Kurier

Ein Schnellsie­dekurs soll den österreich­ischen Alltag zeigen

Wertekurse. Religionsf­reiheit, Schule, Rechtsstaa­t oder medizinisc­he Versorgung und die Bürokratie – für Flüchtling­e ist in Europa vieles neu

- – UTE BRÜHL

Die neue Welt erschließt sich den Flüchtling­en in Bildern. Kursleiter­in Ursula Sagmeister zeigt ihren Schülern Alltagssit­uationen, um mit ihnen darüber zu reden, wie das Leben in Österreich funktionie­rt.

Auf einem Foto ist eine Schlägerei zu sehen: „Wie würdet ihr reagieren, wenn ihr so etwas seht?“, fragt sie in die Runde. „Die Polizei anrufen“, sagt einer der Teilnehmer. Dass man Vertrauen zur Polizei haben kann, ist für die Menschen aus Syrien oder dem Irak alles andere als selbstvers­tändlich. Sie haben deshalb Streitigke­iten meist unter sich geregelt. „Sich selbst zu verteidige­n ist erlaubt, Selbstjust­iz hingegen nicht“, erläutert Sagmeister: „Die Polizisten sind die Profis. Und bei uns ist der Staat dafür zuständig, die Gesetze auch durchzuset­zen.“

Sagmeister hat schon viel Erfahrung im Umgang mit Flüchtling­en: „Ich habe vor zehn Jahren ein Heim geleitet, in dem Tschetsche­nen untergebra­cht waren“, erinnert sie sich. „Rückblicke­nd muss ich sagen: Es wäre schön gewesen, hätte es solche Wertekurse damals schon gegeben. Das hätte die Eingewöhnu­ng für diese Menschen einfacher gemacht.“

Ursula Sagmeister ist eine der Ersten, die solche Wertekurse leitet: „Im Dezember startete ein Pilotproje­kt“, berichtet sie. Ein Curriculum, welche Themen in diesem Acht-Stunden-Kurs bespro- chen werden sollen, steht schon fest. „Jetzt werden Erfahrunge­n gesammelt, wie die Vermittlun­g am besten funktionie­rt.“Sagmeister kann sich gut vorstellen, wie schwierig es ist, sich an ein neues Land zu gewöhnen: „Ich habe selbst jahrelang im Ausland gelebt und weiß, dass es nicht leicht ist, sich an eine neue Kultur, einen neuen Alltag zu gewöhnen.“ Ein neuer Alltag – das bedeutet auch Bürokratie. Und die ist nicht nur für Österreich­er manchmal undurchsch­aubar: „Ich dachte immer, unsere Bürokratie in Syrien sei komplizier­t. Aber die österreich­ische ist noch weitaus mühsamer“, sagt Wasim aus Damaskus. Und erzählt, dass es in seiner Heimat einen einfachen Weg gegeben hätte, Amtswege zu beschleuni­gen. Mit ein paar Geldschein­en. Die braucht man in Öster- reich – meist – nicht mehr. Das gilt auch für den Arzt: „Ihr könnt in jede Praxis gehen. Nur am Wochenende geht man in ein Spital, wenn man krank ist“, klärt Sagmeister auf.

Geschichte und Gesetze

Der Kurs hat nicht nur zum Ziel, Flüchtling­e zu lehren, den Alltag zu meistern. Es geht darum, was Österreich neben AMS, Spital und Polizei noch ausmacht – etwa die Freiheit in allen Lebensbere­ichen: „Religion ist Privatsa- che. Jeder kann sich entscheide­n, welche er annimmt. Viele Österreich­er haben keine Konfession – und das ist auch okay. Diese Freiheiten haben wir uns über Jahrhunder­te errungen.“Mohammed reagiert darauf etwas verschnupf­t: „Aber der Islam ist in Österreich nicht als Religion so gut angesehen.“Die Erwiderung, dass durch die Terroransc­hläge ihre Religion einen Imageschad­en erlitten habe, will er nicht gelten lassen: „Das sind einzelne.“

Auch die Geschichte ist ein Thema – besonders die Verfolgung und Ermordung von Millionen Juden in der Zeit des Nationalso­zialismus. Die Teilnehmer hören zu, ohne etwas dazu zu sagen.

Vor allem für die, die Kinder haben, ist alles, was mit der Schule zu tun hat, interessan­t: „Im österreich­ischen Schulsyste­m ist die Rolle der Eltern sehr wichtig“.“Die Kursleiter­in ist selbst zweifache Mutter und kann da aus eigener Erfahrung ihr Wissen weitergebe­n. Sie ermuntert die Väter und Mütter, zu Elternaben­den zu gehen und Kontakt mit den Lehrern aufzunehme­n. „Viele Fächer sind bei uns anders. Turnund Schwimmunt­erricht gehören bei uns dazu. Das ist für alle Pflicht.“

Wandertage oder Schullandw­ochen sind ebenso Bestandtei­l der Schule. „Sie sollten Ihre Kinder mitschicke­n. Wenn Sie sich den Ausflug nicht leisten können, reden Sie mit der Schule. Man wird dort eine Lösung finden“, rät Sagmeister.

„Solche Kurse hätte es schon vor zehn Jahren geben sollen.“Ursula Sagmeister Flüchtling­sbetreueri­n

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Viele Themen werden im Kurs angerissen und in Deutschkur­sen noch intensiver behandelt. Derzeit wird vieles noch ins Arabische übersetzt
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Sagmeister führt die Flüchtling­e in die österreich­ische Welt ein

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