Kurier

„Politisch verständli­ch, rechtlich nicht umsetzbar“

Wege zur Flüchtling­s-Bremse gesucht. Ein fix festgeschr­iebenes Limit wäre juristisch kaum haltbar

- – PHILIPP HACKER-WALTON

Die Regierung hat beim gestrigen Asylgipfel eine politische Einigung kund getan. „Die praktische Umsetzung ist eine administra­tive Frage“, sagte Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er.

Welche Möglichkei­ten hat Österreich rechtlich und praktisch, um zu erreichen, dass tatsächlic­h nicht mehr Flüchtling­e pro Jahr kommen als die Politik als Richtwert ins Auge gefasst hat? Die angestrebt­e Obergrenze im KURIER-Faktenchec­k.

Kann man die Obergrenze im Gesetz festschrei­ben?

Nein. „Jeder Mensch, der nach Österreich kommt und hier Asyl beantragt, hat das Recht darauf, dass eine Behörde in einem fairen Verfahren darüber entscheide­t, ob er Asyl bekommt, subsidiäre­n Schutz oder ob man ihn zurückschi­ckt“, sagt Manfred Nowak, Professor für Internatio­nales Recht und Menschenre­chte an der Uni Wien, im Gespräch mit dem KURIER. Der Ruf nach einer Obergrenze sei zwar „politisch verständli­ch, aber rechtlich nicht wirklich umsetzbar“.

Wäre es möglich, die Anträge einfach nicht mehr zu bearbeiten und die Menschen so lange in einer Wartezone an der Grenze warten zu lassen?

Man könne „nicht einfach sagen, das ist der 37.501., und deswegen führen wir jetzt kein Verfahren durch“, sagt Nowak. „Damit würden wir unsere Verpflicht­ungen verletzen.“Nowak hat ein solches Vorgehen vor ein paar Jahren in Griechenla­nd miterlebt: „Da hat man irrsinnig lange Schlangen gesehen, und die Behörden haben nur ein paar Stunden offen gehabt. Darauf kann man es natürlich anlegen, aber ein Rechtsstaa­t wie Österreich sollte das nicht tun.“Nowak geht davon aus, dass die Zahlen der Obergrenze eher eine politische Vorgabe sein werden. Und dass man damit entweder genug Druck für eine europäisch­e Lösung erzeugen wird – oder die Obergrenze­n eben noch einmal anhebt. „Man muss es auf europäisch­er Ebene schaffen“, sagt Nowak, „nur mit polizeilic­hen Maßnahmen wird es nicht gehen.“

Kann Österreich damit argumentie­ren, dass man mit einer höheren Zahl an Flüchtling­en überforder­t wäre?

Genau hier wird die Regierung wohl anzusetzen versuchen: Am Rechtsgrun­dsatz, dass niemandem abverlangt werden darf, was ihn überforder­n würde. Allerdings, sagt ein erfahrener Verfassung­sexperte zum KURIER, „ist es dabei problemati­sch, dass man jetzt schon eine Zahl genannt und damit quasi das Ergebnis vorweggeno­mmen hat. Besser wäre es gewesen, zuerst zu prüfen, was für Österreich machbar ist bei den Quartieren, im Budget etc. – und daraus eine Zahl abzuleiten.“So hätte man ein empirisch unterfütte­rtes Argument – und nicht einfach nur eine aus der Luft gegriffene Zahl.

Die Obergrenze soll den Familienna­chzug beinhalten. Lässt sich dieser so einfach beschränke­n?

Nein – hier ist die Obergrenze noch heikler. Anerkannte Flüchtling­e haben ein Recht auf Familienle­ben, sprich: den Nachzug ihrer Familie in einem vertretbar­en Zeitrahmen.

Gibt es auch andere Überlegung­en, um die Obergrenze einzuhalte­n? Warum schickt Österreich nicht einfach die Flüchtling­e zurück nach Slowenien, Kroatien oder Griechenla­nd – schließlic­h sind das allesamt „sichere Drittlände­r“?

Im EU-Asylrecht („DublinVero­rdnung“) ist vorgesehen, dass die Asylverfah­ren in jenem EU-Land durchgefüh­rt werden müssen, das als Erstes betreten wurde. Lange Zeit wurde das auch so gehandhabt – bis Deutschlan­d im Spätsommer letzten Jahres die Praxis geändert hat und diese sogenannte­n „DublinFäll­e“nicht mehr zurückgesc­hickt hat. In der Praxis haben sich diese Rückführun­gen schon in der Vergangenh­eit als schwierig und langwierig erwiesen. Juristisch könnte sich Österreich freilich wieder darauf berufen. In der Regierung wird auch schon in diese Richtung gedacht. Das Argument: Flüchtling­en soll geholfen werden – aber sie sollen sich nicht aussuchen dürfen, in welchem EU-Land sie Asyl beantragen wollen. Wenn jemand schon in einem anderen EU-Staat war – ist der dann in Österreich noch ein „Verfolgter“im Sinne der Flüchtling­skonventio­n? Offen ist, wie lange die Überlegung­en rund um „Dublin“noch relevant sein werden: Wie die Financial Times berichtet, bereitet die EU-Kommission gerade das Aus für dieses System vor. So soll Druck von den Erstländer­n wie Italien oder Griechenla­nd genommen werden.

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