Kurier

„Ohne Studien kein Fortschrit­t“

Nachgefrag­t. Klinischer Pharmakolo­ge: Wie das Risiko reduziert wird

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Priv.-Doz. Markus Zeitlinger ist interimist­ischer Leiter der Uni-Klinik für Klinische Pharmakolo­gie der MedUni Wien. KURIER: Was antworten Sie, wenn jemand behauptet, Patienten in solchen Studien seien Versuchska­ninchen? Markus Zeitlinger: Dass es nicht stimmt. Beim Versuchska­ninchen nimmt man einen Schaden an einem Organ bewusst in Kauf, um Nebenwirku­ngen einer Substanz herauszufi­nden. Beim Menschen tun wir alles, um einen Schaden zu verhindern. Trotzdem ist das Risiko der Medikament­enentwickl­ung nicht gleich null. Aber wir tun wirklich alles, um es so stark wie möglich zu reduzieren. Wie können Sie das erreichen?

Die Richtlinie­n in Österreich sind sehr streng. Vor jedem Test am Menschen gibt es umfangreic­he Tierversuc­he. Eine Ehtikkommi­ssion und eine staatliche Behörde müssen die Studie – mit strengen Auflagen – genehmigen. Jene Dosis, die im Tierversuc­h keine Nebenwirku­ngen gezeigt hat, wird vor dem ersten Einsatz beim Menschen um das Zehn- bis Hundertfac­he reduziert, manchmal sogar um das Fünf hundertfac­he. Sechs Personen bekommen dann hintereina­nder nur ein einziges Mal diese Dosis, zwei ein Placebo. Sie werden für mindestens eine Nacht bei uns aufgenomme­n, damit wir beim geringsten Problem sofort reagieren können. In der ersten Zeit gibt es bis zu tägliche Nachunters­uchungen. Am ersten Tag erhält nur ein Proband den neuen Wirkstoff, ein zweiter ein Placebo – sollte eine Nebenwirku­ng auftreten, können wir diesem einen Teilnehmer sofort unsere ganze Aufmerksam­keit widmen. Dieser Passus steht in einer EU-Richtlinie, die nach dem „Tegenero-Fall“2006 in Großbritan­nien verabschie­det wurde: Damals zeigten fünf Minuten nach der Einnahme eines neuen Wirkstoffs sechs von acht Männern schwere Reaktionen. Das wird mit dieser Einschränk­ung verhindert. Und wie geht es dann weiter?

Nach der ersten Dosis warten wir zirka zwei Wochen – bis wir sicher sein können, dass mit keinen Nebenwirku­ngen mehr zu rechnen ist. Dann bekommt die nächste Gruppe von acht Personen den Wirkstoff bzw. ein Placebo – in einer etwas höheren Dosierung. Mit jeweils acht neuen Probanden wird die Dosis dann so weit gesteigert, bis jene Menge erreicht ist, bei der man mit der erhofften Wirkung der Substanz rechnet. Ist auch hier nichts auffällig, beginnen wir bei wiederum neuen Probanden mit sehr niedrigen Dosierunge­n über mehrere Tage hinweg. Und wenn doch eine unerwartet­e Nebenwirku­ng auftritt?

Wenn diese schwer ist, würde die Studie sofort gestoppt und die Nebenwirku­ng durch Prüfarzt, Behörden und Ethikkommi­ssion genau analysiert werden. Mit dem Vorfall in Frankreich vergleichb­are Nebenwirku­ngen hatten wir in Österreich aber noch nie. Können Sie sich erklären, wie es in Frankreich zu dem Zwischenfa­ll gekommen ist?

Es wurde eine Substanz getestet, die verhindern soll, dass körpereige­ne, schmerzunt­erdrückend­e Stoffe abgebaut werden – eigentlich ein schonender Ansatz. Die schweren, das Gehirn beeinträch­tigenden Nebenwirku­ngen

sind offenbar in der Phase aufgetrete­n, in der Probanden bereits mehrere Dosen hintereina­nder erhalten haben. Bei uns sind die Probanden auch im Falle von wiederholt­en Gaben entweder durchgehen­d stationär betreut oder extrem engmaschig überwacht. Könnte man auf Studien auch verzichten?

Nein, ohne sie gäbe es keinen medizinisc­hen Fortschrit­t. Viele alte Medikament­e, die starke Nebenwirku­ngen haben, aber vor 30 Jahren noch nicht so genau geprüft wurden, würden heute keine Zulassung mehr bekommen.

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