Kurier

SAGE NEIN

Unter Druck. Wie fatal es enden kann, wenn ein Mensch es verlernt hat, mit sich selbst in Kontakt zu bleiben und den Mut zu haben, Grenzen zu ziehen, erzählt KURIER-Kolumnisti­n Gabriele Kuhn.

- View rechts), (siehe Inter-

Und da saß sie seit Stunden, um Kuverts mit Kundenbrie­fen zu befüllen. An diesem Freitagabe­nd und ihrem Geburtstag.

„20 bin ich also“, dachte sie und schaute bewusst nicht auf die Uhr. Ihre Tante hatte bereits mehrmals im Büro nach ihr gefragt: „Wann kommst du endlich heim, weißt du, wie schlecht es deiner Mutter geht?“Denn genau betrachtet ging es an diesem Tag gar nicht um den Geburtstag, sondern um die Frage: Wie lange wird Mama noch mit mir sprechen können? Bei der 56jährigen waren nach der Diagnose Lungenkreb­s und einer Operation Hirnmetast­asen festgestel­lt worden. Mit zunehmende­n Sprach- und Gehstörung­en. So lange wie möglich die Mama daheim behalten – das war erklärtes Ziel.

Aber diesmal. Diesmal konnte die junge Frau nicht einfach so weg aus dem Büro – wo sie doch laut gesagt hatte. Zu einer Aufgabe, die ihr vom Chef ange- ordnet wurde. „Bitte um Ihren Totaleinsa­tz.“Alles müsse heute raus, unbedingt. Kein Pardon. Geburtstag? Egal.

Pf licht erfüllt

Stunden später kam die junge Frau nach Hause. Die Arbeit war erledigt, die Mutter ins Hirnkoma gefallen. Zu spät. Ihrer Tochter zum 20. Geburtstag gratuliere­n konnte sie nicht mehr. Die noch eine sehr spezielle Herausford­erung für mich. Ja, es geht. Immer wieder, immer öfter. Und besser. Ohne Wenn und Aber. Ohne das Gefühl zu haben, mich dadurch zu gefährden. Dass ich, indem ich meine Grenzen ziehe, verstoßen, allein, verarmt und ungeliebt sein würde. Doch ich musste es erst lernen, dieses „Sage Nein, sage stopp“. Um, damit verbunden, das Gespür dafür zu entwickeln, wer ich bin, was mich treibt. Das war ein langer, jahrzehnte­langer Weg. Interessan­t ist, was ich von Ingrid Drossos-Stuller, Internisti­n und Burn-out-Expertin

dazu erfahren habe: „Nein zu anderen zu sagen, und damit indirekt ein Ja zu mir selbst zu formuliere­n, fällt oft schwer. Selbstzwei­fel („Darf ich zuerst an mich denken?“) und Sorge, durch ein in einer Beziehung zurückgewi­esen oder gekündigt zu werden, sind häufige Gründe dafür.“

Ja, das war, was mich damals trieb.

„Erfundenes“Leiden

trinkt sie manchmal das Achtel zu viel. Es sind Bekannte, die behutsam das Wort Burn-out ins Spiel bringen. Sie hingegen lehnt diesen Begriff ab, so wie viele andere Menschen mit Coolness-Faktor, die meinten, das sei doch diese Krankheit, die es gar nicht gäbe. Also denkt sie lieber darüber nach, ihre Skills zu perfektion­ieren, um noch mehr zu schaffen. Was ich als ihre Freundin dazu zu sagen habe, sage ich. Ich habe aber keine Ahnung, ob meine Worte ankommen.

Es der Welt beweisen

Richtig, Burn-out steht nicht im Diagnosesy­stem der Internatio­nalen statistisc­hen Klassifika­tion der Krankheite­n und verwandten Gesundheit­sprobleme (ICD-10) – deshalb zu glauben, es sei eine Fata Morgana, ist falsch. Das Ausbrennen existiert – es ist vielschich­tig und vielgesich­tig. Und es ist aktueller denn je – in einer Zeit der Maximierun­g, des Multitaski­ngs und der Superlativ­e bei gleichzeit­iger Verunsiche­rung durch äußere Bedrohunge­n.

Es trifft meist jene, die überzeugt sind, der Welt einen Hax’n ausreißen zu können – und das

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria