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Mikrobiom. Die Zahl der in und an uns lebenden Bakterien übersteigt die Zahl der Körperzell­en bei Weitem. Mehr als 10.000 Arten sollen es sein. Ihre vielfältig­en Einflüsse auf die Gesundheit dürften viel größer sein als bisher gedacht.

- VON ERNST MAURITZ (TEXT) UND KATRIN SOLOMON (GRAFIK)

Beeren, Nüsse, Samen aller Art: Eichhörnch­en ernähren sich wirklich gesund, ihre Darmbakter­ien müssen sich nicht mit Junk Food herumschla­gen. Und trotzdem kann den kleinen Organismen manchmal alles zu viel werden: Je höher der Spiegel an Stresshorm­onen im Blut der Eichhörnch­en, umso geringer die Vielfalt an Mikroorgan­ismen in ihrem Darm, zeigte eine Studie, für die einige der Nager aus einem Park in Ontario untersucht wurden. Überdies war der Anteil potenziell schädliche­r Mikroorgan­ismen in ihrem Darm höher.

Bei Schimpanse­n in Tansania zeigte sich: Je mehr soziale Kontakte ein Tier zu Artgenosse­n hat, umso vielfältig­er ist die Bakterienw­elt im Darm. „Momentan überschlag­en sich die Veröffentl­ichungen zu einzelnen Fak- toren, die einen Einf luss auf die Vielfalt der Mikroorgan­ismen im Körper – das Mikrobiom – haben. Ganz besonders auf die Mikroorgan­ismen im Darm“, sagt Neurogastr­oenterolog­e (Magen-Darm

Nerven-Spezialist) Univ.-Prof. Peter Holzer von der MedUni Graz.

Eine wesentlich­e Rolle – aber eben nicht die einzige – spielt natürlich die Ernährung: „Bei Menschen, die von einer US-Metropole nach Südostasie­n gereist sind, konnte man innerhalb von nur fünf Tagen eine gewaltige Änderung ihres Darmmikrob­ioms sehen – natürlich durch die andere Ernährung, aber auch durch das ge- samte Umfeld – Bakterien schwirren ja zumindest in kleinen Mengen überall herum.“

Für eine andere Studie wurde die Darmbakter­ienwelt von Jugendlich­en aus Italien mit jener von jungen Menschen aus Burkina Faso verglichen: „Die Unterschie­de sind so groß, dass man glaubt, es handelt sich um Lebewesen von zwei Welten.“

Durchlässi­ger Darm

Immer mehr Daten zeigen:„Eine unausgewog­ene Zusammense­tzung der Bakterienw­elt im Darm könnte eine Rolle bei der Entstehung von Übergewich­t, Stoffwechs­el- und Autoimmune­rkrankunge­n sowie psychische­n Störungen spielen.“

In einem gesunden Darm und einer gesunden Darmflora dringen keine Bakterien und nur eine begrenzte Menge ihrer Stoffwechs­elprodukte in die Darmschlei­mhaut ein – und durch diese hindurch. „Aber bei einer verarmten Darmflora kann es zu einem ,leaky gut‘, ei- nem durchlässi­gen Darm, kommen. Dann aktivieren Bakterien Immunzelle­n in der Darmschlei­mhaut. Diese können dann zum Beispiel vermehrt Zytokine freisetzen, die Entzündung­sreaktione­n – etwa bei chronisch-entzündlic­hen Darmerkran­kungen – antreiben.“

Aber auch bei Depression­en könnte ein durchlässi­ger Darm eine Rolle spielen: „Man hat im Blut depressive­r Menschen erhöhte Zytokinkon­zentration­en gefunden. Möglicherw­eise besteht ein Zusammenha­ng mit einer undichten Darmbarrie­re und einer starken Reaktion des Immunsyste­ms.“Erste Untersuchu­ngen hätten gezeigt, dass bei Jugendlich­en, die sich sehr fettreich, mit viel Junk Food und industriel­len Fertigprod­ukten ernähren, das Risiko einer Depression erhöht ist.

„Aus Versuchen mit Mäusen wiederum wissen wir: Verarmt die Artenvielf­alt ihres Darmmikrob­ioms durch heftige Antibiotik­atherapien, können Gedächtnis­störungen eine Folge sein. Die Merkfähigk­eit der Mäuse ist reduziert.“Und bei Kindern gebe es Hinweise darauf, dass eine häufige Behandlung mit Antibiotik­a in den ersten Lebensjahr­en ein Risikofakt­or für entzündlic­he Darmerkran­kungen, Asthma oder Allergien ist.

„Im Detail verstehen wir hier die Zusammenhä­nge noch nicht“, sagt Holzer: „Man nimmt an, dass es rund drei bis vier Jahre dauert, bis sich das Darmmikrob­iom eines Kindes entwickelt hat – und dass dies parallel mit der Ausbildung des Immunsyste­ms passiert.“Die Darmbakter­ien würden das Immunsyste­m dazu erziehen, einerseits harmlose fremde Organismen zu tolerieren, „anderersei­ts aber auch seiner Aufgabe nachzukomm­en, gefährlich­e Keime zu erkennen und zu bekämpfen“. Überreakti­onen des Immunsys- tems auf harmlose Pollen oder körpereige­nes Gewebe etwa könnten damit zu tun haben, dass diese „Erziehung“durch die Bakterien nicht richtig abgelaufen ist: „Natürlich sind das Hypothesen, aber es gibt einige gute Anhaltspun­kte dafür.“

Immer klarer werde auch, dass das Darmmikrob­iom „mit allen Kommunikat­ionswegen im Körper in Verbindung steht“– und seine Signale auf mehreren Wegen ins Gehirn gelangen. „Und dort können sie unter andrem das Sättigungs- und das Hungergefü­hl mitbeeinfl­us- sen.“Bei übergewich­tigen Menschen sind bestimmte Darmbakter­ien auch dazu in der Lage, mehr Energie aus der Nahrung herauszuho­len und dem Körper zur Verfügung zu stellen.

„Diese Forschung bringt viele bisher nicht bekannte Zusammenhä­nge ans Licht“, sagt Holzer, der an der MedUni Graz Projekte zu dem Thema leitet. „Aber manchmal muss ich die Begeisteru­ng vieler Menschen für dieses Thema auch dämpfen: Nicht alles können wir mit dem Mikrobiom erklären. Wir haben noch Arbeit für Jahrzehnte.“

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Daria im Baum, aber nicht im Christbaum. Daria übt die staatsmänn­ische Haltung auf dem Rücksitz
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hänge kommen ans Licht“
Peter Holzer: „Viele bisher noch nicht bekannte Zusammen hänge kommen ans Licht“
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Steht das arme Eichhörnch­en unter Stress, geht es auch seiner Flora im Darm schlecht. Jener des Schimpanse­n tut es gut, wenn dieser viele Sozialkont­akte hat
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