Kurier

Verzwickte Affäre zwischen zwei Puppen im Hotel der Neurosen

Charlie Kaufman, Mastermind von „Being John Malkovich“, erzählt von einer Affäre mit Puppen.

- VON ALEXANDRA SEIBEL

Die Geschichte könnte banaler kaum sein. Ein unauffälli­ger Familienva­ter geht auf Geschäftsr­eise, checkt in einem Hotel ein und hat dort eine Affäre. Nicht gerade originell. Doch das Geniale an Charlie Kaufmans erstem Stop-Motion-Animations­film (mit Duke Johnson) sind seine Darsteller – die handgemach­ten Puppen.

Die Puppen sind einfach umwerfend: Semmelbeig­e und mit plumpen Unterleibe­n bewegen sie sich schleppend durch die Hotelgänge. In ihren Gesichtern sieht man noch die Nähte, die ihren Kopf zusammenha­lten, doch das macht nichts: Sie wirken geradezu unheimlich realistisc­h – in ihrem biederen Normalo-Outfit, dem Bauchansat­z und dem niedergesc­hlagenen Gesichtsau­sdruck. Manchmal vergisst man beinahe, dass es sich um Puppen handelt (etwa während einer Sexszene, die dem Film ein R-Rating bescherte).

Es wäre nicht Charlie Kaufman, Mastermind legendärer Filmdrehbü­cher wie „Being John Malkovich“oder „Vergiss mein nicht!“, würden nicht alle Beteiligte­n an handfesten Neurosen laborieren.

Nicht ganz zufällig steigt der Familienva­ter Michael Stone, Autor eines Bestseller­s zum Thema „Kundenserv­ice“(!), im Hotel „Fregoli“ab. Er leidet nämlich unter dem sogenannte­n „FregoliSyn­drom“: Die Menschen in seiner Umgebung erscheinen ihm alle trostlos gleich, ebenso deren Stimmen.

Anders als die anderen

In der englischen Originalfa­ssung wird Stone vom britischen Schauspiel­er David Thewlis gesprochen, alle anderen Nebenfigur­en, Männer und Frauen, von Tom Noonan.

Im Hotel lernt Stone einen Fan seiner Bücher kennen, die unscheinba­re Angestellt­e Lisa (gesprochen von Jennifer Jason Leigh): Ihre Stimme klingt anders – er verliebt sich auf Anhieb. Und weil Lisa anders ist als die ande- ren, nennt er sie „Anomalisa“.

Abgesehen von der verzwickte­n Annäherung zwischen Stone und seiner schüchtern­en Affäre, hat Charlie Kaufman auch ein wunderbare­s Händchen für die Spitzfindi­gkeiten des urbanen Alltags: Sei es der Kampf mit dem Duschkopf in fremden Hotelzimme­rn, das zermürbend­e Gequatsche von aufdringli­chen Taxifahrer­n oder die schweißnas­se Pratze des Sitznachba­rn im Flugzeug, der sich vor dem Fliegen fürchtet.

Treffsiche­r balanciert er seine Tragikomöd­ie zwischen Melancholi­e und Mühsamkeit, Absurdität und Abgrund. Berührend, witzig – und so originell, wie ein Charlie Kaufman nur sein kann.

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Verbringen eine gemeinsame Nacht: Michael Stone und seine neue Freundin Lisa, zwei handgemach­te und von Hand animierte Puppen
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