Gangster in der Glamourfalle
Kriminalität. Wurde „El Chapo“Opfer seines Wunschs nach Ruhm? Fest steht: Popkultur formt auch die Unterwelt
Seiner Angebeteten, der mexikanischen Seriendarstellerin Kate del Castillo, schickte er Blumen, dem Hollywoodstar Sean Penn servierte er Tequila: „Ich trinke normalerweise nicht. Aber mit Ihnen möchte ich trinken.“
Im Bericht, den Penn für den Rolling Stone schrieb, erscheint Joaquín Guzmán Loera alias „El Chapo“mal als Gentleman, mal als schüchterner Fan. Anfang Jänner wurde der Drogenboss, den die Journalistin Anabel Hernández in ihrem Werk „Narcoland“weniger schmeichelhaft als Mörder, Vergewaltiger und ungeheuer korrumpierende Persönlichkeit beschreibt, gefasst.
Insider sagen, dass es der Wunsch nach der Verfilmung seiner eigenen Lebensgeschichte war, der „El Chapo“zunächst in Kontakt mit Filmstars und in der Folge hinter Gitter brachte.
Der Wunsch, den eigenen Ruhm in der populären Kultur verankert zu wissen, spielt tatsächlich eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Unterwelt, wo viele Protagonisten aus bitterarmen Verhältnissen stammen. Auch nach einem Aufstieg in der kriminellen Hierarchie bleiben Gangster meist von den üblichen Wegen sozialer Akzeptanz und Status-Demonstration ausgeschlossen: „Dennoch streben die Leute nach einer Existenz, die eine Spur hinterlässt“, schreibt der US-Anthropologe Mark Edberg, der die Dealer-Szene an der US-mexikanischen Grenze jahrelang studierte.
„Narcocorridos“
In jener Welt nimmt die Popularisierung meist die Form sogenannter „Narcocorridos“an: Das Spektrum der Lieder, in denen die (Un-)taten der Bosse besungen werden, reicht von Folklore bis hin zu Gangsta-Rap nach US-Vorbild und wird heute häufig als YouTube-Clip verbreitet.
Der Unterschied zum HipHop nordamerikanischer Gettos besteht darin, dass Narcocorridos oft als Auftragsarbeiten entstehen, erklärt der Moderator und Autor Fritz Ostermayer, der am 23. 1. einen Abend mit den Songs in Wien gestaltet
Sänger geraten immer wieder in Loyalitätskonf likte und Banden-Konfrontatio- nen – so wurde etwa Diego Rivas, Sänger einer „Hommage an Chapo Guzmán“, 2011 aus einem fahrenden Auto erschossen. „Mexiko ist das einzige Land der Welt, wo Schlagersänger so gefährlich leben wie Aufdeckungsjournalisten“, sagt Ostermayer, der gesteht, die Szene mit einer gewissen „Ekelfaszination“zu beobachten.
Die Hervorbringungen des Gangster-Genres werfen nicht erst seit gestern moralische Fragen auf. Geschichten über Gesetzlose, RobinHood-Figuren und Mafiosi faszinieren zweifellos, mitunter helfen sie, die schwammigen Grenzen zwischen Gut und Böse auszuloten, und bieten Stellvertreter-Figuren für eine imaginierte Aufleh- nung gegen die herrschende Ordnung an. Das Bild des rebellischen „Banditen“, das der Historiker Eric Hobsbawm in einem klassischen Werk 1969 beschrieb, prägt auch das Selbstbild und die Selbstdarstellung von Kriminellen. Doch gerade angesichts des mexikanischen Drogenkriegs, der seit 2006 manchen Schätzungen zufolge mehr als 120.000 Todesopfer forderte, ist jegliche Romantik fehl am Platz.
Schwere Unterhaltung
„Man kann die Musik genießen, wenn man weiß, dass sie eine Lüge ist“, sagt Moderator Ostermayer, der sich bei seiner Beschäftigung mit Narcocorridos intensiv mit der politischen Situation in Mexiko auseinandergesetzt hat. „Man muss sich immer fragen: Wer spricht und wem dient es?“
In Mexiko werden mittlerweile auch Filme, sogenannte „Narco-Peliculas“, von Kartell-Bossen gesponsert und via DVD oder YouTube vertrieben.
Während derlei Propaganda außerhalb Mexikos eher selten konsumiert wird, drängen andere Produkte in den globalen Mainstream: Der Kinofilm „Sicario“, die Serie „Narcos“und das Videospiel „Call of Juárez – The Cartel“nehmen allesamt Drogenkartelle als kreativen Nährboden, und alle wurden höchst kontrovers diskutiert. Selbst der Autor Don Winslow („Das Kartell“) bekannte gegenüber dem TIME- Magazin, nicht vor Gewissensbissen („Informiere ich oder betreibe ich Gewaltpornografie?“) gefeit zu sein. Die Gangster der Populärkultur brauchen keine Polizisten, sie brauchen ein kritisches Publikum.