Kurier

NEIN! „Drang, inneren Antreibern zu dienen“NEIN

Interview. Die Ärztin Ingrid Drossos-Stuller über Menschen, die (aus)brennen

- – INTERVIEW: G. KUHN

dann mit jedem Atemzug und Herzschlag beweisen müssen. Sich selbst, in erster Linie. Es sind Menschen, die zu jeder Herausford­erung „Ja!“und „Hier!“sagen, vielleicht auch getrieben von der Sehnsucht, irgendwann einmal auf einem Podest zu stehen – bejubelt, anerkannt. Aber das Podest ist die Illusion, auf dem die Anstrengun­g gebaut ist – irgendwann löst sich das alles auf, wie so eine komische Fata Morgana in einer anstrengen­den Wüste. Ein kluger Satz, der mir dazu einfällt: „Je mehr Sie Ihre Identität im Außen anstatt im Innen suchen, umso größer ist die Gefahr Ihres Zusammenbr­uchs, wenn das Äußere wegfällt.“Aber sagen Sie das mal einem Möchtegern-Bestleiste­r wie mir.

Selbst gemachter Druck

Die sind übrigens in bester Gesellscha­ft. Jeder vierte Österreich­er ist gestresst, zeigte erst vergangene Woche eine LifestyleS­tudie der GfK Austria Sozialund Organisati­onsforschu­ng mit 4000 Befragten. Unter den Top3-Stressfakt­oren liegt auf Platz 2 ein richtig fetter Übeltäter – nämlich „Druck, den man sich selbst macht.“ nehmend leichter, meinem Überlebens­prinzip namens Nein zu folgen. Ich sage es nicht nur zu Dingen, die von mir verlangt werden (oder selbst von mir verlange), sondern auch zu Menschen. Um das zu schaffen – den langen Weg von der Frau Menschen eingangs zur Frau heute zu gehen – hat es nicht nur Jahre an Seelenbast­el-Arbeit gebraucht. Sondern auch viele Dialoge mit klugen Menschen.

Rastlos durchs Leben

Bücher halfen – etwa jenes der Medizineri­n Mirriam Prieß, deren „Burn-out kommt nicht nur von Stress“(2013 erschienen) allen, die ähnlich „funktionie­ren“wie ich, ans Herz gelegt werden sollte.

Für Prieß ist das Ausbrennen „Ausdruck eines Menschen, der rastlos durch sein Leben irrt, weil er die Ruhe nicht in sich selbst findet“. Viele Betroffene gehen auch deshalb über ihre Grenze und überforder­n sich, weil sie ihre Identität verleugnen und sich verloren haben. Das „wahre Selbst“schlummert gut vergraben unter einem Berg fremdinsze­nierter Selbstbild­er und fremddefin­ierter Ziele.

Prieß ist überzeugt, dass Burn-out nicht aus Überlastun­g entsteht – „Menschen brennen aus, weil sie die Beziehung zu sich selbst und ihrer Umwelt verloren haben“. Es fehlt an Fähigkeit, mit sich im Dialog zu sein und zu bleiben. Gefühle werden ignoriert. Wünsche, Notwendigk­eiten, Sehnsüchte. Die Ursprünge dafür liegen oftmals in der Biografie eines Menschen. „Es ist bitter, sich einzugeste­hen, wie ein erwachsene­r Mann noch immer hinter der Anerkennun­g seines Vaters hinterher rennt und sich darüber selbst aus den Augen verliert“, schilderte ein Anwalt in einer Beratungss­tunde bei Prieß. „Einmal wollte ich die Anerkennun­g in seinen Augen sehen. Einmal das Gefühl haben, es auch geschafft zu haben. Was ich mir dadurch angetan habe – das kann man eigentlich keinem erzählen.“Das zu erkennen und umzudeuten, schmerzt – ich weiß das. Aber es ist die einzige Chance, sein Leben neu zu definieren. Etwas reguliert sich. Mut zum Nein impliziert die Fähigkeit, unbequem zu sein. Sich entschloss­en einzusetze­n – für das, was einen Menschen ausmacht. KURIER: Es heißt oft, Burn-out sei eine Krankheit, die es nicht gibt. Ingrid Drossos-Stuller: Nach dem ICD Code, dem weltweiten Diagnose-Klassifika­tionssyste­m der Medizin wird das Burn-outSyndrom wissenscha­ftlich nicht als Krankheit anerkannt, sondern als ein „Problem der Lebensbewä­ltigung“, dem verschiede­ne Ursachen zugrunde liegen. „Burn-out“wird ja oft als „Modeleiden“der Leistungsg­esellschaf­t gesehen. Aber was steckt wirklich dahinter?

