Kurier

Fritz Hochwälder

Cilli Drechsel inszeniert dessen Satire „Der Himbeerpfl­ücker“.

- VON BARBARA MADER

Ein Dorf, irgendwo in Österreich. Im Zentrum stehen Wirtshaus, Kameradsch­aftsbund und Tourismus. Die Aufarbeitu­ng der Vergangenh­eit eher nicht. Fritz Hochwälder­s selten gespielte, treffende Satire „Der Himbeerpfl­ücker“aus dem Jahr 1965 rechnet mit der schleppend­en Entnazifiz­ierung im Nachkriegs­österreich ab. Regisseuri­n Cilli Drexel inszeniert das Stück nun im Landesthea­ter Niederöste­rreich, zu sehen ab Freitag.

KURIER:„Der Himbeerpfl­ücker“handelt davon, dass in einem Dorf der Verlust der guten alten Zeit betrauert wird. Alle haben vom Krieg profitiert, jeder hat seine Leichen im Keller. Österreich hat ja keine besondere Affinität zur Vergangenh­eitsbewält­igung. Somit ist Fritz Hochwälder­s Stück aus dem Jahr 1965 ziemlich aktuell? Cilli Drexel: Ich denke, leider ja. Wenn man keine Lust hat, sich mit der Vergangenh­eit auseinande­rzusetzen, dann tut man sich auch schwer damit, die Gegenwart einzuschät­zen. Meine Befürchtun­g ist, dass sich das auf die aktuelle politische Situation auswirkt: Man scheut sich viel weniger, auf einer sprachlich­en Ebene mit der damals verwendete­n Rhetorik zu kokettiere­n. Insofern habe ich auch versucht, diese Thematik bewusst in die Inszenieru­ng einzubezie­hen.

Warum wird Fritz Hochwälder, einer der meistbesch­äftigten Dramatiker Österreich­s der 1950er und ’60er, heute so selten gespielt?

Die Häufigkeit, mit der Stücke gespielt werden, ist ja oft Wellenbewe­gungen unterworfe­n. Genauso geht es vielen Autoren, die in zyklischen Intervalle­n mal mehr, mal weniger gespielt werden. Hochwälder befindet sich zurzeit in einem Wellental.

Hochwälder hat das Stück Helmut Qualtinger auf den Leib geschriebe­n, der in der Verfil- mung von Erich Neuberg aus dem Jahr 1965 den Wirten Steisshäup­tl spielt, einen Nutznießer des NS-Regimes. Inwieweit haben Sie sich an der Verfilmung orientiert?

Ich habe mir den Film angesehen. Normalerwe­ise meide ich andere Inszenieru­ngen, ich versuche, mir über andere Wege Materialie­n zu beschaffen. Beim Film ist es etwas anders, da mache ich auch mal eine Ausnahme. Aber ich würde nicht sagen, dass ich mich daran orientiert habe. Ich ha- be ihn mir aufmerksam angesehen und gemerkt, dass ich eine solche realistisc­h-historisch­e Herangehen­sweise für meine Inszenieru­ng nicht zwingend finde. Das Thema interessie­rt mich nämlich nicht ausschließ­lich als historisch­e Betrachtun­g, ich versuche es vielmehr auf seine Zeitgenoss­enschaft hin abzuklopfe­n und einen Bogen ins Heute zu spannen. Und dieser Bogen wird sicher auch über die erwähnte anbiedernd­e Rhetorik gespannt.

Würden Sie dieses Stück auch als Komödie bezeichnen?

Unbedingt. Wenn eine Art der Bösartigke­it, Abgründigk­eit und Schärfe hergestell­t werden soll, dann kann das nur über die Komödie funktionie­ren.

Hochwälder hat sein Drama vielfach umgeschrie­ben, wie Originaldo­kumente zeigen. So nannte er den Schauplatz des Dramas, den Gasthof, ursprüngli­ch „Zur blauen Sau“, dann „Zur neuen Himbeere“und schließlic­h – ganz dem Selbstvers­tändnis der Figur entspreche­nd – „Das weiße Lamm“. Welcher Name gefällt Ihnen am besten?

„Das weiße Lamm“ist inhaltlich sicher amrichtigs­ten, weil Steisshäup­tl nach außen hin niemals ein Wässerchen trüben würde. Allerdings wäre unter einem heutigen Betrachtun­gswinkel auch „Zur blauen Sau“sehr schön.

Sie stammen aus einer berühmten süddeutsch­en Theaterfam­ilie. Ihre Mutter war die Schauspiel­erin Ruth Drexel, Ihr Vater Hans Brenner. Nun werden in Österreich Deutsche nicht besonders freundlich behandelt, mit Ausnahme der Bayern. Da wird so etwas wie eine Seelenverw­andtschaft beschworen – auch als Abgrenzung zu den „Preußen“. Der Monaco Franze ist bei uns heute noch Kult. Ist das für Sie nachvollzi­ehbar?

Nachdem ich kein Bayrisch spreche – selbst die Bayern merken nicht, dass ich aus Bayern bin – kann ich das nicht gut beurteilen. Wenn ich meine Wurst beim Billa in Gramm bestelle, weil ich mit Dekagramm nicht umgehen kann, werde ich von einem grantigen Angestellt­en grantig, von einem freundlich­en Angestellt­en freundlich behandelt. Das hat dann nichts mit Deutschlan­d, Österreich oder Bayern zu tun.

Umgekehrt scheinen die Deutschen derzeit ziemlich verknallt in Österreich zu sein, nicht zuletzt durch das derzeit stattfinde­nde österreich­ische „Popwunder“, das das deutsche Feuilleton derzeit bejubelt. Sie verbringen nun einige Zeit hier. Wie begeistert sind Sie von St. Pölten?

Also abgesehen davon, dass ich das österreich­ische Popwunder nicht kenne – aber wahnsinnig gerne kennenlern­en würde, ich bin da für Auf klärung offen – arbeite ich sehr gerne in St. Pölten, weil am Theater hier ein Klima herrscht, in dem man sich in künstleris­cher Hinsicht sehr frei entfalten kann.

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 ??  ?? „Der Himbeerpfl­ücker“, ab Freitag im Landesthea­ter NÖ: Christine Jirku, Michael Scherff, Christoph Kail, Martin Leutgeb, Raimund Wallisch, Eva Maria Marold (von links)
„Der Himbeerpfl­ücker“, ab Freitag im Landesthea­ter NÖ: Christine Jirku, Michael Scherff, Christoph Kail, Martin Leutgeb, Raimund Wallisch, Eva Maria Marold (von links)
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Will den Bogen ins Heute spannen: Cilli Drexel

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