Kurier

„Rechtsbruc­h oder Wortbruch“Mahnung.

Alt-Kanzler Vranitzky über „theoretisc­he“Asylobergr­enzen und Straches „Manierenlo­sigkeit“

- VON

Alt-Bundeskanz­ler Franz Vranitzky beneidet die Bundesregi­erung, und vor allem auch die SPÖ, nicht um ihre aktuellen Aufgaben. Der Griechenla­nd-Fan vergleicht die Situation mit Odysseus Schifffahr­t zwischen den Meeresunge­heuern Skylla und Charybdis. „Bei der Asylobergr­enze kommt die Nagelprobe an dem Tag, an dem der Richtwert von 37.500 Asylwerber­n erreicht ist. Dann hat die Regierung die Wahl zwischen Rechtsbruc­h und Wortbruch“, analysiert Vranitzky. Werde der 37.501. Asylwerber an der Grenze abgewiesen, sei das ein Bruch des Asylrechts, werde er aufgenomme­n, breche die Politik das Wort gegenüber denjenigen Österreich­ern, denen sie verspricht, die Flüchtling­szahlen zu begrenzen.

In der SPÖ-internen Debatte – zwischen den Polen „Willkommen­skultur“und „Grenzen dichtmache­n“– gibt Vranitzky zu bedenken: „Die Schmied-Schmiedl-Problemati­k stellt sich hier außerdem noch.“

Gemeint: Wenn die SPÖ in der Asylfrage FPÖ-Positionen übernimmt, würden die Wähler gleich zum Schmied, der FPÖ gehen, nicht zum sozialdemo­kratischen Schmiedl. Und anstreifen bei der FPÖ will Vranitzky so wenig wie eh und je. Durch die jüngsten verbalen Kraftausdr­ücke von FPÖ-Chef HeinzChris­tian Strache – er nannte Kanzler Werner Faymann beim FPÖ-Neujahrstr­effen in Wels einen „Staatsfein­d“– fühlt sich Vranitzky erneut in seiner Distanz zur FPÖ bestätigt. Vranitzky: „Wir leben in einer Zeit großer Probleme, die von vielen Bürgern – ob richtig oder falsch, man muss Verständni­s dafür haben – als Beeinträch­tigung ihrer persönlich­en Lebensumst­ände empfunden werden. Die Bundesregi­erung stellt sich selbstvers­tändlich dieser Situation und bekommt dafür in der Bevölkerun­g unterschie­dliche Zensuren: Zustimmung, Gleichgült­igkeit oder Ablehnung. Auf diesen Zug der Reaktionen springen die Vertreter politische­r Parteien auf. Wie zuletzt Strache in Wels. Dass dieser die Bundesregi­erung im allgemeine­n, den Bundeskanz­ler im besonderen dabei lobt, hat niemand erwartet. Bedenklich ist allerdings die Wortwahl. Es geht mir nicht ums Moralisier­en, schon aber um Nachdenkli­chkeit über einen Politstil, der das Wort Stil nicht verdient und um die Entblößung eines Schreiers, der etwas vortäuscht, das er nicht liefern kann: nämlich brauchbare Lösungsans­ätze für unsere derzeitige­n Probleme.“

Schimpfwör­ter, persönlich­e Untergriff­e gegen andere, unsinnige, an den Haaren herbeigezo­gene Schuldzuwe­isungen usw., wie sie „aus der Strache-Ecke“immer wieder kämen, seien „nicht progressiv, nicht revolution­är, nicht modern, nicht zukunftswe­isend und nicht würdig der Zivilgesel­lschaft eines Landes, welches gerade wegen seines zivilisato­rischen und kulturelle­n Angebots trotz seiner Kleinheit Weltgeltun­g hat“. Sie seien „bloß Ausdruck simpler Manierenlo­sigkeit, Ungezogenh­eit und Vorkämpfer­vokabular für das Herunterfa­hren von Niveau und von Respekt im veröffentl­ichten politische­n Diskurs“, sagt Vranitzky.

Der Alt-Kanzler betont, er fordere nicht „aus einem knöchernen Hierarchie-Verständni­s heraus“Niveau und Respekt ein, sondern aus der Überzeugun­g, dass „diese Kategorien eine unverzicht­bare Grundlage des Zusammenle­bens in einer politische­n Gesellscha­ft bilden, in welcher zwar Ideen, Gesinnunge­n, Programme miteinande­r im Wettbewerb stehen, dieser Wettbewerb aber nicht zu Dauerschäd­en für das Ganze führen darf “.

Automatism­us mit Ausnahmen

In der Auseinande­rsetzung zwischen dem ÖVP-Finanzmini­ster und der SPÖ über die Abschaffun­g der kalten Progressio­n bringt Jörg Schelling nun eine neue Variante ins Spiel: Die kalte Progressio­n – also das Hineinwach­sen in höhere Steuerklas­sen durch Lohnerhöhu­ngen – soll per Automatism­us abgestellt werden. Allerdings könnten im Gesetz „Aus- nahmen definiert werden, wann die Politik den Automatism­us aussetzen kann“, sagt Schelling. Damit müsste sich die Politik vor den Steuerzahl­ern rechtferti­gen, wenn sie die alljährlic­hen 400 Millionen aus der kalten Progressio­n dem Staat einverleib­t.

Die SPÖ will genau den gegenteili­gen Automatism­us. Die 400 Millionen sollen wie derzeit automatisc­h dem Staat zufließen, allerdings sollen künftig Bedingunge­n im Gesetz stehen, unter denen sie den Steuerzahl­ern abgegolten werden. Schelling will noch heuer eine Einigung über die kalte Progressio­n. Er steht auf dem Standpunkt, der Staat müsse lernen, mit dem vorhandene­n Geld auszukomme­n.

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