Wie Europa sich selbst betrügt und damit mehr als den guten Ruf zu verlieren hat
Abgasskandal. Warum nicht nur VW rasch reagieren muss. Was Kunden erwartet. Die Chancen des Diesel
Mehrere Monate sind seit dem Platzen des VW-Skandals vergangen. Die US-Behörden haben ihre Klagspläne bekannt gegeben. VW-Chef Matthias Müller hat sich im Zuge der Detroit Auto Show (siehe Seite 2) offiziell entschuldigt. Einiges weiß man nun genauer, vieles ist noch immer im Unklaren, darunter die genauen Rahmenbedingungen für die geplanten zwei neuenPrüfzyk lenin der EU, WLTP und RDE (siehe Zusatzartikel), obwohl sie bereits 2017, also in einem Jahr, in Kraft treten sollen.
2016 jedoch brachte dem Umweltbundesamt bereits eine überraschende Neuigkeit: Trotz mehrwöchiger intensiver Messungen auf dem Rollenprüfstand und im Realbetrieb mit einem der betroffenen Euro5-VWModelle „konnten wir die Defeat Device( Ab schalt automatik) von VW nicht detektieren“, so Günther Lichtblau, Umweltbundesamt, über das Ergebnis der TU Graz. Sie ist neben einem französischen offenbar das einzige Institut in der EU, das seit dem VWSkandal Autos nach der Norm und auf der Straße misst.
Das VW-Modell (1, 6 l TDI) zeigt laut Lichtblau weder im Normzyklustest noch im Straßenbetrieb große Auffälligkeiten gegenüber anderen Modellen. Es schafft wie die anderen im Prüfzyklus die Limits, erfüllt somit das Gesetz, und überschreitet diese im Realbetrieb um ein Vielfaches, was in der EU nicht verboten ist. Lichtblau erklärt sich das durch die Laschheit der Euro5-Abgasnorm (galt bis 31. 8. 2015) und die ausgeklügelte Betriebs strategie von VW, die ohne Hilfe des Konzerns im europäischen Testbetrieb nur mit äußerstem Aufwand zu entdecken ist. Aber jetzt geht es für die Tester ohnehin vor allem darum, zu prüfen, ob die von VW geplanten Maßnahmen reichen sowie wie gut die neuen Euro6-Normen eingehalten werden (Pflicht seit 1. 9. 2015).
Eines scheint den Prüfern aber klar: Der Manipulationsaufwand war keineswegs für die laschen EU-Vorgaben nötig. In den USA dagegen sind nicht nur die Grenzwerte für Diesel viel schärfer, sie müssen auch über viel längere Zeit eingehalten werden. Hier die wichtigsten Fragen:
Warum ist der oft höhere reale Abgasausstoß von Pkw in Europa ein Problem, wenn die gesetzlichen Abgasnormen (NEFZ) selbst von manipulierten VW-Mo-
dellen eingehalten werden?
In der EU gibt’s neben den Abgasnormen auch LuftgüteGrenzwerte (Immissionen) plus Höchstgrenzen für den Gesamtausstoß gewisser Schadstoffe pro Staat. Die Luftgütekriterien können von jedem eingeklagt werden. Heißt: Die Politiker der betroffenen Regionen müssen Maßnahmen ergreifen. Je größer der Schadstoffausstoß (Emissionen) und somit je schlechter die Luftgüte, desto schärfer müssen die politischen Maßnahmen ausfallen (Tempolimits, Fahrverbote etc.). Werden die EU-Vorgaben dennoch nicht erfüllt, folgen Strafzahlungen. Aktuell geht’s um Stickoxide, das Partikelprob- lem ist in neuen Diesel-Pkw seit dem Rußfilter gelöst.
Sind nicht alle Betrüger? Fast alle Pkw haben real viel höhere Abgasemissionen als laut EU-Norm?
Bisher wurden nur VW-Konzern-Modellen gesetzwidrige Manipulationen in den USA nachgewiesen und von VW bestätigt. Den anderen Herstellern konnten bisher keine Betrügereien nachgewiesen werden. Auch nicht in Europa. Dass sie die laschen Vorgaben der EU mehr oder weniger in ihrem Sinne nutzen, ist kein Vergehen.
Sind Altfahrzeuge besonders schlecht?
Die meisten Euro5-Pkw, die noch kein eigenes Entstickungssystem eingebaut haben, sind laut Messungen des Umweltbundesamtes punkto Stickoxidausstoß nicht besser als Euro1oder Euro2-Pkw, wenn außerhalb des Normtests gewisse Maßnahmen (z. B. Abgasrückführung) gestoppt werden.
Warum sind EU-Abgasnormen so lasch?
In Europa setzte die Massenmotorisierung erst viel später ein als in den USA und somit der Druck zur Schadstoffreduktion bei Autos. Dazu kommt exzellentes Lobbying einiger Hersteller und der Fakt, dass neue Prüfzyklen viel Zeit und Geld kosten. Allein über die Definition einer typischen europäischen Fahrweise, die ein Grundkriterium für den künftigen RDE ist, wird seit Monaten in der EU gestritten.
Werden durch die neuen Prüfzyklen WLTP und RDE die bisherigen Machenschaften der Autohersteller unmöglich?
Nein, aber die Werte werden realitätsnäher. Wichtig ist, dass die Tests reproduzierbar sind, da ist beim RDE noch viel zu tun.
Wäre es besser, nur mehr reale Abgasausstöße zu messen?
Nein. Rollenprüfstandtests sind gerade für Verbrauchsmessungen sehr sinnvoll.
Ist der Diesel tot?
Laut Lichtblau, Umweltbundesamt, „gibt’s keinen Grund, den Diesel zu verteufeln, wenn man ihn sauber macht.“Für den US-Markt ist der Zug aber wohl abgefahren. Ein Imageschaden droht auch in Asien.
Bleibt der Diesel trotz des künftig höheren Abgas nachbehandlung s aufwands nochleistb ar?
Es gibt laut Lichtblau „die Möglichkeit, den Diesel kostengünstig sauber zu machen.“
Wird das Ziel von 95 g/km CO2 obsolet? Umso mehr, als durch den neuen WLTP-Zyklus der Verbrauch um 10 % steigen soll?
Das Ziel ist nicht obsolet. Zudem steigt mit dem WLTP-Zyklus nicht bei allen Autos der Verbrauch. Je stärker die Rolle des Diesel als CO2-Reduzierer sinkt, desto höher muss der Beitrag der E-Mobilität werden.
Ist Europas Autoindustrie mit dem Diesel in der Sackgasse?
Nur, wenn sie nichts tut, so Lichtblau: „Wir in Europa haben den Vorteil, dass wir das können:“Den Diesel sauber und leistbar zu machen, aber auch das CO2Ziel zu erfüllen. „Für die Hersteller ist es 5 vor 12“, so ein Insider.