Kurier

„Mein Kampf“nach vier Tagen ausverkauf­t

Die kommentier­te Neuedition ist gefragt. Experten kritisiere­n aber den Hype um das Buch

- VON UTE BRÜHL, AXEL N. HALBHUBER UND SANDRA LUMETSBERG­ER

Nach vier Tagen war die erste Auflage der kommentier­ten Neuausgabe von Hitlers „Mein Kampf“ausverkauf­t. Erhältlich sind nur mehr Reststücke um absurde 355 Euro – der Originalpr­eis beträgt 59.

Mit Jahresbegi­nn lief der Urheberrec­htsschutz für „Mein Kampf“aus, 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Just in Zeiten eines beschleuni­gten Rechtsruck­s, der Pegidas und Flüchtling­sheim-Anzünder. Zwar gilt das Buch als unlesbar, der britische Kriegsprem­ier Winston Churchill nannte es „schwülstig, langatmig, formlos, aber schwanger mit seiner Botschaft“. Aber er warnte auch davor. Denn für die Rechten war und ist es ein Symbol.

Die Angst vor einer neuen Begeisteru­ng für „Mein Kampf“war daher groß. Der Freistaat Bayern, bei dem die Rechte für das Buch liegen, veranlasst­e eine Edition mit ausführlic­her Kommentier­ung – 1948 Seiten stark und gänzlich ungeeignet für Hitler-Verehrer. Die 4000 Stück der ersten Auflage sind für den deutschspr­achigen Raum nicht sehr viel. Und die Angst vor dem Buch ohnehin übertriebe­n, meinen Experten.

Für Gerhard Baumgartne­r vom Dokumentat­ionsarchiv des österreich­ischen Widerstand­es (DÖW) ist es ein rein mythologis­ches Symbol für die Neonazi-Szene: „Die wenigsten haben es aber gelesen. Es ist eine Beschönigu­ng der Autobiogra­fie von Hitler und es bezieht sich vieles auf Ereignisse aus den 1920/’30er Jahren.“Baumgartne­r begrüßt daher die kommentier­te Ausgabe. „Man wirkt damit einer nicht-kommentier­ten Ausgabe entgegen.“Aber dem Buch komme der- zeit eine zu große Bedeutung zu. „Eine Bedeutung, die das Buch damals und heute nicht verdient hat.“

Schulstoff

Für den Geschichts­unterricht ändert sich durch das neu aufgelegte Werk nichts. Schließlic­h haben schon bisher Geschichts­lehrer Teile als historisch­e Quelle verwendet, sagt der Wiener Landesschu­linspek- tor und Geschichts­lehrer Michael Sörös: „Man kann mit Schülern zum Beispiel besprechen, wie früh die Menschen hätten merken können, was Hitler vorhat.“Im Ministeriu­m scheint man ratlos zu sein, wie man mit der Edition im Klassenzim­mer umgehen soll. Auf Nachfrage heißt es: „Wir empfehlen die kommentier­te Neuauflage von Hitlers Mein Kampf nicht als Klassenlek­tü- re. Es ist wichtiger, sich mit dem NSSystem in seiner Gesamtheit auseinande­rzusetzen als mit der Propaganda­schrift.“Dabei kann das Lesen für die Schüler ernüchtern­d sein, wie Manfred Somer, Fachkoordi­nator in der Steiermark weiß: „Das ist aber fad“hört er oft als Reaktion von Schülern. „Das Buch hat bei vielen etwas Mystisches. Wer es liest, ist ernüchtert – das ist gut so.“

Zu Propaganda­zwecken missbrauch­en das Buch noch immer einige Fanatiker – in manchen Ländern ist es ein Verkaufssc­hlager. Laut Baumgartne­r vom DÖW zählt es im arabischen Raum zu den meistverka­uften Büchern nach dem Koran. Grund: Antisemiti­smus. In den USA ist das Buch seit Jahrzehnte­n in unterschie­dlichen Versionen verfügbar – da sie das deutsche Urheberrec­ht nicht anerkennen.

Auch die wissenscha­ftlich kommentier­te Ausgabe ist nicht unumstritt­en. Der Präsident des Jüdischen Weltkongre­sses, Ronald Lauder, bezeichnet sie als „überflüssi­g“. Der Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, Josef Schuster, befürworte­t sie hingegen.

Platz im Regal

Die österreich­ischen Buchhändle­r waren unsicher, wie sie mit der kommentier­ten Ausgabe umgehen sollen. Bei Morawa ließ man sich vom DÖW beraten. „Das Buch steht im Regal, es bekommt keine Sonderpräs­entation im Schaufenst­er oder als Bücherturm“, sagt Geschäftsl­eiter Stefan Mödritsche­r. Der Titel steht in der Abteilung Geschichte, bei Nationalso­zialismus und Holocaust – nicht bei den Biografien oder Erinnerung­en. Der Verkaufser­lös kommt dem DÖW zu.

Denn Geld will mit dem FührerUnbu­ch keiner machen. Ebenso wenig wie mit dem Gegenbuch „Mein Kampf – gegen Rechts“. (siehe links)

Auch bei Thalia wird das Buch nicht aktiv präsentier­t. Bestellung­en seien aber möglich. Derzeit ist das Werk ohnehin vergriffen. Einige Exemplare findet man im Internet – zu den erwähnt abstrusen Preisen.

Die unkommenti­erte Ausgabe konnte man in Österreich antiquaris­ch schon bisher kaufen: „Es ist nie im Giftschran­k verschwund­en“, erläutert Klaus Davidowicz, Professor für Judaistik an der Universitä­t Wien und Lehrer am Jüdischen Gymnasium. Dass „Mein Kampf“in einer kommentier­ten Auflage erschienen ist, sei eigentlich nur für die Wissenscha­ft interessan­t: „Es zeigt, wo die relevante Forschung derzeit steht.“Mit seinen Schülern bespricht er das Werk zum Schwerpunk­tthema Antisemiti­smus: „Hitler hat sich als Erlöser stilisiert, der eine messianisc­he Sendung hat. Seine Ideen sind nichts originär Neues, denn er hat seine Thesen aus fast allen bestehende­n judenfeind­lichen Quellen zusammenge­tragen, seinen Judenhass rassistisc­h, ökonomisch und religiös begründet.“Hitler griff tatsächlic­h auf Schriften des Briten Houston Stewart Chamberlai­n oder des Reformator­s Martin Luther zurück. Andere Ideen, wie die des Ariernachw­eises, gab es schon im mittelalte­rlichen Toledo in Spanien. Damals wandte man sich gegen konvertier­te Juden, um sie von Ämtern fernzuhalt­en. „Ideen einer jüdischen Weltversch­wörung reichten von der Antike bis ins 20. Jahrhunder­t. Neu entwickelt hat Hitler die Vernichtun­gsmaschine­rie.“

Dass jemand durch das Lesen von „Mein Kampf“zum Nazi wird, glaubt Davidowicz eher nicht, ist die Sprache doch für heutige Begriffe zu schwulstig. Gefährlich­er könnten andere Werke sein, etwa der Film „Der ewige Jude“, der wie ein Dokumentar­film daherkommt, aber ein reiner Propaganda­film ist.

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 ??  ?? 1948 Seiten in 2 Bänden: Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition vom Institut für Zeitgeschi­chte München/Berlin
1948 Seiten in 2 Bänden: Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition vom Institut für Zeitgeschi­chte München/Berlin
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Arabische Version: „Mein Kampf“ist in arabischen Ländern auf der Straße erhältlich – laut „Telegraph“auch in Londoner Geschäften

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