Der Wind ist mein Freund
Namibia. Sand knirscht zwischen den Zähnen, Sand rieselt aus den Ohren, Sand klebt auf der Haut: In der unendlichen Weite der Küstenwüste geht ein uralter Traum in Erfüllung: Der Mensch lernt fliegen.
Es ist eine der extremsten Landschaften der Welt!“Walter steht auf dem Grat der Düne und sinniert in die schier unendliche Weite, die goldgelben Sandhalbmonde rollen bis an den Horizont. „Es ist die älteste und trockenste Wüste, absolut lebensfeindlich. Auf 1000 Kilometern nichts als Sand. Und Wind.“
Ausgerechnet hier, an der Atlantikküste Namibias mit dem uncharmanten Namen „Skeleton-Coast“, die nicht einmal die portugiesischen Seefahrer betreten wollten, weil sie ihnen allzu unwirtlich erschien, soll ich meine Paragleit-Karriere beginnen.
Kurz zweifle ich an meinem Verstand, stapfe kleinlaut von der 70 Meter hohen Sanddüne (die hier zu den kleinen gehört, die großen sind bis zu 400 Meter hoch) hinunter und folge Fluglehrer Walters Aufforderung: „Komm Claudia, gehen wir spielen.“Das „Spiel“findet aber nur er lustig: Ich bekomme einen Übungsschirm ausgehändigt, Gurtzeug, Handschuhe, jede Menge Leinen – und soll versuchen, das Ding am Boden zu beherrschen. Sprich: aufziehen, stoppen, stabilisieren, umdrehen, Schirm wenden, Sand ausbeuteln. Was beim Könner wie harmloses Drachensteigen mit einem riesigen Lenkdrachen aussieht, artet bei mir zu einem Kampf mit den Elementen aus. Der Übungsschirm macht mit mir, was er will: zerrt ungestüm an mir, reißt mich um und schleift mich am Bauch durch den Sand. Am Abend bin ich knapp vor dem Verzweifeln.
Eisbein in Swakopmund Zum Trost folgt ein absurdes Kontrastprogramm: Das Stadtleben von Swakopmund. Inmitten der Wildnis empfängt uns ein Hort deutscher Gemütlichkeit, nahezu deutscher Spießigkeit. Nicht zu Unrecht wird die Stadt an der Atlantikküste auch „südlichstes Nordseebad der Welt“genannt: Fachwerkhäuser, wilhelminischer Jugendstil, Bierstuben, die Bismarck-Straße und der Jörg-HenrichsenPark sind Überbleibsel der deutschen Kolonialzeit (1884 bis 1915, Deutsch-Südwestafrika). Der Widerspruch könnte krasser nicht sein: Farbige Kellner servieren Eisbein mit Sauerkraut, man spricht Deutsch und futtert wie bei Muttern. Regionaltypischer sind Meeresgetier aller Art und Steaks vom Springbock, Oryx oder Zebra. Es ist erstaunlich: Mitten in Afrika wird große Küche zu extrem günstigen Preisen serviert.
Swakopmund hat zwei Gesichter: Wenn die Sonne scheint, der wellenumtoste Sandstrand oder die 262 Meter lange Jetty (Landungsbrücke) im goldenen Abendlicht leuchten, zeigt die Stadt ihr strahlendes Antlitz. Der Atlantik kann aber auch blitzschnell eine riesige Nebelbank heranschieben – dann ist’s wie bei uns im November.
Der Wind und ich Die nächsten Tage gehören der Düne, dem Wind und meinem Gleitschirm. In den Übungspausen beobachte ich neidisch die Könner, die sich vom Hangaufwind in die Höhe tragen lassen und unendlich weit der Dünenkante entlangflie- gen. Soaring nennt das der Fachmann – die ganz hohe Schule des Paragleitens. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es einen so idealen Spielplatz für ParagleitCracks wie hier. Auch für Anfänger sind die Bedingungen ideal, weil gefahrlos.
Am zweiten Tag macht mein Übungsschirm endlich das, was ich will. Ich darf auf einen richtigen, f lugtauglichen Gleitschirm wechseln. Am dritten Tag ist es dann so weit: Walter beschließt meinen ersten Hopser. Das Startmanöver gelingt mustergültig, der Wind hebt mich sanft in die Höhe. Ich fliiiege! Ein Traum!
Walter Schrempf, der im steirischen Gröbming eine Flugschule betreibt, freut sich mit mir wie ein Schneekönig: „Weißt du, was du in drei Tagen hier gelernt hast, kann in Österreich niemand. Die Düne verlangt perfektes Groundhandling – und du beherrscht den Schirm. Das bedeutet höchste Sicherheit.“In den nächsten Tagen entscheidet einzig der Wind über Erfolg und Misserfolg: Je stärker er wird, desto schwächer wird meine Performance. Bis hin zu Zwangspausen. Dann jubeln die Könner.
Granitkugeln und wilde Tiere Zwischen dem Flugtraining sorgen Ausflüge für willkommene Abwechslungen: Vorbei an der Spitzkoppe, dem Matterhorn Afrikas, geht’s zu den Erongo-Bergen: Die bizarr verwitterten Felsformationen gehören zu den Highlights Namibias. Wie von einem Riesen vergessenes Spielzeug liegen Granit-Kugeln in der Savannenlandschaft herum. Nahe des Schutzgebietes der spektakulär gelegenen Ameib Ranch kann man in Phillip’s Cave Felszeichnungen von Tieren und Menschen bewundern. Dazwischen tummelt sich reges Wildleben: Giraffen, Strauße, Nashörner, Wild vom Springbock bis Oryx und Paviane werden von uns gesichtet.
Mit einer Fläche zweieinhalb Mal so groß wie Deutschland und nur zwei Millionen Einwohnern zählt Namibia zu einem der tierreichsten Länder Afrikas. Absolutes Highlight für Safarifreunde ist der Etosha National Park im Norden des Landes – doch dafür lässt uns die Fliegerei leider keine Zeit. Ein Game Drive bei der Okapuka-Ranch breitet aber auch den ganzen Reichtum Afrikas vor uns aus, sogar die extrem seltene Rappenantilope läuft uns vor die Linse.
Die beiden letzten Tage widmen wir wieder dem Paragleiten. Der Wind erweist sich nun als wahrer Freund – für alle: Am Morgen und am späten Nachmittag gibt er sich anfängerfreundlich sanft, zu Mittag dreht er für die Profis auf. Es zieht mich ganz hinauf auf die Düne, der schwierige Rückwärtsstart gelingt mittlerweile problemlos, ich f liege dem glitzernden Meer entgegen, lande gekonnt – und bin schon wieder hinauf unterwegs. Jetzt ist es so richtig schön – jetzt darf es noch nicht zu Ende sein. Walter erkennt meine Schwermut bei der Abreise und meint: „Das nächste Mal sehen wir uns in der Steiermark. Zu deinem ersten Höhenf lug.“Wie bitte? „Ist ein Kinderspiel für dich“, schmunzelt der Profi.