Mikrobiom. Die Zahl der in und an uns lebenden Bakterien übersteigt die Zahl der Körperzellen bei Weitem. Mehr als 10.000 Arten sollen es sein. Ihre vielfältigen Einflüsse auf die Gesundheit dürften viel größer sein als bisher gedacht.
Beeren, Nüsse, Samen aller Art: Eichhörnchen ernähren sich wirklich gesund, ihre Darmbakterien müssen sich nicht mit Junk Food herumschlagen. Und trotzdem kann den kleinen Organismen manchmal alles zu viel werden: Je höher der Spiegel an Stresshormonen im Blut der Eichhörnchen, umso geringer die Vielfalt an Mikroorganismen in ihrem Darm, zeigte eine Studie, für die einige der Nager aus einem Park in Ontario untersucht wurden. Überdies war der Anteil potenziell schädlicher Mikroorganismen in ihrem Darm höher.
Bei Schimpansen in Tansania zeigte sich: Je mehr soziale Kontakte ein Tier zu Artgenossen hat, umso vielfältiger ist die Bakterienwelt im Darm. „Momentan überschlagen sich die Veröffentlichungen zu einzelnen Fak- toren, die einen Einf luss auf die Vielfalt der Mikroorganismen im Körper – das Mikrobiom – haben. Ganz besonders auf die Mikroorganismen im Darm“, sagt Neurogastroenterologe (Magen-Darm
Nerven-Spezialist) Univ.-Prof. Peter Holzer von der MedUni Graz.
Eine wesentliche Rolle – aber eben nicht die einzige – spielt natürlich die Ernährung: „Bei Menschen, die von einer US-Metropole nach Südostasien gereist sind, konnte man innerhalb von nur fünf Tagen eine gewaltige Änderung ihres Darmmikrobioms sehen – natürlich durch die andere Ernährung, aber auch durch das ge- samte Umfeld – Bakterien schwirren ja zumindest in kleinen Mengen überall herum.“
Für eine andere Studie wurde die Darmbakterienwelt von Jugendlichen aus Italien mit jener von jungen Menschen aus Burkina Faso verglichen: „Die Unterschiede sind so groß, dass man glaubt, es handelt sich um Lebewesen von zwei Welten.“
Durchlässiger Darm
Immer mehr Daten zeigen:„Eine unausgewogene Zusammensetzung der Bakterienwelt im Darm könnte eine Rolle bei der Entstehung von Übergewicht, Stoffwechsel- und Autoimmunerkrankungen sowie psychischen Störungen spielen.“
In einem gesunden Darm und einer gesunden Darmflora dringen keine Bakterien und nur eine begrenzte Menge ihrer Stoffwechselprodukte in die Darmschleimhaut ein – und durch diese hindurch. „Aber bei einer verarmten Darmflora kann es zu einem ,leaky gut‘, ei- nem durchlässigen Darm, kommen. Dann aktivieren Bakterien Immunzellen in der Darmschleimhaut. Diese können dann zum Beispiel vermehrt Zytokine freisetzen, die Entzündungsreaktionen – etwa bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen – antreiben.“
Aber auch bei Depressionen könnte ein durchlässiger Darm eine Rolle spielen: „Man hat im Blut depressiver Menschen erhöhte Zytokinkonzentrationen gefunden. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit einer undichten Darmbarriere und einer starken Reaktion des Immunsystems.“Erste Untersuchungen hätten gezeigt, dass bei Jugendlichen, die sich sehr fettreich, mit viel Junk Food und industriellen Fertigprodukten ernähren, das Risiko einer Depression erhöht ist.
„Aus Versuchen mit Mäusen wiederum wissen wir: Verarmt die Artenvielfalt ihres Darmmikrobioms durch heftige Antibiotikatherapien, können Gedächtnisstörungen eine Folge sein. Die Merkfähigkeit der Mäuse ist reduziert.“Und bei Kindern gebe es Hinweise darauf, dass eine häufige Behandlung mit Antibiotika in den ersten Lebensjahren ein Risikofaktor für entzündliche Darmerkrankungen, Asthma oder Allergien ist.
„Im Detail verstehen wir hier die Zusammenhänge noch nicht“, sagt Holzer: „Man nimmt an, dass es rund drei bis vier Jahre dauert, bis sich das Darmmikrobiom eines Kindes entwickelt hat – und dass dies parallel mit der Ausbildung des Immunsystems passiert.“Die Darmbakterien würden das Immunsystem dazu erziehen, einerseits harmlose fremde Organismen zu tolerieren, „andererseits aber auch seiner Aufgabe nachzukommen, gefährliche Keime zu erkennen und zu bekämpfen“. Überreaktionen des Immunsys- tems auf harmlose Pollen oder körpereigenes Gewebe etwa könnten damit zu tun haben, dass diese „Erziehung“durch die Bakterien nicht richtig abgelaufen ist: „Natürlich sind das Hypothesen, aber es gibt einige gute Anhaltspunkte dafür.“
Immer klarer werde auch, dass das Darmmikrobiom „mit allen Kommunikationswegen im Körper in Verbindung steht“– und seine Signale auf mehreren Wegen ins Gehirn gelangen. „Und dort können sie unter andrem das Sättigungs- und das Hungergefühl mitbeeinflus- sen.“Bei übergewichtigen Menschen sind bestimmte Darmbakterien auch dazu in der Lage, mehr Energie aus der Nahrung herauszuholen und dem Körper zur Verfügung zu stellen.
„Diese Forschung bringt viele bisher nicht bekannte Zusammenhänge ans Licht“, sagt Holzer, der an der MedUni Graz Projekte zu dem Thema leitet. „Aber manchmal muss ich die Begeisterung vieler Menschen für dieses Thema auch dämpfen: Nicht alles können wir mit dem Mikrobiom erklären. Wir haben noch Arbeit für Jahrzehnte.“