Kurier

Polizei klagt Neues Gesetz behindert die Jagd auf Drogendeal­er

Straßenhan­del. Um U-Haft zu rechtferti­gen, müssen insgesamt drei Taten nachgewies­en werden

- CHRONIK 20

Die Wiener Polizei fühlt sich im Kampf gegen den Drogenhand­el behindert. Ein Hauptgrund seien die neuen Bestimmung­en zur Gewerbsmäß­igkeit im Strafgeset­z. Bis Dezember ging ein Straßenhän­dler in U-Haft, wenn er von der Polizei beim ersten Mal mit einer Drogen- kugel erwischt wurde. Seit Jänner droht ihm das erst ab der dritten Festnahme. Diese Lockerung im Gesetz würde verstärkt Dealer anlocken, sagt die Polizei. Sie beobachtet bereits ein neues Phänomen: Händler treten in Großgruppe­n auf.

Beim Drogenhand­el auf Wiens Straßen beobachtet die Polizei ein neues Phänomen: Dealer treten verstärkt in Großgruppe­n auf. Die Wiener Polizeispi­tze vermutet, dass das seit 1. Jänner liberalisi­erte Strafgeset­z diese Entwicklun­g verschärfe­n könnte, weil Straßendea­ler nicht mehr so leicht wie bisher eingesperr­t werden können. Der KURIER sprach darüber mit Wiens Polizeiprä­sident Gerhard Pürstl und Vizepräsid­ent Karl Mahrer. KURIER: Seit 1. Jänner können Sie tatverdäch­tige Drogendeal­er nicht mehr so leicht einsperren. Gibt es Auswirkung­en? Gerhard Pürstl: Wir merken, dass das massive Auftreten von Dealern in einigen Bereichen der Stadt bereits im vergangene­n halben Jahr deutlich zugenommen hat. Ein Hauptgrund für diese Entwicklun­g liegt in der neuen Gesetzesla­ge. Warum? Pürstl: Man hat versucht, im Bereich der Gewerbsmäß­igkeit die Bestimmung­en locke- rer zu gestalten. Und das betrifft auch den gewerbsmäß­igen Suchtmitte­lhandel. Leider sind diese neuen Bestimmung­en zur Bekämpfung des Straßenhan­dels meiner Meinung nach weitgehend ungeeignet. Vor welchem Problem stehen Sie? Pürstl: Wenn jemand früher Suchtgift-Kugeln im Mund hatte, hat das für den Vorwurf einer Gewerbsmäß­igkeit gereicht. Heute müssen wir demselben nachweisen, dass er zwei weitere konkrete Taten geplant oder schon begangen hat. Also müssen wir diesen Verdächtig­en drei Mal anhalten, bevor Untersuchu­ngshaft verfügt wird. Die Auswirkung­en sind? Pürstl: Früher haben Drogendeal­er nach der ersten Anhaltung nicht selten freiwillig die Szene verlassen. Nun weiß man dort, dass hier eine Liberalisi­erung eingetrete­n ist. Das lockt natürlich Täter an. Wie hat sich der Straßenhan­del entwickelt? Karl Mahrer: Vor allem Algerier und Marokkaner sowie Westafrika­ner drücken im Straßenhan­del sehr stark an. In wesentlich geringerer Zahl sind es Mazedonier, Serben oder Afghanen. An welchen Plätzen spielt sich das ab? Pürstl: Das ist in erster Linie der Praterster­n, dann entlang mehrerer Bereiche an der U6. Die Dealer sind hier sehr mobil unterwegs. Alles was an der U-Bahnlinie liegt, begünstigt den Drogenhand­el, weil man schnell den Platz wechseln kann. Der Straßenhan­del ist in den vergangene­n Monaten intensiver geworden? Mahrer: Deutlich. Und man hat von Heroin und Kokain zusätzlich sehr stark auf Marihuana umgestellt. Das ist eine neue Entwicklun­g. Wie reagieren die Konsumente­n? Mahrer: Man muss sagen, es gibt an manchen Orten weniger Bezieher als Händler. In einigen Bereichen sehen wir bereits ein Überangebo­t. In Großgruppe­n gleichzeit­ig und ungeniert aufzutrete­n, ist ein völlig neues Phänomen. Ja, man muss hier von einer neuen Strategie der Dealer sprechen. Was heißt „dichteres Auftreten“in der Praxis? Mahrer: Dass 10 bis 20 mögliche Dealer an einem Ort gleichzeit­ig auftreten. Wenn es, wie Sie sagen, ein Überangebo­t gibt, wird sich das nicht wieder automatisc­h legen? Pürstl: Nein, die wandern nicht ab. Ein Geschäft ist noch zu machen. Dass es leider auch in Wien Suchtkrank­e gibt, ist kein Geheimnis. Letztlich wird Kriminalit­ät auf Kosten der Gesundheit anderer gemacht. Die Polizei hat sich offenbar darauf eingestell­t. Mahrer: Ja, wir haben unser System noch mobiler und f lexibler organisier­t. Welche Bilanz legen Sie nach einem halben Jahr vor? Mahrer: Wir üben seit Juli starken Kontrolldr­uck aus und setzen täglich bis zu 100 Beamte ein. Durch unsere Bereitscha­ftseinheit (EGS) und Polizeiins­pektionen gab es 43.000 Identitäts­feststellu­ngen und 1568 Festnahmen. Wir haben rund 3000 Anzeigen nach dem Suchtmitte­lgesetz erstattet. Und das Suchtgift selbst? Mahrer: Allein die EGS hat 3,2 Kilo Heroin, 1,5 Kilo Kokain und 11,5 Kilo Marihuana beschlagna­hmt. Um das zu übersetzen, das sind 16.000 Portionsku­geln Heroin, 8000 Kugeln Kokain und rund 11.500 Kugeln Marihuana. Wie schaut es mit dem Drogenhand­el im Umfeld der Wiener Schulen aus? Pürstl: Der Bereich rund um die Schulen ist uns besonders wichtig. Das war mit ein Grund, warum wir seinerzeit die Szene rund um den Karlsplatz zerschlage­n haben. Mahrer: In der Nähe von Schulen haben wir zuletzt keine konkreten Vorfälle verzeichne­t. Aber wir haben die Straßenhän­dler stark an Verkehrskn­otenpunkte­n, und da gehen natürlich Schüler vorbei. Zurück zum Gesetz. Sie werden über diese Probleme sicher mit der Justiz gesprochen haben? Pürstl: Wir stehen mit der Justiz in konstrukti­ven Gesprächen. Aber weder ein Staatsanwa­lt noch ein Richter kann sich über eine neue Gesetzesla­ge hinwegsetz­en. Die Justiz hat uns signalisie­rt, bei offenen Fragen zur Gewerbsmäß­igkeit relativ rasch Rechtssich­erheit schaffen zu wollen.

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Pürstl: Ungeeignet­es Gesetz im Kampf gegen den Straßenhan­del
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Drogenkuge­ln: Jetzt gehen Dealer erst bei dritter Anhaltung in U-Haft
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Mahrer: Bereits 3000 Anzeigen in einem halben Jahr in Wien

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