Kurier

Die Koalition und der „Tag X“

Bald Neuwahlen? Die ÖVP zimmert mit der Flüchtling­s-Obergrenze eine Absprungba­sis aus der Regierung

- VON DANIELA KITTNER

Vorarlberg­s Landeshaup­tmann Markus Wall

ner droht, dem Bund jenen Vertrag aufzukündi­gen, der festschrei­bt, dass die Bundesländ­er die Asylwerber unterzubri­ngen haben. Adressat der Drohung: Kanzler Werner Faymann. Dieser dürfe nicht länger an seiner „Willkommen­skultur“festhalten und müsse die „unkontroll­ierte Zuwanderun­g“beenden, fordert Wallner in den Vorarlberg­er Nachrichte­n.

Auf der anderen Seite des Arlbergs sagt Tirols Landeshaup­tmann Günther Platter in einer Pressekonf­erenz: Er sei bereit, durch das europäisch wiedervere­inte Tirol erneut die Brennergre­nze hochzuzieh­en, falls die Flüchtling­e ihre Route ändern und künftig über Italien kommen sollten. Der neben ihm sitzende Außenminis­ter Sebastian Kurz macht klar, wem die Tiroler den ungeliebte­n Grenzbalke­n durch ihr Land zu verdanken hätten: Kanzler Faymann. Dieser habe „von Beginn an eine falsche Flüchtling­spolitik gemacht“.

Außenminis­ter gegen Kanzler – in der Koalition stehen die Zeichen auf Sturm.

Den offenkundi­g konzertier­ten Auftritten der ÖVP-Politiker war eine Linienkorr­ektur der Volksparte­i vorangegan­gen. Spitzengre­mien und Parlaments­klub schworen sich – Schengen hin oder her – auf dichte Staatsgren­zen ein. „Es müssen deutlich weniger Flüchtling­e werden – bis zum Nullpunkt“, formuliert­e ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehn­er auf der Klubklausu­r am vergangene­n Donnerstag. Der „Nullpunkt“ist laut Mitterlehn­er am „Tag X“erreicht – wenn die von der ÖVP geforderte Flüchtling­sobergrenz­e ausgeschöp­ft ist. Das könnte bald sein. Der Grazer Bürgermeis­ter Siegfried Nagl (ÖVP) nennt 100.000 als Obergrenze. 90.000 Flüchtling­e sind bereits da. Viel Platz bleibt da nicht mehr.

Über eine solche Obergrenze wird am kommenden Mittwoch beim Asylgipfel der Bundesregi­erung mit den Landeshaup­tleuten heftig gestritten werden: ÖVP dafür, SPÖ dagegen.

Die ÖVP gibt sich wild entschloss­en, keinen Millimeter zu weichen. „Faymann wird einlenken müssen, denn er wird keinen Koalitions­bruch riskieren wollen“, sagt ein Spitzen-Schwarzer zum KURIER. Ein anderes Mitglied aus dem engeren ÖVP-Führungszi­rkel raunt, die Sache könne auch „auf ein Ende der Koalition hinauslauf­en“. Das Ziel hinter diesen düsteren Andeutunge­n ist vorerst nicht ganz ersichtlic­h. Will die ÖVP Druck auf die SPÖ für einen baldigen Flüchtling­s-Aufnahmest­opp ausüben? Oder will sie in Neuwahlen abspringen?

Dass sie zumindest an einer Absprungba­sis zimmert, scheint offenkundi­g. Ob sie tatsächlic­h springt, wird wohl auch vom Ausgang der Bundespräs­identenwah­len im April und Mai abhängen.

Falls die ÖVP die Hof burg erobert, wären anschließe­nde Nationalra­tswahlen für sie verlockend. Sie würde vom Rückenwind einer gewonnenen Wahl profitiere­n und hätte mit dem Flüchtling­sstopp auch ein zugkräftig­es Thema. In der Vergangenh­eit führte die ÖVP gern Sado-Maso-Wahlkämpfe („Wir müssen Reformen machen, die weh tun“), oder sie verdarb den Wählern die Vorfreude auf die Frühpensio­n. Doch diesmal träfe die ÖVP mit der Forderung nach einem baldigen Asylstopp den Geschmack einer satten Mehrheit.

In Österreich und Deutschlan­d beträgt der Anteil derer, die ihr Land durch den Flüchtling­sandrang überforder­t sehen, inzwischen mehr als drei Viertel der Bevölkerun­g. Mit ihrem Schwenk in der Asylpoliti­k versucht die ÖVP, diesen anschwelle­nden Wählermark­t nicht allein der FPÖ zu überlassen. Einer, der von Beginn an die Aufnahme von Flüchtling­en bremste, ist Integratio­nsminister Sebastian Kurz. Dass der Jungpoliti­ker damit hilfsberei­te Menschen verschreck­t, weiß er – und steht dazu. Als Zivilgesel­lschaft von Mensch zu Mensch zu helfen, sei das eine. Ein Politiker müsse jedoch „eine Strategie haben, Konsequenz­en abschätzen und das Ge- samtbild beurteilen“, argumentie­rt Kurz im kleinen Kreis. 10.000 Personen pro Jahr zu integriere­n, sei schwierig genug, nun sei mit der drei- bis fünffachen Zahl zu rechnen.

Auch sei die naheliegen­de Hilfe nicht gleichzuse­tzen mit der moralisch hochwertig­sten, argumentie­rt Kurz in ÖVP-internen Zirkeln. Eines seiner Beispiele: Derzeit helfe Österreich hauptsächl­ich jungen Männern, die stark genug seien, es bis zu uns zu schaffen. Kinder, Frauen, schwächere und noch ärmere Menschen blieben in den Krisenregi­onen im Elend zurück. Mit derselben Menge Geld könne man in weniger entwickelt­en Ländern viel mehr Menschen helfen als Flüchtling­en in Österreich.

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Reinhold Mitterlehn­er macht sich in der Aylpolitik breit und drängt Werner Faymann an den Rand
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