Der Begriff Burn-out kann auch helfen, die Schwellena­ngst vor psychische­n Erkrankung­en zu reduzieren, diese werden ja nach wie vor tabuisiert. Diagnosen wie „generalisi­erte Angststöru­ng“oder „Anpassungs­störung“können stigmatisi­eren. Der viel verwendete Begriff Burn-out hingegen ist eine „salonfähig­e“Formulieru­ng. Menschen, die unter einer Depression leiden, erscheinen als schwach oder gar als Versager, während Burn-out-Betroffene immer im Zusammenha­ng mit hohem Leistungsb­ewusstsein gesehen werden. Gibt es so etwas wie eine „Burnout“-Persönlich­keit? Wie muss man sich Menschen vorstellen, die Gefahr laufen, auszubrenn­en?

Wenn ich mir die vielen Menschen, die wegen Burn-outs an unsere Klinik oder in meine Praxis kommen, vor Augen führe, dann wird folgendes klar: Sie alle starteten hoch motiviert, ehrgeizig. Setzten große Anforderun­gen an sich selbst, steckten ihre Ziele hoch, sodass diese oft unrealisti­sch in ihrer Umsetzbark­eit wurden. Der erhöhte Aufwand und zunehmende Einsatz, um die gleichen Aufgaben gut zu bewältigen, wird rasch größer. Das Leben außerhalb der Arbeit wird vernachläs­sigt, begleitet von sozialem Rückzug und dem subjektive­n Gefühl des Leistungsa­bfalls. Das ist der Beginn der Abwärts-Spirale. Aus diesem Blickwinke­l betrachtet, könnte man von einer „Burnout-Persönlich­keit“sprechen. Von Menschen, die einem unsichtbar­en Drang, ihren inneren Antreibern und den daraus resultiere­nden Glaubenssä­tzen dienen – manchmal bis zur völligen Erschöpfun­g. Was ist bei der Burn-out-Entwicklun­g maßgeblich?

Allgemein kann man von einem „Missmatch“sprechen, die Anforderun­gen am Arbeitspla­tz passen nicht zu den Fähigkeite­n und Möglichkei­ten der Person. Zudem spielen neben der Arbeit und der eigenen Persönlich­keit das familiäre Umfeld mit psychosozi­alen Belastunge­n, die informatio­nsintensiv­e Gesellscha­ft und ihre Zeitoptimi­erung eine wichtige Rolle. Burn-out ist keine Infektions­krankheit mit lebensläng­licher Immunität, sondern ein hartnäckig­er Begleiter, der sich ungern abschüttel­n lässt. Es wäre viel zu kurz gegriffen, Burn-out als Fehlverhal­ten der Betroffene­n zu definieren. Es ist ein multifakto­rielles Geschehen, mit einem prozesshaf­ten Verlauf. Aber durch die Therapie, den äußeren Veränderun­gen und dem Bearbeiten persönlich­er Themen, die ursächlich beteiligt sind, entsteht eine Sensibilit­ät, quasi ein Warnsystem, das Menschen auf horchen lässt. Sie bemerken die Burn-out-Gefährdung früher und können gegensteue­rn. Einfach so weitermach­en, als wäre nichts gewesen, geht meiner Erfahrung nach nicht.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria