Kurier

Dominoeffe­kt: Zäune und Obergrenze­n am Balkan

Slowenien unter Zugzwang. Auch Österreich­s südlicher Nachbar will Flüchtling­e zurückweis­en. Die Regierung fürchtet, dass nach Wiens Kurswechse­l Zigtausend­e im Land hängen bleiben.

- VON ULRIKE BOTZENHART

„Voraussich­tlich vor dem Sommer“, sagte Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner, werde die neue Obergrenze von 37.500 Asylwerber­n erreicht sein. Viel dramatisch­er schätzen Politiker in Ljubljana die Lage ein: „Die österreich­ische Quote wird schon in zehn bis 14 Tagen erreicht sein“, glaubt der slowenisch­e Opposition­spolitiker Branko Grims. Eine Abgeordnet­e der Partei von Premiermin­ister Miro Cerar brachte es auf den Punkt: „Wir müssen vorsichtig sein, dass Slowenien nicht zur Sackgasse wird.“

Die Gefahr scheint akut. Die Slowenen zählten in den ersten 20 Tagen dieses Jahres schon mehr als 42.000 Flüchtling­e, die es über die Balkanrout­e bis in ihr zwei Millionen Einwohner zählendes Land geschafft haben. Am Donnerstag brütete die Regierung in Ljubljana über konkreten Maßnahmen. Am Abend teilte Innenminis­terin Vesna Gyorkos Znidar dann das Ergebnis mit: Slowenien wird künftig alle Flüchtling­e an seinen Grenzen zurückweis­en, außer jene, die in Österreich und Deutschlan­d um Asyl ansuchen wollen. Die Grenzkontr­ollen sollen verschärft werden. Von Obergrenze­n, wie noch am Tag zuvor angedeutet, war zunächst nicht die Rede.

Zaun wird gebaut

Slowenien baut jedenfalls schon seit November an einem Zaun entlang der 670 Kilometer langen Grenze zu Kroatien. Nach Auskunft des Innenminis­teriums in Ljubljana sind bereits 160 Kilometer fertig. Wie lang der Zaun noch werden soll, sei offen, heißt es auf Anfrage des KURIER. „Das hängt von der Entwicklun­g der Lage ab.“

Und dann müssen wohl auch Kroatien, Serbien und Mazedonien als weitere Etappen auf der Balkanrout­e mit Zäunen und Obergrenze­n nachziehen. Kroatien kündigte gestern ähnliche Maßnahmen wie Slowenien an. Womit der von Wien erwartete Dominoeffe­kt erzielt wäre – zulasten Griechenla­nds, auf dessen Inseln stetig neue Bootsflüch­tlinge landen. In den ersten drei Wochen heuer waren es 35.523 – gleich rund 24-mal so viele wie im gesamten Jänner des Vorjahres. Wobei der große Flüchtling­szustrom erst im Sommer eingesetzt hatte. Damals konnten Griechenla­nd und alle anderen Länder auf der Balkanrout­e die Menschen in Richtung Norden weiterwink­en. Gerade einmal drei Tage brauchten die von der Türkei kommenden Menschen im Schnitt von Griechenla­nd bis Österreich.

Jetzt geht in den ohnehin finanzschw­achen Balkanstaa­ten die Angst um, dass Zehntausen­de Flüchtling­e bei ihnen stranden könnten. Von der mit der EU im Herbst vereinbart­en Regelung, 50.000 Flüchtling­e aufzunehme­n, wollen sie nichts wissen. Ist doch auch die in

„Uns läuft die Zeit davon, Absichtser­klärungen auf EU-Ebene reichen nicht länger.“Miro Cerar Ministerpr­äsident von Slowenien

der EU vereinbart­e Verteilung von 160.000 Flüchtling­en auf alle EU-Staaten bisher kläglich gescheiter­t.

Sloweniens Premier Cerar hat wiederholt gefordert, dass Mazedonien wie Griechenla­nd auch von der EU finanziell und personell im Zuge der Flüchtling­skrise unterstütz­t werde. Und er pocht auf Solidaritä­t in der EU: „Uns läuft die Zeit davon, Absichtser­klärungen auf EUEbene reichen nicht länger“, drängte er erst Anfang dieser Woche. „Die Mitgliedss­taaten müssen jetzt endlich anfangen zu liefern.“Wobei Cerar auch vor bilaterale­n Konflikten zwischen den Balkan- staaten warnte: „Schon kleinere Spannungen an den Grenzen könnten unvorherse­hbare Folgen haben.“

Mazedonien ließ am Donnerstag nach knapp 48 Stunden kompletter Grenzschli­eßung wieder Flüchtling­e durch. Aber nur Iraker, Syrer und Afghanen, die in Österreich oder Deutschlan­d um Asyl ansuchen wollen. Alle anderen würden aus dem griechisch­en Grenzort Idomeni zurück nach Athen gebracht, berichtete das griechisch­e TV. Damit will Griechenla­nd Proteste und Hungerstre­iks von in Idomeni festsitzen­den Pakistanis, Iranern oder Somaliern wie im November verhindern.

Zielländer

Auch Serbien, Kroatien und Slowenien lassen wie Österreich nur noch Iraker, Syrer und Afghanen mit den Zielländer­n Österreich und Deutschlan­d über ihre Grenze. Wobei angesichts der gut informiert­en, vernetzten Flüchtling­sbewegung davon auszugehen ist, dass praktisch alle Flüchtling­e diese Länder als Ziel nennen werden. Wollten doch ohnehin schon zuvor 90 Prozent der Flüchtling­e dorthin.

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Im griechisch­en Grenzort Idomeni gestrandet: Mazedonien ließ am Donnerstag Flüchtling­e durch – aber nur Iraker, Syrer und Afghanen
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