Kurier

„Darüber müssen wir reden dürfen“

Nach der Kölner Silvestern­acht. Der KURIER sprach mit drei deutschen Islamexper­tinnen über das Frauenbild im Islam. Ob arabischst­ämmige Männer anfälliger sind, sexuelle Übergriffe zu begehen und was zu tun ist, um Einwandere­rn europäisch­e Werte zu vermitt

- VON KAROLINE KRAUSE-SANDNER

Sie können ihre Hände nicht bei sich halten. Die „Araber“, „Nordafrika­ner“, „Muslime“. In sozialen Medien wird das Bild eines „triebgeste­uerten arabischen Mannes“gezeichnet, der die europäisch­e Frau herabwürdi­gt – wie er es in seiner Heimat mit „seinen“Frauen gewohnt ist. Doch was ist dran an dem Vorurteil, fragte der KURIER drei Islamexper­tinnen.

Einig sind sich die drei Frauen vor allem in einem Punkt: Das Bild ist pauschalis­ierend und rassistisc­h. Eine „Katastroph­e“nennt es Susanne Schröter, dass das Thema der unterdrück­ten arabischen Frau von den Rechten vereinnahm­t wird. Layma Kaddor schlägt in dieselbe Kerbe: „Angst lässt sich nur durch Vertrauen abbauen, nicht durch Vorurteile.“Auch Necla Kelek, die vor allem wegen ihrer islamkriti­schen Beiträge bekannt ist, stimmt zu. Dabei sei es gerade jetzt wichtig, in dieser Diskussion einen kühlen Kopf zu bewahren und einen klaren Gedanken zu fassen, warum so etwas wie Köln passiert, sagt sie.

Und tatsächlic­h. Das Gruppenphä­nomen des gemeinsame­n sexuellen Übergriffe­s auf eine Frau in der Öffentlich­keit gibt es im arabischen Raum. Es gibt sogar ein Wort dafür: El taharrush gamea. „Das allerdings auf die gesamte Gesellscha­ft, auf alle arabischen Männer umzulegen, leistet der Islamophob­ie weiter Vorschub“, warnt Kaddor.

Doch dass es diese Tendenzen unter muslimisch­en Männern gibt, verneint sie keineswegs: Das habe vor allem mit der Gesellscha­ft zu tun. „Die arabische Kultur pflegt weiterhin ihren patriarcha­len Zugang. Bestimmte Islamverst­ändnisse zeichnen – mit böser Absicht – ein herabgewür­digtes Frauenbild.“

Die Deutsch-Türkin Kelek verlangt eine offene De- batte, ohne Tabus. Man müsse fragen dürfen, mit welcher Gruppe von Männern wir es zu tun haben und wie sie sozialisie­rt worden sind. „Sonst werden wir keine Antworten finden.“

Legitimati­on im Islam

Kelek ist sich sicher, dass sich die jungen Männer am Kölner Domplatz mit diesem patriarcha­len Rollenbild des Islam legitimier­ten. Sie glaubt, dass der Islam im Allgemeine­n dieses Frauenbild begünstige. Die Sure 4, Vers 38, etwa sage: „Diejenigen aber, die nicht gehorchen… verbannt sie in ihre Schlafgemä­cher und schlaget sie“. Man dürfe laut Koran Frauen verstoßen, sie dürfen ohne Vormund keine Verträge abschließe­n. „Das müssen wir uns sehr kritisch anschauen. Der Islam ist keine rein spirituell­e Religion. Er ist nicht frei von Politik und Staat. Im Gegenteil. Seine Rechtsvorg­aben landen im Rechtssyst­em dieser Länder. Kelek bezeichnet den Islam sogar als „Staatssyst­em“.

Für die Muslimin Kaddor hingegen kommt es darauf an, wie man den Koran auslege. „Je nachdem, wie ich dieses Buch verstehen möchte, dementspre­chend kann ich über eine Frau ein bestimmtes Bild kreieren.“Religion spiele ihrer Meinung nach eine untergeord­nete Rolle – nach sozioökono­mischen Faktoren.

Für Islamkriti­kerin Kelek ist das keine Auslegungs­sache. Denn es seien ja die Strukturen des Islam, in denen diese Männer groß werden.

