Skifliegen: Riskante Faszination
Der schwere Sturz von Lukas Müller am Kulm überschattet den Beginn der Heim-WM.
Wie weit geht’s? Das ist normal die Frage, die beim Skifliegen alle beschäftigt. Am Eröffnungstag der SkiflugWM gab es gestern rund um den Kulm aber nur ein Thema: Den Unfall des Kärntner Vorspringers Lukas Müller, der am Mittwoch schwer zu Sturz gekommen war. Ein Unfall, der viele Fragen aufwirft. Wie geht es Lukas Müller? Der Kärntner wurde in Graz an der Halswirbelsäule operiert, sein Zustand ist stabil, hieß es in einem Bulletin der behandelnden Ärzte. „Aufgrund der Schwere der Verletzung ist eine neurologische Symptomatik nicht auszuschließen.“ÖSV-Arzt Jürgen Barthofer erklärt: „Positiv war, dass Lukas eine gewisse Sensibilität in den Beinen gespürt hat.“ Wie kam es zu dem schweren Sturz? Videoaufnahmen zeigen, dass der Kärntner in der Luft den Halt in seinem Schuh verloren hat. Ob die Schuhschnalle nicht richtig geschlossen war, oder ob sie durch die enormen Kräfte, die beim Skifliegen herrschen, aufgegangen ist, wird sich wahrscheinlich nie genau klären lassen. Ist das Skifliegen zu gefährlich? Nein. Die Trainings und die Qualifikation am Kulm verliefen reibungslos. Die Athleten f liegen heute zwar deutlich weiter als vor 30 Jahren, aber es ist bei Weitem nicht mehr so gefährlich wie damals, als praktisch bei jedem Bewerb Springer im Spital landeten. „Aber wir hatten auch noch 120 km/h im Anlauf und Luftstände von zehn Metern, und mehr“, erinnert sich ÖSV-Sportdirektor Ernst Vettori. Am Kulm beträgt die Anlaufgeschwindigkeit gerade einmal 100 km/h, auch die Flugkurve ist deutlich f lacher als früher. Nicht zuletzt hat auch der V-Stil das Skifliegen sicherer gemacht: Diese Technik sorgt für eine stabilere und ruhigere Flugposition in der Luft. Welchen Schutz hat ein Skispringer? Die Sportler tragen nur das Nötigste, denn es herrscht auf Schan- zen lediglich Helmpflicht. Airbag-Westen, wie sie etwa einige Abfahrer (u. a. Olympiasieger Matthias Mayer) bereits verwenden, sind kein Thema. Dafür sind seit 2014 dünne Rückenprotektoren erlaubt, allerdings gibt es nur wenige Springer (u. a. Andreas Kofler), die darauf zurückgreifen. Bekanntlich zählt beim Skispringen jedes Gramm, zudem hat ein Protektor Auswirkungen auf Aerodynamik und den Flugstil. Welchem Stress sind die Springer beim Skifliegen ausgesetzt? ÖSV-Arzt Peter Baumgartl führte im Rahmen von Skiflug-Bewerben mehrere Untersuchungen durch und kam zu einem erstaunlichen Ergebnis: Er stellte bei den Skifliegern einen Adrenalinwert fest, der jenem von Menschen in Todesangst gleicht. Das Skif liegen sorgt bei den Sportlern für gemischte Gefühle, Faszination und Furcht halten sich die Waage. „Man merkt es den Leuten an, dass sie anders drauf sind. Manche werden ganz ruhig, andere sind richtig aufgedreht“, erklärt Martin Koch, der 137-mal über die 200-Meter-Marke geflogen ist. Der heutige TV-Experte hat in seiner aktiven Zeit an einem Skiflug-Wochenende bis zu drei Kilo abgenommen. „Der Körper ist permanent in Alarmzustand.“ Hatte der Sturz von Lukas Müller Auswirkungen auf die Österreicher? Nein, die Kollegen zeigten sich unbeeindruckt und präsentierten sich furchtlos. „Natürlich denkt man daran, wie schnell es gehen kann“, sagt etwa Stefan Kraft, „aber man muss abschalten.“In der Qualifikation, die der Norweger Anders Fannemel (233 m) gewann, war Kraft (211,5 m) bester Österreicher.