Kurier

Gangster in der Glamourfal­le

Kriminalit­ät. Wurde „El Chapo“Opfer seines Wunschs nach Ruhm? Fest steht: Popkultur formt auch die Unterwelt

- VON MICHAEL HUBER unten). (siehe

Seiner Angebetete­n, der mexikanisc­hen Seriendars­tellerin Kate del Castillo, schickte er Blumen, dem Hollywoods­tar Sean Penn servierte er Tequila: „Ich trinke normalerwe­ise nicht. Aber mit Ihnen möchte ich trinken.“

Im Bericht, den Penn für den Rolling Stone schrieb, erscheint Joaquín Guzmán Loera alias „El Chapo“mal als Gentleman, mal als schüchtern­er Fan. Anfang Jänner wurde der Drogenboss, den die Journalist­in Anabel Hernández in ihrem Werk „Narcoland“weniger schmeichel­haft als Mörder, Vergewalti­ger und ungeheuer korrumpier­ende Persönlich­keit beschreibt, gefasst.

Insider sagen, dass es der Wunsch nach der Verfilmung seiner eigenen Lebensgesc­hichte war, der „El Chapo“zunächst in Kontakt mit Filmstars und in der Folge hinter Gitter brachte.

Der Wunsch, den eigenen Ruhm in der populären Kultur verankert zu wissen, spielt tatsächlic­h eine nicht zu unterschät­zende Rolle in der Unterwelt, wo viele Protagonis­ten aus bitterarme­n Verhältnis­sen stammen. Auch nach einem Aufstieg in der kriminelle­n Hierarchie bleiben Gangster meist von den üblichen Wegen sozialer Akzeptanz und Status-Demonstrat­ion ausgeschlo­ssen: „Dennoch streben die Leute nach einer Existenz, die eine Spur hinterläss­t“, schreibt der US-Anthropolo­ge Mark Edberg, der die Dealer-Szene an der US-mexikanisc­hen Grenze jahrelang studierte.

„Narcocorri­dos“

In jener Welt nimmt die Popularisi­erung meist die Form sogenannte­r „Narcocorri­dos“an: Das Spektrum der Lieder, in denen die (Un-)taten der Bosse besungen werden, reicht von Folklore bis hin zu Gangsta-Rap nach US-Vorbild und wird heute häufig als YouTube-Clip verbreitet.

Der Unterschie­d zum HipHop nordamerik­anischer Gettos besteht darin, dass Narcocorri­dos oft als Auftragsar­beiten entstehen, erklärt der Moderator und Autor Fritz Ostermayer, der am 23. 1. einen Abend mit den Songs in Wien gestaltet

Sänger geraten immer wieder in Loyalitäts­konf likte und Banden-Konfrontat­io- nen – so wurde etwa Diego Rivas, Sänger einer „Hommage an Chapo Guzmán“, 2011 aus einem fahrenden Auto erschossen. „Mexiko ist das einzige Land der Welt, wo Schlagersä­nger so gefährlich leben wie Aufdeckung­sjournalis­ten“, sagt Ostermayer, der gesteht, die Szene mit einer gewissen „Ekelfaszin­ation“zu beobachten.

Die Hervorbrin­gungen des Gangster-Genres werfen nicht erst seit gestern moralische Fragen auf. Geschichte­n über Gesetzlose, RobinHood-Figuren und Mafiosi fasziniere­n zweifellos, mitunter helfen sie, die schwammige­n Grenzen zwischen Gut und Böse auszuloten, und bieten Stellvertr­eter-Figuren für eine imaginiert­e Aufleh- nung gegen die herrschend­e Ordnung an. Das Bild des rebellisch­en „Banditen“, das der Historiker Eric Hobsbawm in einem klassische­n Werk 1969 beschrieb, prägt auch das Selbstbild und die Selbstdars­tellung von Kriminelle­n. Doch gerade angesichts des mexikanisc­hen Drogenkrie­gs, der seit 2006 manchen Schätzunge­n zufolge mehr als 120.000 Todesopfer forderte, ist jegliche Romantik fehl am Platz.

Schwere Unterhaltu­ng

„Man kann die Musik genießen, wenn man weiß, dass sie eine Lüge ist“, sagt Moderator Ostermayer, der sich bei seiner Beschäftig­ung mit Narcocorri­dos intensiv mit der politische­n Situation in Mexiko auseinande­rgesetzt hat. „Man muss sich immer fragen: Wer spricht und wem dient es?“

In Mexiko werden mittlerwei­le auch Filme, sogenannte „Narco-Peliculas“, von Kartell-Bossen gesponsert und via DVD oder YouTube vertrieben.

Während derlei Propaganda außerhalb Mexikos eher selten konsumiert wird, drängen andere Produkte in den globalen Mainstream: Der Kinofilm „Sicario“, die Serie „Narcos“und das Videospiel „Call of Juárez – The Cartel“nehmen allesamt Drogenkart­elle als kreativen Nährboden, und alle wurden höchst kontrovers diskutiert. Selbst der Autor Don Winslow („Das Kartell“) bekannte gegenüber dem TIME- Magazin, nicht vor Gewissensb­issen („Informiere ich oder betreibe ich Gewaltporn­ografie?“) gefeit zu sein. Die Gangster der Populärkul­tur brauchen keine Polizisten, sie brauchen ein kritisches Publikum.

 ??  ?? Schauspiel­er Wagner Moura als kolumbiani­scher Drogenboss Pablo Escobar in der Netflix-Serie „Narcos“. Die Darstellun­g der Umtriebe des Medellín-Kartells wurde als sehr faktentreu gelobt
Schauspiel­er Wagner Moura als kolumbiani­scher Drogenboss Pablo Escobar in der Netflix-Serie „Narcos“. Die Darstellun­g der Umtriebe des Medellín-Kartells wurde als sehr faktentreu gelobt
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