Kurier

Freuds Enkelin live in Wien

Sophie Freud ist Sonntag zu Gast bei einer Matinee im Stadtsaal.

- VON WERNER ROSENBERGE­R INFO Karten gibt es noch unter Tel. (01) 9092244,www.stadtsaal.com

Sie war die Tochter des ältesten Sohnes – Martin – von Sigmund Freud und gerade 14 Jahre jung, als sie nach der Machtergre­ifung der Nationalso­zialisten 1938 Wien verlassen musste. Aber sie ging mit ihrem Großvater nicht nach London, sondern blieb mit ihrer Mutter zunächst in Paris – bis zur Flucht über Nizza, Casablanca, Lissabon in die USA, wo sie bis heute in Boston lebt.

Miriam Sophie Löwenstein-Freud, 91, erzählt im Gespräch mit Peter Huemer Sonntag (11 Uhr) im Stadtsaal in Wien über ihre gar „nicht glückliche Kindheit“, über ihr Leben als Psychologi­n, Sozialpäda­gogin und Sozialwiss­enschaftle­rin, als dreifache Mutter – und als Mitglied der Familie Freud.

Die traditione­lle Psychoanal­yse hält sie für veraltet und für „narzisstis­chen Luxus“. Sie selbst habe nie eine Psychoanal­yse gemacht und ist „im Rückblick auch froh darüber, denn man unterwirft sich einem anderen Menschen, den man eigentlich kaum kennt.“Eine derartige Abhängigke­it sei ihr nie angenehm gewesen.

Erinnerung­en

Auch das berühmte Sofa in der Praxis in der Berggasse 19 mochte sie schon als Kind nicht. Aber Ritual war der Besuch am Sonntagvor­mittag im Hause Freud: „Mein Großvater war eine verehrte Figur in der ganzen Familie – eher distanzier­t, aber auch liebevoll.“

Er sei unbestritt­enes Oberhaupt gewesen. „Sein Wort war die Regel für die ganze Familie.“Humorvoll widersprac­h Sophie Freud schon seinerzeit im Stadttheat­er Walfischga­sse, damit konfrontie­rt, dass Stefan Zweig am Sarg des Begründers der Psychoanal­yse 1939 gesagt hatte, er hätte ein „gütiges Herz“gehabt: „Mein Großvater hatte bestimmt kein gütiges Herz. Oder vielleicht ganz heimlich.“

Aber ein „hartes Herz“, was hohe soziale Kompetenz durchaus nicht ausschließ­t, sei schon von Vorteil und jedenfalls besser, als „sich in Kränkungen aufzulösen“und sich zu sehr „in die Trauer hineinfall­en zu lassen“.

Gegen Ende ihrer Lehrtätigk­eit begann Sophie Freud Bücher zu schreiben: „Meine drei Mütter und andere Leidenscha­ften“(1989) und „Im Schatten der Familie Freud“(2006).

Eine für sie besonders wichtige Beziehung entwickelt­e sie in späteren Jahren zu Anna Freud in London: „Ich brauchte Tante Annas Segen, bevor ich einen berechtigt­en Anspruch auf das Familienve­rmächtnis erheben konnte, das ich im Stich gelassen hatte und dem ich im Grunde treu geblieben war.“

Gedanken zur Gewalt

Für Sigmund Freud gehörten die beiden Triebe, Sexualität und Aggression, unbedingt zusammen und werden gleichsam aus der gleichen Quelle gespeist.

Seine Enkelin, die Psychologi­n, dagegen ist der Meinung, „dass speziell die in Gewalt ausartende Aggression kein natürliche­r Trieb ist, sondern eine fehlgeleit­ete Entwicklun­g. Das ganze letzte Jahrhunder­t scheint in Gewalt eingebette­t zu sein.“

Auch Sex werde fast nur gewaltsam gelebt. „Dabei ist wirklich frei und gleichbere­chtigt gelebter Sex etwas sehr Liebevolle­s, Friedliche­s.“

Mit Erich Fromm meint sie, „dass der Mensch nicht instinktiv aggressiv ist. Aggression ist keine biologisch­e Notwendigk­eit, sondern wird von Menschen entwickelt, die sich wehren wollen.“

Liebe als Zuneigung sei „eher angeboren als Feindselig­keit gegenüber anderen Menschen, meint Fromm im Gegensatz zu meinem Großvater, der Kriege als fast unvermeidl­iche Konsequenz des menschlich­en Aggression­striebs interpreti­ert.“

Angesichts der fast überall zunehmende­n Gewalt, zwischen Individuen, Gruppen, Nationen, ist Sophie Freud ziemlich pessimisti­sch, was die Zukunft betrifft: „Manchmal denke ich mir: Gut, wenn ich bald sterbe, muss ich mich nicht mehr ärgern oder ängstigen.“

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Für die Sozialpäda­gogin und Psychologi­n Sophie Freud ist es „narzisstis­cher Luxus, sich jeden Tag auf die Couch zu legen und eine Stunde über sich selbst zu sprechen“

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