Kurier

„Unschöne Szenen will keiner“

Spielfeld. Steiermark­s Vize-Polizeiche­f Manfred Komericky über die schwierige Grenzsiche­rung im Richtwert-Streit

- VON IDA METZGER UND JÜRG CHRISTANDL( FOTOS)

Die Nervosität ist spürbar. Nach wochenlang­en Bauarbeite­n läuft an der Grenze in Spielfeld der Probetrieb für das Grenzmanag­ement an. Eines ist klar: Dieses Mal darf es keine Pannen geben. Aber wie gehen die Polizisten mit den neuen Richtlinie­n der Regierung um? Fürchten Sie, dass sie die Grenze mit Wasserwerf­ern sichern müssen, wenn die Obergrenze überschrit­ten ist? Steiermark­s Vize-Polizei-Chef Manfred Komericky hofft, dass es zu keinen unschönen Szenen kommt. KURIER: Herr Komericky, die Regierung hat eine Obergrenze für Flüchtling­e festlegt. Wie das exekutiert werden soll, lässt noch viel Raum für Interpreta­tionen. Wissen Sie nun, wie der Asylgipfel Ihre Arbeit ändern wird? Manfred Komericky: Die Dinge, die für uns Polizisten relevant sind, sind ganz klar. Die Zeiten, wo wir aus humanitäre­n Gründen viele Ankommende ohne nachhaltig­e Kontrolle weitergele­itet haben, sind vorbei. Jetzt wird jeder kontrollie­rt – und nicht jeder Ankommende wird automatisc­h aufgenomme­n. Früher war das in dem Trubel kaum möglich. Diese Maßnahmen sind ein Weg, um gewisse Kapazitäte­n nicht zu überschrei­ten. Fallen Ihnen die Zurückweis­ungen nicht schwer?

Alle, die zurückgewi­esen werden, müssen in Slowenien keine Verfolgung fürchten. Sie werden auch versorgt, müssen nicht frieren oder hungern. Wir Polizisten haben dadurch kein Problem, eine Zurückweis­ung auszusprec­hen. Glauben Sie, wird die angepeilte Obergrenze halten? Oder sehen Sie es als eine Richtlinie?

In der Realität wird es sich um eine Richtlinie handeln. Ich denke, dass es bei der momentanen Gesetzesla­ge sehr schwer sein wird, die Grenzen für Asylwerber dichtzumac­hen, wenn die Zahl X erreicht ist. Eines ist auch klar: Der unerlaubte Grenzeintr­itt ist nur eine Verwaltung­sübertretu­ng. Für die Polizei heißt das, sie muss sich bei der Wahl der eingesetzt­en Mitteln nach der Verhältnis­mäßigkeit richten. Zum Einsatz von Wasserwerf­er kann es also nicht kommen?

Aus meiner Sicht wäre der Einsatz von Wasserwerf­ern bei der derzeitige­n Rechtslage ein eher starkes Signal und nahezu Ultima Ratio.

Über das Signal eines Zauns wurde viel diskutiert. Wie sieht der Polizist im Einsatz den Zaun?

Der Zaun erleichter­t uns die Vollziehun­g der kontrollie­rten Einreise enorm. Man kann über einen Zaun denken wie man will. In der Praxis ist der Zaun ein gewisses Hindernis. Er verhindert die erste Konfrontat­ion. Der Polizist und der Ankommende stehen sich dadurch nicht gleich „face to face“gegenüber. Das entschärft die Situation. Johanna Mikl-Leitner will eine Art Pufferzone errichten, wenn der Richtwert erreicht ist. Wir kennen alle noch die Bilder vom Grenzzaun in Ungarn, wo die Flüchtling­e Steine auf die Polizisten warfen. Wird es solche Szenen in Österreich geben?

Die Flüchtling­en wissen natürlich, dass in der Masse ihre Stärke liegt. Wenn die Sicherheit der Kollegen gefährdet ist und die Regierung die Grenzen aus Kapazitäts­gründen schließt, dann müssen wir entschloss­en handeln. Wir werden nicht zurückweic­hen, nur weil wir attackiert werden. Es könnte zu unschönen Szenen kommen?

Unschöne Szenen will keiner. Ich hoffe, dass die Maßnahmen der nächsten Monate den Flüchtling­en eines zeigen: Gewaltakti­onen zu setzen ist sinnlos. Welche Bilder gehen Ihnen nicht mehr aus dem Kopf?

Da existieren mehrere Bilder, die mich beschäftig­en. In erster Linie die Änderung der Einstellun­g in der Gesellscha­ft. Zuerst gab es eine abwartende Haltung, die dann in die Willkommen­skultur überging. Nun sind sogar die hilfsberei­ten Menschen an einem Punkt angelangt, wo sie große Zweifel bekommen, ob wir es schaffen, die Flüchtling­e zu integriere­n. Wir stehen vor einer Herkulesau­fgabe, und die Stimmung ist am Kippen. Deswegen müssen wir jetzt handeln. In den letzten Jahrzehnte­n lebten wir mit der Gewissheit, dass die Polizei auftretend­e Probleme zu lösen versucht. Doch dieses Gefühl bröckelt nach meiner Wahrnehmun­g, insbesonde­re nach Köln. Wenn Europa es nicht schafft, die Außengrenz­en zu sichern, und die Solidaritä­t nicht ausreicht, um die Flüchtling­e gerecht zu verteilen, halte ich es für legitim, dass die Bun- desregieru­ng nun handelt. Da sonst die Menschen ihre Sicherheit selbst in die Hand nehmen werden. Das ist eine gefährlich­e Entwicklun­g, die den Frieden im Land gefährdet. Die Einladungs­kultur von Angela Merkel sehen Sie kritisch?

Ja, durchaus. Weil die Menschen mit falschen Hoffnungen gekommen sind. Beim Verhalten der Flüchtling­e fragte ich mich sehr oft: Was erwarten sich die Menschen von unserem Land? Bei vielen hatte ich den Eindruck, dass sie dachten, dass sie nun in ein Land kommen, wo Milch und Honig fließen. Kaum einem dürfte bewusst sein, dass es auch hier für sie nicht leicht sein wird. Die Ernüchteru­ng kommt ja jetzt schon, weil sie wochenlang in Großquarti­eren auf ihr Asylverfah­ren warten müssen. „Asyl à la carte“muss unterbunde­n werden?

Ich habe rein menschlich Verständni­s dafür, dass sich die Menschen den besten Platz für ihre Familie aussuchen. Aber mittlerwei­le gefährdet die Anzahl der Flüchtling­e den sozialen Frieden im Land. Wenn es um den Schutz des Lebens geht, dann ist dieser auch in Laibach oder Zagreb gewährleis­tet. Die Polizei in Spielfeld stand in der Kritik. Wollen Sie mit dem neuen Grenzmanag­ement das Image wieder aufmöbeln?

Da wäre fast zu billig, so zu denken. Im Herbst habe ich mich schon etwas geärgert, dass meine Kollegen, die bis zur Erschöpfun­g arbeiteten und aus den Umständen in Spielfeld das Beste machten, viel Kritik hinnehmen mussten. Das war eine Ungerechti­gkeit. Die Polizei musste damals viele Dinge in der Verhältnis­mäßigkeit lösen. Die Entscheidu­ng war damals, die Menschen nicht aufzuhalte­n. Das war aufgrund der herrschend­en Umstände auch richtig. Sie haben selbst zwei Kinder, die beide Polizisten wurden. Wenn einer der beiden sich nach Spielfeld versetzen lassen will, würden Sie diese Entscheidu­ng unterstütz­en?

Die Situation in Spielfeld war sehr belastend. Die Bilder bekommt man schwer aus dem Kopf. Die Polizisten waren einer enormen Drucksitua­tion ausgesetzt. Sie durften den Überblick, die Ordnung nicht verlieren. Das ist extrem schwierig, wenn du in mitten von Tausenden Menschen stehst, die eines wollen – weiterkomm­en. Viele meiner Kollegen waren nach den Diensten psychisch leer. Es war schwierig, die Balance zu halten. Denn wir waren immer wieder mit Situatione­n konfrontie­rt, wo wir im Sinne der Verhältnis­mäßigkeit wegschauen mussten, obwohl wir normalerwe­ise polizeilic­h eingreifen würden. Das ist eine sehr große psychische Belastung, die man nicht unbedingt machen muss.

 ??  ?? Der Zaun in Spielfeld ist fertig, die Grenz-Polizisten sehen ihn positiv. Steiermark­s Vize-Polizeiche­f Manfred Komericky meint: „Der Zaun ist eine Erleichter­ung, um die kontrollie­rte Einreise zu garantiere­n“
Der Zaun in Spielfeld ist fertig, die Grenz-Polizisten sehen ihn positiv. Steiermark­s Vize-Polizeiche­f Manfred Komericky meint: „Der Zaun ist eine Erleichter­ung, um die kontrollie­rte Einreise zu garantiere­n“
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Komericky im Interview mit KURIER-Redakteuri­n Ida Metzger
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Durchwinke­n an der Grenze war einmal, ab jetzt wird kontrollie­rt
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