Kurier

Eine Petition für Frieden und ihre gewaltsame­n Folgen

AKP-Regierung. Die Kritik von Akademiker­n zieht Drohungen der Regierung, aber auch gewaltbere­iter Zirkel nach sich

- – STEFAN SCHOCHER

Es begann mit einem Text: Eine A4-Seite, darauf die Forderung nach Ende der Blockaden und Ausgangssp­erren in der Osttürkei, nach Frieden und nach Einhaltung von Grundrecht­en. Und die Feststellu­ng, dass die Unterzeich­ner dieser Petition als „Akademiker­Innen und Wissenscha­ftlerInnen dieses Landes“, nicht „Teil dieser Verbrechen sein werden“.

Es geht um die Zustände in der Südosttürk­ei, die sich in einen offen Krieg zwischen Armee und mehrheitli­ch kurdischen Aufständis­chen auswachsen, die sich selbst zur kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK zählen. Es geht aber vor allem auch um die damit ein- her gehende Gleichscha­ltung der Gesellscha­ft auf Regierungs­linie.

Eine „offene, demokratis­che Debatte“habe man anregen wollen, sagt eine Unterzeich­nerin. 2200 Menschen haben das Papier unterschri­eben. Aber wenige Wochen nach der Veröffentl­ichung am 11. Jänner ist klar, dass die Initiatore­n damit in ein Wespennest gestochen haben. Direkte Drohungen sind die Folge. Präsident Erdogan nannte die Unterzeich­ner „Verräter“, bezeichnet­e sie als die „dunkle Seite“; es gab Hausdurchs­uchungen und Verhöre; 161 Ermittlung­sverfahren wurden eingeleite­t; Universitä­ten leite- ten zusätzlich Disziplina­rverfahren ein; Medien prangerten die Unterzeich­ner als „Landesverr­äter“und „intellektu­elle Terroriste­n“an und veröffentl­ichten Fotos von ihnen; und auch der bekannte Kriminelle Sedat Peker, dem Verbindung­en zu bestens vernetzten nationalis­tischen Untergrund­organisati­onen nachgesagt werden, sagte: Die Unterstütz­er würden von nun an auf seiner Liste stehen, man werde in ihrem Blut baden.

Die Folge: Schockstar­re in akademisch­en Zirkeln der Türkei. Die bereits erwähnte Unterzeich­nerin nennt es schlicht: „Angst“. Angst um die Existenz, um die akademi- sche Karriere, aber auch – und das ist die neue Dimension – Angst um das eigene Leben. Die massiven Reaktionen führt sie auf eines zurück: „Die Macht ist sehr fragil.“Wer von Frieden spreche, werde als Terrorist abgestempe­lt.

Internatio­nale Solidaritä­tsbekundun­gen seitens Universitä­ten gab es zwar – großen Widerhall hatten sie aber nicht. In der Flüchtling­skrise setzt die EU angesichts mangelnder innerer Einigkeit auf die Türkei – was sich in milliarden­schweren finanziell­en Zuwendunge­n widerspieg­elt. Große Unterstütz­ung durch europäisch­e Institutio­nen erwartet sich die Unterzeich­nerin daher nicht. Bleibt nur eine, wenn auch angesichts der massiven Drohungen schmerzhaf­te Genugtuung nach Jahren unter Erdogan, wie sie sagt: Irgendwie habe sie jetzt das erste Mal das Gefühl, als Wissenscha­ftlerin wirklich ernst genommen zu werden.

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