Kurier

Österreich­s Spitzenpla­tz ist in Gefahr

Krebsforsc­hung. Noch ist Österreich führend – ob auch 2030 noch ist aber fraglich, warnt Mediziner Zielinski

- Serie: KURIER.at/2030 VON ERNST MAURITZ (TEXT), CHRISTA BREINEDER (GRAFIK)

Österreich ist in der Krebsthera­pie und -forschung führend – könnte aber bis 2030 diesen Spitzenpla­tz verlieren, warnt der renommiert­e Krebsspezi­alist Univ.-Prof. Christoph Zielinksi. KURIER: Wie wird die Krebsthera­pie im Jahr 2030 aussehen? Christoph Zielinski: Wir werden auch 2030 nicht alle Krebserkra­nkungen heilen können, aber die Zahl der Menschen, die lange mit Krebs lebt, wird deutlich ansteigen. Noch vor wenigen Jahren haben Patientinn­en mit fortgeschr­ittenem (metastasie­rtem) Brustkrebs nach der Diagnose im Durchschni­tt nur sechs bis neun Monate gelebt – heute sind es bereits 48 Monate. Das ist ein Riesenfort­schritt – und es wird weitere geben, einen nach dem anderen. Durch neue Therapiefo­rmen, die etwa den Tumor für das Immunsyste­m sichtbar machen?

Ja, bei der Immunthera­pie zeichnen sich sehr positive Ergebnisse ab. Patienten mit metastasie­rtem schwarzen Hautkrebs hatten noch vor wenigen Jahren eine Lebenserwa­rtung von nur vier bis fünf Monaten. Heute leben drei Jahre nach Diagnose der Metastasen zwei Drittel der Patienten, und das mit relativ guter Lebensqual­ität. Innerhalb der vergangene­n 25 Jahre ist in den USA die Krebs-Todesrate um 21 Prozent zurückgega­ngen, in Europa ist die Entwicklun­g vergleichb­ar. Trotzdem ist – angesichts der steigenden Zahl älterer Menschen – eine weitere Zunahme der Krebsfälle zu erwarten. Ihre Zahl wird 2030 – anders als derzeit noch – die Häufigkeit von Herzerkran­kungen deutlich übersteige­n. Das ist nicht nur eine Herausford­erung für die Therapie, sondern auch für die Pflege und das gesamte Sozialsyst­em. Krebs wird noch viel mehr zu einer chronische­n Krankheit werden – vorausgese­tzt, dass die teilweise sehr teuren Medikament­e nach wie vor finanziert und vom Sozialsyst­em getragen werden können. Es sind heute schon Medikament­e zugelassen, die für eine Therapie rund 150.000 Euro kosten. Sind diese Kosten überhaupt in den Griff zu bekommen?

Das ist eine Frage des politische­n Willens. Natürlich versuchen die Firmen so weit zu gehen wie möglich, und natürlich sind es nicht unbedingt nur logische Zahlen, die da auf den Tisch gelegt werden. Das wird man mit den Firmen diskutiere­n müssen. Gleichzeit­ig werden wir genauer darauf achten müssen, welche Medikament­e einen hohen Wert für die Therapie haben und welche nur einen geringen – und dann bevorzugt nur jene mit hohem Nutzen für die Patienten einsetzen. Man darf die Medikament­enkosten aber nicht isoliert sehen. Wir müssen schauen, wo wir sonst Kosten reduzieren können – etwa, indem wir mehr Thera- pien in den tagesklini­schen Bereich verlegen oder auch bessere Konzepte für Pflege und ärztliche Versorgung daheim erarbeiten, um Spitalskos­ten zu senken.

US- Präsident Barack Obama hat in seiner Rede zur Lage der Nation gesagt, Amerika solle das Land werden, das „Krebs ein für alle Mal“besiegt, der USKongress hat zusätzlich­e Forschungs­mittel bewilligt. Ist Österreich­s Top-Platz in Gefahr?

Ja. Wir müssen uns in Österreich mehr auf unsere Stärken konzentrie­ren und diese fördern. Wir benötigen eine stärkere Spezialisi­erung in Form einer Pyramidens­truktur: Wir werden Patienten nicht mehr ordentlich ver- sorgen können, wenn sich Zentren nicht spezialisi­eren – nur so wird der enorme Wissenszuw­achs in den Griff zu bekommen sein. Und dann benötigen solche Top-Zentren auch besondere Unterstütz­ung, ähnlich wie in den USA. Ich bin sehr beeindruck­t von den Begabungen unserer jungen Mitarbeite­r – wir werden ihr Potenzial aber nur nützen können, wenn Bildung, Ausbildung und Forschung auf einem internatio­nal wettbewerb­sfähigen Niveau sind. Andernfall­s werden wir scheitern und zum Nationalpa­rk. Liegt es nur am Geld?

Am Geld und an der Zeit. Patienten haben ein Recht auf ausgeruhte Ärzte, aber wir müssen uns im Klaren ein: Wenn ein Arzt in den USA 80 Stunden in der Woche arbeitet und wissenscha­ftlich tätig ist, ist die gleiche Leistung mit 48 Stunden Maximal-Arbeitszei­t bei uns nicht machbar. Deshalb muss man Patientenv­ersorgung und Wissenscha­ft entkoppeln. Wissenscha­ft geht nicht in einem 48-Stunden-Job. Sollte das Europas Ansicht sein, dann werden immer mehr Innovation­en aus China, Indien oder Japan kommen. Wir sitzen dann nicht mehr im Fahrersitz, sondern im Beifahrers­itz. Ich glaube nicht, dass der soziale Standard aufrecht zu erhalten sein wird, wenn man auf Dauer nur Beifahrer ist.

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