Und dem Haifisch fehlen die Zähne
Kritik. Brechts und Weills „Die Dreigroschenoper“geht im Theater an der Wien trotz vieler guter Zutaten nicht auf
Es hätte die Jubiläumsproduktion des Theaters an der Wien werden sollen. Diese 100. szenische Neuinszenierung seit der Rückwandlung der Bühne in ein Opernhaus vor zehn Jahren. Und eigentlich war alles angerichtet, waren die Zutaten zu Bertolt Brechts und Kurt Weills „Dreigroschenoper“mehr als vielversprechend.
Ein tolles Werk, ein renommierter Regisseur, bekannte Sänger und ein großartiger Schauspieler, der in jeder Rolle über sich hinauszugehen weiß. Und dennoch: Diese „Moritat von Mackie Messer“bleibt an der Wien bleiern am Boden kleben, kann nicht an die sonst meist so fantastischen Musiktheater-Produktionen, die man an diesem Ort gewohnt ist, heranreichen. Und das hat gleich mehrere Gründe.
Weniger wäre mehr
Da wäre zum einen die Inszenierung von Keith Warner, die gar vieles sein will: Ein bisschen dreckig, ein bisschen revuehaft, ein bisschen operettig, auch ein bisschen opernhaft und ein bisschen Lehrtheater im Brechtschen Sinn. Warner, der an der Wien so viele Erfolge gefeiert hat, verzettelt sich aber in Boris Kudličkas mit Müll zugeräumten (Dreh-)Bühnenbild samt Showtreppe.
Der intendierte Mix aus Ironie und Ernsthaftigkeit, bewusster Überhöhung und radikaler Gesellschaftskritik geht nicht auf. Vieles bleibt statisch, die stilisierten Typen bleiben oft Schablonen, manche Szenen implodieren von der Dynamik her massiv. Zu einer einheitlichen Lesart findet Warner bei diesem „Theaterstück mit Musik“nicht. Da helfen auch die feinen Kostüme von Kaspar Glarner nicht.
Das zweite, fast größere Problem ist Dirigent Johannes Kalitzke am Pult des an sich so fabelhaften Klangforum Wien. Wie ein Berserker hetzt Kalitzke Musiker wie Protagonisten durch die Partitur, dekliniert aber dennoch einen lähmend pädagogischwertvollen Weill durch.
Jeder Swing, jeder Sound muss bierernster, ja fast schon professoral wirkender Bedeutungsschwere weichen. Von der von Weill auch angedachten Leichtigkeit fehlt jede Spur. Immerhin: Anders als im vergangenen Jahr bei den Salzburger Festspielen wird an der Wien die Musik wenigstens nicht pseudo-lustig überschrieben.
Jeder macht seines
Womit wir endgültig bei den Protagonisten wären, die in diesem Umfeld ziemlich zu kämpfen haben, sich jedoch oft sehr wacker behaupten.
An der Spitze Tobias Moretti als Mackie Messer, der für die Rolle eigens Gesangsunterricht nahm und das sogar dann hörbar macht, wenn er in einem Käfig kopfüber hängend singen muss. Moretti bewältigt die musikalische Seite extrem gut, trifft die Töne, muss sich nicht in Sprechgesang flüchten.
Darstellerisch ist sein Mackie weder Lichtgestalt noch Gangster, sondern ein hervorragend nur um sich kreisender Womanizer und Geschäftsmann mit Hang zu Huren und Gewalt. Gut so!
Als Mackies KurzzeitEhefrau Polly hat es Nina Bernsteiner da schwerer. Ihr Sopran wäre ideal für Operettenpartien; für die Polly Peachum mangelt es Bernsteiners Stimme an Volumen, an Ausdruck und an – der hier auch geforderten – Schärfe.
Anders Angelika Kirchschlager: Sie zieht als Pollys Mutter alle Register ihres ho- hen Könnens, wirft sich mit Verve und sichtlichem Vergnügen in die Figur der schrillen, herrlich karikierten Miss Peachum hinein. Warum aber der ansonsten sehr präsente und tadellos singende Florian Boesch als Mr. Peachum sprachlich so viel „wienerischen“muss, bleibt wohl das Geheimnis der Regie.
Eine holt sich alles
Kein Geheimnis ist hingegen, dass Anne Sofie von Otter eine hervorragende Singschauspielerin ist, die ihre Spelunken-Jenny zum Drehund Angelpunkt dieser Aufführung macht. Wann immer von Otter auftritt, ist sie einfach wirklich da. Gleiches lässt sich nicht von allen Mitwirkenden behaupten. Egal, wie sehr Markus Butter als Polizeichef Brown auf das darstellerische Gaspedal steigt – seine Figur bleibt auch aufgrund der Regie unterbelichtet. Wie auch Gan-ya Bengur Akselrod als Lucy und das übrige Ensemble samt einem guten Arnold Schoenberg Chor ausschließlich assistieren dürfen. Ganz kurzer, höflicher Applaus.
KURIER-Wertung: