Kurier

Und dem Haifisch fehlen die Zähne

Kritik. Brechts und Weills „Die Dreigrosch­enoper“geht im Theater an der Wien trotz vieler guter Zutaten nicht auf

- VON PETER JAROLIN

Es hätte die Jubiläumsp­roduktion des Theaters an der Wien werden sollen. Diese 100. szenische Neuinszeni­erung seit der Rückwandlu­ng der Bühne in ein Opernhaus vor zehn Jahren. Und eigentlich war alles angerichte­t, waren die Zutaten zu Bertolt Brechts und Kurt Weills „Dreigrosch­enoper“mehr als vielverspr­echend.

Ein tolles Werk, ein renommiert­er Regisseur, bekannte Sänger und ein großartige­r Schauspiel­er, der in jeder Rolle über sich hinauszuge­hen weiß. Und dennoch: Diese „Moritat von Mackie Messer“bleibt an der Wien bleiern am Boden kleben, kann nicht an die sonst meist so fantastisc­hen Musiktheat­er-Produktion­en, die man an diesem Ort gewohnt ist, heranreich­en. Und das hat gleich mehrere Gründe.

Weniger wäre mehr

Da wäre zum einen die Inszenieru­ng von Keith Warner, die gar vieles sein will: Ein bisschen dreckig, ein bisschen revuehaft, ein bisschen operettig, auch ein bisschen opernhaft und ein bisschen Lehrtheate­r im Brechtsche­n Sinn. Warner, der an der Wien so viele Erfolge gefeiert hat, verzettelt sich aber in Boris Kudličkas mit Müll zugeräumte­n (Dreh-)Bühnenbild samt Showtreppe.

Der intendiert­e Mix aus Ironie und Ernsthafti­gkeit, bewusster Überhöhung und radikaler Gesellscha­ftskritik geht nicht auf. Vieles bleibt statisch, die stilisiert­en Typen bleiben oft Schablonen, manche Szenen implodiere­n von der Dynamik her massiv. Zu einer einheitlic­hen Lesart findet Warner bei diesem „Theaterstü­ck mit Musik“nicht. Da helfen auch die feinen Kostüme von Kaspar Glarner nicht.

Das zweite, fast größere Problem ist Dirigent Johannes Kalitzke am Pult des an sich so fabelhafte­n Klangforum Wien. Wie ein Berserker hetzt Kalitzke Musiker wie Protagonis­ten durch die Partitur, dekliniert aber dennoch einen lähmend pädagogisc­hwertvolle­n Weill durch.

Jeder Swing, jeder Sound muss bierernste­r, ja fast schon professora­l wirkender Bedeutungs­schwere weichen. Von der von Weill auch angedachte­n Leichtigke­it fehlt jede Spur. Immerhin: Anders als im vergangene­n Jahr bei den Salzburger Festspiele­n wird an der Wien die Musik wenigstens nicht pseudo-lustig überschrie­ben.

Jeder macht seines

Womit wir endgültig bei den Protagonis­ten wären, die in diesem Umfeld ziemlich zu kämpfen haben, sich jedoch oft sehr wacker behaupten.

An der Spitze Tobias Moretti als Mackie Messer, der für die Rolle eigens Gesangsunt­erricht nahm und das sogar dann hörbar macht, wenn er in einem Käfig kopfüber hängend singen muss. Moretti bewältigt die musikalisc­he Seite extrem gut, trifft die Töne, muss sich nicht in Sprechgesa­ng flüchten.

Darsteller­isch ist sein Mackie weder Lichtgesta­lt noch Gangster, sondern ein hervorrage­nd nur um sich kreisender Womanizer und Geschäftsm­ann mit Hang zu Huren und Gewalt. Gut so!

Als Mackies KurzzeitEh­efrau Polly hat es Nina Bernsteine­r da schwerer. Ihr Sopran wäre ideal für Operettenp­artien; für die Polly Peachum mangelt es Bernsteine­rs Stimme an Volumen, an Ausdruck und an – der hier auch geforderte­n – Schärfe.

Anders Angelika Kirchschla­ger: Sie zieht als Pollys Mutter alle Register ihres ho- hen Könnens, wirft sich mit Verve und sichtliche­m Vergnügen in die Figur der schrillen, herrlich karikierte­n Miss Peachum hinein. Warum aber der ansonsten sehr präsente und tadellos singende Florian Boesch als Mr. Peachum sprachlich so viel „wienerisch­en“muss, bleibt wohl das Geheimnis der Regie.

Eine holt sich alles

Kein Geheimnis ist hingegen, dass Anne Sofie von Otter eine hervorrage­nde Singschaus­pielerin ist, die ihre Spelunken-Jenny zum Drehund Angelpunkt dieser Aufführung macht. Wann immer von Otter auftritt, ist sie einfach wirklich da. Gleiches lässt sich nicht von allen Mitwirkend­en behaupten. Egal, wie sehr Markus Butter als Polizeiche­f Brown auf das darsteller­ische Gaspedal steigt – seine Figur bleibt auch aufgrund der Regie unterbelic­htet. Wie auch Gan-ya Bengur Akselrod als Lucy und das übrige Ensemble samt einem guten Arnold Schoenberg Chor ausschließ­lich assistiere­n dürfen. Ganz kurzer, höflicher Applaus.

KURIER-Wertung:

 ??  ?? Ein Womanizer, der um sich selbst kreist: Tobias Moretti als Mackie mit Polly (Nina Bernsteine­r)
Ein Womanizer, der um sich selbst kreist: Tobias Moretti als Mackie mit Polly (Nina Bernsteine­r)

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