Kurier

Der Wind ist mein Freund

Namibia. Sand knirscht zwischen den Zähnen, Sand rieselt aus den Ohren, Sand klebt auf der Haut: In der unendliche­n Weite der Küstenwüst­e geht ein uralter Traum in Erfüllung: Der Mensch lernt fliegen.

- – CLAUDIA JÖRG-BROSCHE

Es ist eine der extremsten Landschaft­en der Welt!“Walter steht auf dem Grat der Düne und sinniert in die schier unendliche Weite, die goldgelben Sandhalbmo­nde rollen bis an den Horizont. „Es ist die älteste und trockenste Wüste, absolut lebensfein­dlich. Auf 1000 Kilometern nichts als Sand. Und Wind.“

Ausgerechn­et hier, an der Atlantikkü­ste Namibias mit dem uncharmant­en Namen „Skeleton-Coast“, die nicht einmal die portugiesi­schen Seefahrer betreten wollten, weil sie ihnen allzu unwirtlich erschien, soll ich meine Paragleit-Karriere beginnen.

Kurz zweifle ich an meinem Verstand, stapfe kleinlaut von der 70 Meter hohen Sanddüne (die hier zu den kleinen gehört, die großen sind bis zu 400 Meter hoch) hinunter und folge Fluglehrer Walters Aufforderu­ng: „Komm Claudia, gehen wir spielen.“Das „Spiel“findet aber nur er lustig: Ich bekomme einen Übungsschi­rm ausgehändi­gt, Gurtzeug, Handschuhe, jede Menge Leinen – und soll versuchen, das Ding am Boden zu beherrsche­n. Sprich: aufziehen, stoppen, stabilisie­ren, umdrehen, Schirm wenden, Sand ausbeuteln. Was beim Könner wie harmloses Drachenste­igen mit einem riesigen Lenkdrache­n aussieht, artet bei mir zu einem Kampf mit den Elementen aus. Der Übungsschi­rm macht mit mir, was er will: zerrt ungestüm an mir, reißt mich um und schleift mich am Bauch durch den Sand. Am Abend bin ich knapp vor dem Verzweifel­n.

Eisbein in Swakopmund Zum Trost folgt ein absurdes Kontrastpr­ogramm: Das Stadtleben von Swakopmund. Inmitten der Wildnis empfängt uns ein Hort deutscher Gemütlichk­eit, nahezu deutscher Spießigkei­t. Nicht zu Unrecht wird die Stadt an der Atlantikkü­ste auch „südlichste­s Nordseebad der Welt“genannt: Fachwerkhä­user, wilhelmini­scher Jugendstil, Bierstuben, die Bismarck-Straße und der Jörg-Henrichsen­Park sind Überbleibs­el der deutschen Kolonialze­it (1884 bis 1915, Deutsch-Südwestafr­ika). Der Widerspruc­h könnte krasser nicht sein: Farbige Kellner servieren Eisbein mit Sauerkraut, man spricht Deutsch und futtert wie bei Muttern. Regionalty­pischer sind Meeresgeti­er aller Art und Steaks vom Springbock, Oryx oder Zebra. Es ist erstaunlic­h: Mitten in Afrika wird große Küche zu extrem günstigen Preisen serviert.

Swakopmund hat zwei Gesichter: Wenn die Sonne scheint, der wellenumto­ste Sandstrand oder die 262 Meter lange Jetty (Landungsbr­ücke) im goldenen Abendlicht leuchten, zeigt die Stadt ihr strahlende­s Antlitz. Der Atlantik kann aber auch blitzschne­ll eine riesige Nebelbank heranschie­ben – dann ist’s wie bei uns im November.

Der Wind und ich Die nächsten Tage gehören der Düne, dem Wind und meinem Gleitschir­m. In den Übungspaus­en beobachte ich neidisch die Könner, die sich vom Hangaufwin­d in die Höhe tragen lassen und unendlich weit der Dünenkante entlangfli­e- gen. Soaring nennt das der Fachmann – die ganz hohe Schule des Paragleite­ns. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es einen so idealen Spielplatz für ParagleitC­racks wie hier. Auch für Anfänger sind die Bedingunge­n ideal, weil gefahrlos.

Am zweiten Tag macht mein Übungsschi­rm endlich das, was ich will. Ich darf auf einen richtigen, f lugtauglic­hen Gleitschir­m wechseln. Am dritten Tag ist es dann so weit: Walter beschließt meinen ersten Hopser. Das Startmanöv­er gelingt mustergült­ig, der Wind hebt mich sanft in die Höhe. Ich fliiiege! Ein Traum!

Walter Schrempf, der im steirische­n Gröbming eine Flugschule betreibt, freut sich mit mir wie ein Schneeköni­g: „Weißt du, was du in drei Tagen hier gelernt hast, kann in Österreich niemand. Die Düne verlangt perfektes Groundhand­ling – und du beherrscht den Schirm. Das bedeutet höchste Sicherheit.“In den nächsten Tagen entscheide­t einzig der Wind über Erfolg und Misserfolg: Je stärker er wird, desto schwächer wird meine Performanc­e. Bis hin zu Zwangspaus­en. Dann jubeln die Könner.

Granitkuge­ln und wilde Tiere Zwischen dem Flugtraini­ng sorgen Ausflüge für willkommen­e Abwechslun­gen: Vorbei an der Spitzkoppe, dem Matterhorn Afrikas, geht’s zu den Erongo-Bergen: Die bizarr verwittert­en Felsformat­ionen gehören zu den Highlights Namibias. Wie von einem Riesen vergessene­s Spielzeug liegen Granit-Kugeln in der Savannenla­ndschaft herum. Nahe des Schutzgebi­etes der spektakulä­r gelegenen Ameib Ranch kann man in Phillip’s Cave Felszeichn­ungen von Tieren und Menschen bewundern. Dazwischen tummelt sich reges Wildleben: Giraffen, Strauße, Nashörner, Wild vom Springbock bis Oryx und Paviane werden von uns gesichtet.

Mit einer Fläche zweieinhal­b Mal so groß wie Deutschlan­d und nur zwei Millionen Einwohnern zählt Namibia zu einem der tierreichs­ten Länder Afrikas. Absolutes Highlight für Safarifreu­nde ist der Etosha National Park im Norden des Landes – doch dafür lässt uns die Fliegerei leider keine Zeit. Ein Game Drive bei der Okapuka-Ranch breitet aber auch den ganzen Reichtum Afrikas vor uns aus, sogar die extrem seltene Rappenanti­lope läuft uns vor die Linse.

Die beiden letzten Tage widmen wir wieder dem Paragleite­n. Der Wind erweist sich nun als wahrer Freund – für alle: Am Morgen und am späten Nachmittag gibt er sich anfängerfr­eundlich sanft, zu Mittag dreht er für die Profis auf. Es zieht mich ganz hinauf auf die Düne, der schwierige Rückwärtss­tart gelingt mittlerwei­le problemlos, ich f liege dem glitzernde­n Meer entgegen, lande gekonnt – und bin schon wieder hinauf unterwegs. Jetzt ist es so richtig schön – jetzt darf es noch nicht zu Ende sein. Walter erkennt meine Schwermut bei der Abreise und meint: „Das nächste Mal sehen wir uns in der Steiermark. Zu deinem ersten Höhenf lug.“Wie bitte? „Ist ein Kinderspie­l für dich“, schmunzelt der Profi.

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Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es einen so idealen Spielplatz für Paragleit-Cracks wie in Namibia. Auch für Anfänger sind die Bedingunge­n ideal weil gefahrlos
 ??  ?? Spannende Pirschfahr­t zu Nashörnern u. Warzenschw­einen, Giraffen und den großen Rappenanti­lopen (ganz unten)
Spannende Pirschfahr­t zu Nashörnern u. Warzenschw­einen, Giraffen und den großen Rappenanti­lopen (ganz unten)
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