Kurier

Der Musterschü­ler und seine Rückschläg­e

Fünfter Jahrestag. Tunesien schaffte als einziges Land des Arabischen Frühlings den Übergang – und steckt tief in der Krise

- – KAROLINE KRAUSE-SANDNER

Auf der Avenue Habib Bourguiba hängen die roten Fähnchen mit dem Halbmond und dem Stern. Luftballon­s mit dem selben Aufdruck werden zu Dutzenden verkauft. TShirts, Schlüssela­nhänger, Stirnbände­r, Tücher. Autos sind damit verziert, Fenster, Geschäfte.

Am 14. Jänner 2011, genau vor fünf Jahren, war der autokratis­ch herrschend­e Präsident Ben Ali – samt seiner verhassten Frau Laila Trabelsi – ins saudische Exil geflohen. Wochenlang­e Proteste und der drohende Sturm des Präsidente­npalastes hatten ihn dazu gebracht, sein Amt zu verlassen und um sein Leben zu laufen.

Die Proteste hatten begonnen, als sich am 17. Dezember der junge Gemüsehänd­ler Mohamed Bouazizi in der kleinen Stadt Sidi Bouzid im Landesinne­ren vor der Polizeista- tion selbst anzündete – er starb ein paar Tage später. Bouazizi hatte gegen Umstände demonstrie­rt, die junge Tunesier jahrelang frustriert­en: Die Behördenwi­llkür, Perspektiv­enlosigkei­t der Jugend, die soziale und regionale Ungleichhe­it (Gelder gingen meist an die Küstenregi­onen, selten an die bedürftige­n Regionen im Landesinne­ren).

Demokratis­cher Prozess

Durch den Sturz Ben Alis erreichte die starke tunesische Zivilgesel­lschaft, die in der mächtigen Gewerkscha­ft UGTT ein starkes Standbein hat, tatsächlic­h den friedliche­n Übergang zur Demokratie. Ein Übergangsp­arla- ment wurde gewählt, 2014 eine Verfassung ausgearbei­tet, die – trotz Mehrheit der konservati­v-islamische­n Ennadha-Partei – keinen Verweis auf die Sharia beinhaltet. Danach wurden Parlament und Präsident gewählt. Seit Februar ist die neue Regierung im Amt, die von der liberalen Partei Nidaa Tounes geführt wird. Sie koaliert mit der Ennahdha. Zumindest auf den ersten Blick scheint politische Vielfalt heute, im Gegensatz zu der Zeit Ben Alis, möglich.

Doch fünf Jahre später geht es den unterentwi­ckelten Regionen kaum besser. In Sidi Bouzid blieb der wirtschaft­liche Aufschwung ebenso aus, wie im Rest des Landes.

Dort, im tunesische­n Hinterland, haben sich radikale Islamisten angesiedel­t. Tunesien stellt mit knapp 6000 die meisten Syrien-Kämpfer und wurde im vergangene­n Jahr durch drei islamistis­che Anschläge erschütter­t. Der Tourismus liegt im Argen, auf Investitio­nen aus dem Ausland wartet man immer noch. Der Polizei wird erneut Folter vorgeworfe­n.

Auf der Allee Bourguiba steht ein kleines Mädchen, eingewicke­lt in ein TunesienTu­ch. „Der einzige Handel, der in den letzten fünf Jahren f lorierte, ist der Verkauf der tunesische­n Flagge“, spottet ein junger Tunesier.

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Ex-Präsident Ben Alis letzter Auftritt am 13. Jänner 2011

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