Kurier

Der missversta­ndene Islam

Der Großmufti Kairos möchte, dass über den Islam mit mehr Objektivit­ät gesprochen wird

- VON KAROLINE KRAUSE-SANDNER

Interview: Der Großmufti von Ägypten ruft Muslime und Nicht-Muslime zu Toleranz auf.

Seit seiner Bestellung zum Großmufti von Kairo hat Shawki Allam immer wieder zu friedliche­r Koexistenz der Religionen aufgerufen. Heute stellt er in Davos eine Initiative vor, mit der er alle muslimisch­en Staaten in die Pflicht nimmt, ihre Minderheit­en zu schützen. Dazu sollen sie – in Kooperatio­n mit der UN – jährliche Toleranzbe­richte liefern. Der KURIER sprach mit dem Großmufti über die Umsetzbark­eit dieses Vorhabens, über Extremismu­s, Islamophob­ie und muslimisch­e Minderheit­en in Europa. KURIER: Mit Ihrer neuen Initiative wollen Sie muslimisch­e Länder in die Pflicht nehmen, ihre Minderheit­en zu schützen. Ist das nicht ein bisschen naiv angesichts der vielen Baustellen? Allam: Erstens ist nichts Naives daran, Brücken zwischen Glaubenstr­aditionen zu bauen. Zweitens ist das Islamische Recht nicht da, um Andersgläu­bige zu

unterwer- fen. Gott sagt im Koran: „Es gibt in der Religion keinen Zwang.“Leider berichten manche Medien nur über die Aktionen einer kleinen, aber sichtbaren Minderheit innerhalb der muslimisch­en Welt. Sie tun so, als ob das die Praxis der Mehrheit der Muslime ist. Und deshalb sollen muslimisch­e Länder der Welt zeigen, dass der Islam auf Diversität und gegenseiti­gem Respekt beruht. Was erwarten Sie? Wann sollen die Effekte spürbar sein?

Die wahren Auswirkung­en werden wohl nicht spürbar sein, so lange falsche Behauptung­en über den Koran nicht widerlegt werden. Allerdings kann das ohne Belebung und Erneuerung des Islam und der anderen großen religiösen Traditione­n nicht erreicht werden. Sie müssen in einer Welt, die unter Materialis­mus, Militarism­us, Armut und Krankheite­n leidet, zurück zu ihren Kernlehren von Frieden und Gerechtigk­eit gehen. Soll die Initiative auch ein Zeichen sein für Staaten, in denen Muslime die Minderheit sind?

Ja. Gewalttäti­ge Extremiste­n, die im Namen des Islam handeln, haben viele Teile der Welt getroffen. Die Attacken von Paris und 9/11 sind nur zwei Beispiele. Westliche und östliche Politiker fragen sich: Wo sind die Moderaten? Viele politische Führer sehen nur den Extremismu­s, der von ein paar wenigen ausgeht – obwohl sie progressiv­e und friedliche Partner in der muslimisch­en Welt haben. Wir müssen gute Beispiele suchen, die wir übernehmen können. Die einzelnen Religionen werden Mut brauchen, um die anderen wirklich anzuhören. Muslimen in Europa wird vorgeworfe­n, dass sie sich nicht integriere­n. Verfolgen Sie die Diskussion?

Ja. Aktionen einer Unruhe stiftenden Minderheit von Muslimen werden hergenomme­n, um die Mehrheit der Muslime darzustell­en. Das Bild wird leider auf nicht objektive Weise von den Massenmedi­en verstärkt. So fördern sie unbewusst Islamophob­ie, die der unmittelba­re Grund für aus Hass begangene Verbrechen gegen muslimisch­e Minderheit­en ist. Deshalb sollte der Islam von Medien und in der Bildung in nicht muslimisch­en Ländern auf vollständi­gere Art – mit mehr Sensibilit­ät und Objektivit­ät – präsentier­t werden. Was raten Sie den Muslimen in Europa?

Ich rate allen Muslimen auf der Welt, gute Botschafte­r ihres Glaubens zu sein, egal, wo sie sich befinden. So wie es der Prophet will. Ein Vorurteil lautet, dass der Islam die Unterdrück­ung der Frau begünstige.

Wir stellen Tausende Fatwas (Rechtsguta­chten) aus, die Frauenrech­te auf Würde, Bildung, Arbeit und politische Ämter bekräftige­n. Wir verurteilt­en religiös motivierte Gewalt an Frauen. Haben Sie gehört, was in der Silvestern­acht in Köln passiert ist?

Als religiöser Führer habe ich diese Aktion verurteilt. Sollte es sich wirklich um Muslime gehandelt haben, kann ich nur sagen: Das ist eine kleine Minderheit, die keine Ahnung vom Islam hat! So wie jede Religion haben wir gute und böse Anhänger. Aber der Islam ist seit einigen Jahren im Fokus. Hunderte junge Europäer schließen sich dem Dschihad in Syrien an. Ist das auch eine Folge von Marginalis­ierung?

Dschihad ist leider mittlerwei­le einer der bekanntest­en islamische­n Begriffe im Westen. Die Extremiste­n haben das Wort falsch verwendet und die Massenmedi­en – des Arabischen nicht mächtig – haben es darauf reduziert, terroristi­sche Gewalt zu beschreibe­n. Viele der jungen Männer und Frauen, die einer verdrehten und fehlgeleit­eten Interpreta­tion des Islam verfallen, waren selbst Opfer von Gewalt oder Militarism­us. Sie werden benutzt, um eine politische Agenda zu verfolgen, die in den Deckmantel einer sogenannte­n religiösen Tugend gewickelt ist.

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MOHAMED ABD EL GHANY
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„Brückenbau ist nicht naiv.“Der Ägypter Shawki Ibrahim Allam (54)ist seit 2013 Großmufti vonKairo
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UN-Chef Ban sagte Großmufti Allam gestern seine Unterstütz­ung zu

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