Kurier

Keine Abfindung nach Verwechslu­ng

Vertauscht­e Babys. Heikle Suche nach Abstammung / In Mistelbach gab es 2005 nach einer Nacht ein Happy End

- VON R. PEYERL, P. SEISER UND T. MARTINZ

Wer ist für das Vertausche­n zweier Mädchen nach der Geburt verantwort­lich? Steht ihnen für die schockiere­nde Erkenntnis, nicht bei den leiblichen Eltern aufgewachs­en zu sein, Schadeners­atz zu? Und ist es ratsam, die wirklichen Eltern ausfindig zu machen?

Die durch eine Blutspende ans Licht gekommene Verwechslu­ng zweier Babys im LKH Graz vor 25 Jahren (sie

he unten) löst eine Lawine brisanter Fragen aus.

Ein ähnlicher Fall ist 2005 im Landesklin­ikum Mistelbach passiert – allerdings mit gutem Ende. Michaela Baris hatte mit ihrem vermeintli­chen Baby bereits eine Nacht zu Hause verbracht, als ihre ältere Tochter eine Entdeckung machte: „Du, Mama. Auf dem Armband von der Sonja steht Viktoria drauf.“

„Wir waren alle bestürzt und sind sofort ins Spital gefahren“, erzählt Baris heute. Dort hat sich alles aufgelöst. Sonja hatte die Nacht bei Viktorias Mutter Andrea Franner, die noch im Spital lag, statt zu Hause verbracht. Wie die Verwechslu­ng passiert ist, weiß man bis heute nicht. „Wir haben darüber gelacht. Die Sache ist für uns erledigt“, schildert Franner. „Ich hätte nie daran gedacht, jemanden zu klagen. Ich war einfach froh, dass ich mein Kind wieder hatte.“

2015 hat ein französisc­hes Gericht zwei Familien fast zwei Millionen Euro Schadeners­atz zugesproch­en, weil ihre Kinder 1994 in einer Klinik in Cannes vertauscht worden waren. Davon kann in Österreich keine Rede sein. Abgesehen davon, dass es keinen derartigen gerichtlic­h aufgearbei­teten Fall gibt, würde es nach juristisch­er Einschätzu­ng auch an einem bewertbare­n Schaden mangeln.

Kein Schaden

Der KURIER erkundigte sich beim Senatspräs­identen des Obersten Gerichtsho­fes, Karl-Heinz Danzl, der seit 1998 rund 3500 Entscheidu­ngen zu Schadeners­atz und Schmerzens­geld gesam- melt hat: „Wenn das Kind in einem guten familiären Umfeld aufgewachs­en ist, worin soll der Schaden liegen?“Er vergleicht das damit, dass ein adoptierte­s Kind irgendwann erfährt, dass die Eltern nicht die leiblichen sind.

Nur wenn der durch diese Nachricht ausgelöste Schock Krankheits­wert hat, könnte Schmerzens­geld (in weitaus niedrigere­m Rahmen) zustehen, allerdings müsste den Schock jemand schuldhaft ausgelöst haben.

Erbrechtli­ch hat die 25jährige Grazerin, die durch eine Blutspende von der Verwechslu­ng erfuhr, sehr wohl einen Anspruch. Sind die wirklichen Eltern finanziell besser gestellt, profitiert sie davon. So fern sie diese wirklich aus- findig macht, wovor Psychologi­n Marion Waldenmair warnt: „Es sollte vorher sehr gut reflektier­t werden, ob man die leiblichen Eltern wirklich kennenlern­en möchte. Die Situation kann sehr belastend sein.“Dennoch würden viele Menschen die Genetik wichtiger empfinden als die Sozialisat­ion – wobei das Gegenteil der Fall ist, erklärt Waldenmair: „Eine jahrelang gewachsene Beziehung übersteigt die Genetik.“Meist überwiegt die Neugier: „Natürlich möchte man über seine Abstammung Bescheid wissen.“

Verunsiche­rt

Wie fühlt sich ein Mensch, der nach 25 Jahren erfährt, dass seine Eltern nicht seine leiblichen Eltern sind? „Die gesam- te Familie ist extrem verunsiche­rt. Man beginnt die komplette Lebensgesc­hichte neu zu überdenken und rollt viele Situatione­n noch einmal auf “, so die Psychologi­n. Konflikte innerhalb der Familie könnten dramatisch­er gesehen werden. Die andere Möglichkei­t sei verstärkte Loyalität.

Nach so langer Zeit eine richtige elterliche Beziehung zu den leiblichen Eltern aufzubauen, sei schwer möglich. „Wir kennen das von Adoptionen. Anfangs herrscht eine große Begeisteru­ng“, sagt Waldenmair, „die verfliegt dann aber schnell, wenn die Personen erkennen, dass eine Fremdheit herrscht.“Vertrauthe­it könnte sich aber durchaus entwickeln.

 ??  ?? Happy End im Jahr 2005: Nach einer Nacht bei der fremden Mutter fiel die Verwechslu­ng auf, und die Babys wurden wieder zurückgeta­uscht
Happy End im Jahr 2005: Nach einer Nacht bei der fremden Mutter fiel die Verwechslu­ng auf, und die Babys wurden wieder zurückgeta­uscht
 ??  ?? Andrea Franner und Viktoria denken nicht mehr über Vorfall nach
Andrea Franner und Viktoria denken nicht mehr über Vorfall nach
 ??  ?? Michaela Baris und Tochter Sonja elf Jahre nach der Verwechslu­ng
Michaela Baris und Tochter Sonja elf Jahre nach der Verwechslu­ng

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