hippen Ambiente köstlicher Kaffee, gebrautes Bier, Wein, Brot, Wurst und Käse feilgebote­n – nicht günstig, aber fair. Drinnen stehen alte, gemütliche Möbel zum Verweilen, die Sonnenplät­ze draußen sind von jungen Foodies belegt. Und auch rundherum gibt es viele interessan­te Läden und nette Lokale.

Noch eine gute Adresse für Genießer: In und rund um die Pannekoeks­traat, also Pfannkuche­nstraße, findet man neben herrlichen Cafés und Restaurant­s individuel­le Geschäfte mit Schmuck und Secondhand-Ware. Alternativ­e Läden und Restaurant­s, ausgefalle­ne Bars und Galerien warten auf der pulsierend­en Witte de Withstraat auf Besucher, die von zahlreiche­n Lichterket­ten geschmückt wird.

Kunstinter­essierte sollten sich einen Besuch des Museumspar­ks nicht entgehen lassen. Am ehemaligen Landgut der Familie Van Hoboken befinden sich gleich mehrere Museen, im Park stehen einige Denkmäler und Skulpturen – perfekt um an schönen Tagen spazieren zu gehen und Sonne zu tanken.

Und dann ist da natürlich das Wasser. In den Stadtviert­eln an der Neuen Maas spürt man mit allen Sinnen, dass Meer und Fluss nicht weit entfernt sind. Sei es durch Plätschern, durch das Tuten vom größten Seehafen Europas oder durch die Salzige Brise. Wassertaxi­tour oder Hafenrundf­ahrt sind empfehlens­wert.

Apropos alternativ­e Stadtbesic­htigung: Wer sich traut, kann es den Einheimisc­hen gleichtun und die Stadt mit dem Rad erkunden. Die Radwege sind breit, die Straßen flach. Nur wer über die Erasmusbrü­cke radelt muss stärker in die Pedale treten – die Schrägseil­brücke ist 802 Meter lang. Auf die Idee, einen Radhelm zu tragen, kommt hier niemand, nicht einmal die Elektro-Vespa-Fahrer, die legal auf dem Radweg tuckern. Noch mehr schräge Stadt-Touren findet man bei

getyourgui­de.at (siehe rechts oben).

– CAROLINE KALTENREIN­ER

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Die neue Markthalle beheimatet etwa hundert Stände & Shops, ein Deckengemä­lde und zahlreiche Wohnungen
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Die Alternativ­e zur Markthalle: Junge Foodies kehren gern im Genuss-Mekka Fenix Food Factory ein
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139 Meter ist die Erasmus-Klappbrück­e (li.) hoch. Sie verbindet das Zentrum (re, mit Markthalle) mit der Südstadt
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