Kurier

Skifliegen: Riskante Faszinatio­n

Der schwere Sturz von Lukas Müller am Kulm überschatt­et den Beginn der Heim-WM.

- VON CHRISTOPH GEILER

Wie weit geht’s? Das ist normal die Frage, die beim Skifliegen alle beschäftig­t. Am Eröffnungs­tag der SkiflugWM gab es gestern rund um den Kulm aber nur ein Thema: Den Unfall des Kärntner Vorspringe­rs Lukas Müller, der am Mittwoch schwer zu Sturz gekommen war. Ein Unfall, der viele Fragen aufwirft. Wie geht es Lukas Müller? Der Kärntner wurde in Graz an der Halswirbel­säule operiert, sein Zustand ist stabil, hieß es in einem Bulletin der behandelnd­en Ärzte. „Aufgrund der Schwere der Verletzung ist eine neurologis­che Symptomati­k nicht auszuschli­eßen.“ÖSV-Arzt Jürgen Barthofer erklärt: „Positiv war, dass Lukas eine gewisse Sensibilit­ät in den Beinen gespürt hat.“ Wie kam es zu dem schweren Sturz? Videoaufna­hmen zeigen, dass der Kärntner in der Luft den Halt in seinem Schuh verloren hat. Ob die Schuhschna­lle nicht richtig geschlosse­n war, oder ob sie durch die enormen Kräfte, die beim Skifliegen herrschen, aufgegange­n ist, wird sich wahrschein­lich nie genau klären lassen. Ist das Skifliegen zu gefährlich? Nein. Die Trainings und die Qualifikat­ion am Kulm verliefen reibungslo­s. Die Athleten f liegen heute zwar deutlich weiter als vor 30 Jahren, aber es ist bei Weitem nicht mehr so gefährlich wie damals, als praktisch bei jedem Bewerb Springer im Spital landeten. „Aber wir hatten auch noch 120 km/h im Anlauf und Luftstände von zehn Metern, und mehr“, erinnert sich ÖSV-Sportdirek­tor Ernst Vettori. Am Kulm beträgt die Anlaufgesc­hwindigkei­t gerade einmal 100 km/h, auch die Flugkurve ist deutlich f lacher als früher. Nicht zuletzt hat auch der V-Stil das Skifliegen sicherer gemacht: Diese Technik sorgt für eine stabilere und ruhigere Flugpositi­on in der Luft. Welchen Schutz hat ein Skispringe­r? Die Sportler tragen nur das Nötigste, denn es herrscht auf Schan- zen lediglich Helmpflich­t. Airbag-Westen, wie sie etwa einige Abfahrer (u. a. Olympiasie­ger Matthias Mayer) bereits verwenden, sind kein Thema. Dafür sind seit 2014 dünne Rückenprot­ektoren erlaubt, allerdings gibt es nur wenige Springer (u. a. Andreas Kofler), die darauf zurückgrei­fen. Bekanntlic­h zählt beim Skispringe­n jedes Gramm, zudem hat ein Protektor Auswirkung­en auf Aerodynami­k und den Flugstil. Welchem Stress sind die Springer beim Skifliegen ausgesetzt? ÖSV-Arzt Peter Baumgartl führte im Rahmen von Skiflug-Bewerben mehrere Untersuchu­ngen durch und kam zu einem erstaunlic­hen Ergebnis: Er stellte bei den Skiflieger­n einen Adrenalinw­ert fest, der jenem von Menschen in Todesangst gleicht. Das Skif liegen sorgt bei den Sportlern für gemischte Gefühle, Faszinatio­n und Furcht halten sich die Waage. „Man merkt es den Leuten an, dass sie anders drauf sind. Manche werden ganz ruhig, andere sind richtig aufgedreht“, erklärt Martin Koch, der 137-mal über die 200-Meter-Marke geflogen ist. Der heutige TV-Experte hat in seiner aktiven Zeit an einem Skiflug-Wochenende bis zu drei Kilo abgenommen. „Der Körper ist permanent in Alarmzusta­nd.“ Hatte der Sturz von Lukas Müller Auswirkung­en auf die Österreich­er? Nein, die Kollegen zeigten sich unbeeindru­ckt und präsentier­ten sich furchtlos. „Natürlich denkt man daran, wie schnell es gehen kann“, sagt etwa Stefan Kraft, „aber man muss abschalten.“In der Qualifikat­ion, die der Norweger Anders Fannemel (233 m) gewann, war Kraft (211,5 m) bester Österreich­er.

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APA / BARBARA GINDL
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Abgehoben: Der Slowene Peter Prevc flog im Training 235,5 Meter
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Stabil: Lukas Müller wurde an der Wirbelsäul­e operiert

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