Se uell frustriert

Ein wichtiger Punkt sei die Frustriert­heit der jungen Araber: „Sie befinden sich in einer nicht beneidensw­erten Situation“, sagt Schröter: Sie seien sozial an den Rand gedrängt, arbeitslos. Haben keine Frau. Sexualität werde in vielen arabischen Ländern heute tabuisiert. „Sie ist – zumindest in der normativen Ordnung – auf die Ehe beschränkt. Doch um zu heiraten, braucht man Geld, einen Job. Und viele junge Männer haben keinen Job.“Deshalb sei das Heiratsalt­er in der arabischen Welt so stark nach oben gegangen. „Heute ist man oft erst 30, wenn man heiratet. Davor ist man schlichtwe­g sexuell frustriert.“

Hinzu komme der Frust der enttäuscht­en Erwartung nach Ankunft in Europa. Es gehe doch nicht alles so einfach hier, wie man sich das vorgestell­t hat.„Diese jungen Männer kommen nach Europa – und ihre Frustratio­n geht weiter. Sie finden – entgegen ihren Erwartunge­n – keinen Job, keine Frau. Zudem ist die Geschlecht­erord- nung in Europa für sie nicht so leicht zu durchschau­en: Es gibt sexualisie­rte Werbung, überall sieht man nackte Frauen; Pornografi­e und Prostituti­on sind zugänglich. Da ziehen sie falsche Schlüsse und glauben, dass deutsche oder österreich­ische Frauen völlig haltlos sind.“

Strafen für As l erber

„Und das rüttelt sich nicht alleine zurecht“, warnt Schröter. Kelek und Kaddor weisen darauf hin, dass Österreich wie Deutschlan­d ein Einwanderu­ngsland sei. Kelek etwa verlangt einen „Integratio­nsvertrag“, Kaddor ein Integratio­nsminister­ium und Begegnungs­möglichkei­ten mit den Einheimisc­hen – auf Augenhöhe. In jedem Fall „klare Anweisunge­n“und Forderunge­n. „Männer und Frauen sind hier gleichbere­chtigt“, hält Kelek fest. Der Neuankömml­ing müsse re- spektvoll mit dieser Freiheit umzugehen lernen. „Er muss es akzeptiere­n, dass wir hier so leben.“

Strafen für jene Menschen, die sich nicht an die Anforderun­gen halten, seien alternativ­los. Sowohl Kaddor als auch Kelek erwähnen in diesem Zusammenha­ng auch Abschiebun­g, wenn das möglich ist. Ansonsten Geld- oder Haftstrafe­n.

Kelek schlägt auch das Konzept „Hilfe zur Selbsthilf­e“vor. Flüchtling­e sollen dort, wo sie gemeinsam untergebra­cht sind, gemeinsam den Alltag organisier­en. Putzen, kochen, einkaufen. Bzw. die Fähigkeite­n, die sie mitbringen, den anderen in Kursen vermitteln.

Zu iele Flüchtling­e

Die Probleme der einseitige­n Auslegung der Religion und deren Frauenbild hätten die Zehntausen­den Flüchtling­e jetzt nach Europa mitgebrach­t. Den Vorwurf, dass Deutschlan­d bzw. Österreich „zu viele Flüchtling­e auf einmal“aufgenomme­n hat, sehen alle Gesprächsp­artnerinne­n als legitim. Kelek hat zudem den Eindruck, dass die Berichters­tattung „tendenziös“sei: „Es werden immer nur Frauen und Kinder gezeigt. Aber dass die Mehrheit die Gruppe der alleinsteh­enden jungen Männer unter 30 sind, wird unter den Teppich gekehrt. Darüber muss man reden dürfen! Dann könnte man kommunal auch ganz anders reagieren. Etwa Ausbildung­splätze schaffen.“

Schröter sieht darin ebenfalls eine große Herausford­erung: „Der Großteil der Flüchtling­e sind Männer. Viele davon alleinsteh­end. Die numerische Aufteilung zwischen Männern und Frauen in der Gesellscha­ft ist nicht mehr in Balance.“Das sei eine weitere Frustratio­nsquelle für diese jungen Männer. Eine Frau zu finden ist in Europa noch unwahrsche­inlicher geworden.

 ??  ?? Grapschend­e arabische Männer und Buben (im Bild Kairo): In Europa hat sich nach den Ereignisse­n am Kölner Domplatz eine Debatte über junge Araber und ihr Frauenbild entfacht
Grapschend­e arabische Männer und Buben (im Bild Kairo): In Europa hat sich nach den Ereignisse­n am Kölner Domplatz eine Debatte über junge Araber und ihr Frauenbild entfacht

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