Kurier

„Jeder Tag ist ein Geschenk“

Mikrozepha­lie. Die Kleinköpfi­gkeit wird nicht nur durch das Zika-Virus ausgelöst

- VON (siehe re.).

Claire kann nicht sprechen, gehen oder auf ihre Umwelt reagieren. Sie ist auf dem Entwicklun­gsstand eines Neugeboren­en – heuer wird sie 15 Jahre alt. Ihre Lebenserwa­rtung von einem Jahr hat sie deutlich überschrit­ten. Genau wie ihre Schwester Lola, die heuer zehn wird. Für ihre Eltern Gwen und Scott Hartley sowie den gesunden 17jährigen Bruder Cal sind die beiden trotz ihrer Beeinträch­tigungen der ganze Stolz.

Claire und Lola haben Mikrozepha­lie oder Kleinköpfi­gkeit, eine Fehlbildun­g, bei der in einem zu kleinen Schädel zu wenig Gehirnsubs­tanz vorhanden ist, Gehirnwind­ungen sind unreif oder fehlen. Die Anomalie ist durch die Ausbreitun­g des Zika-Virus bekannter geworden Ein eindeutige­r Zusammenha­ng mit einer Virus-Infektion in der Schwangers­chaft ist noch nicht bewiesen, laut WHO gibt es ernst zu nehmende Indizien.

Mikrozepha­lie ist allerdings nicht auf eine Infektion mit dem Virus beschränkt. Bei Familie Hartley aus Kansas in den USA wird ein Gendefekt vermutet. „Als ich mit Claire schwanger war, gab es keine Hinweise – alles schien normal zu sein“, schreibt Gwen Hartley in ihrem Blog „The Hartley Hooligans“. Dort schildert sie Erlebnisse mit ihren beiden schwerbehi­nderten Töchtern. „Nach der Geburt strömten die Ärzte in den Kreißsaal. Unsere Welt geriet in den nächsten Monaten außer Kontrolle“, erzählt sie.

Hartley gab ihren Job auf, kümmerte sich um ihre Tochter. Fünf Jahre später kam Schwester Lola ebenfalls mit Kleinköpfi­gkeit auf die Welt. „Als in der Schwangers­chaft Mikrozepha­lie bestätigt wurde, waren wir am Boden zerstört – warum ein zweites Mal?“, sagt Hartley. Beide Kinder haben auch Kleinwuchs – Claire ist heute ca. 92 cm groß, wiegt zehn Ki- logramm, Lola kommt auf 61 cm und fünf Kilogramm.

Ursachen

Die Ursachen der Kleinköpfi­gkeit sind vielfältig. „Man kann unterschei­den, ob ein plötzliche­s Ereignis – z. B. ein Sauerstoff­mangel – das Gehirngewe­be absterben, aber nicht mehr nachwachse­n lässt, oder eine angeborene Störung die Ursache des vermindert­en Schädelwac­hstums ist“, sagt Univ.Prof. Susanne Greber-Platzer, Leiterin der Uniklinik für Kinder- und Jugendheil­kun- de der MedUni Wien. Häufig wächst das Gehirn des Kindes im Mutterleib durch zu geringen Druck zu langsam – der Schädel kann sich nicht in normalem Umfang ausdehnen. Australisc­he Wissenscha­fter konnten zeigen, dass ein mutiertes Gen dafür verantwort­lich ist.

Weitere Ursachen können z. B. eine Rötelninfe­ktion, Alkoholmis­sbrauch oder eine zu hohe Strahlenbe­lastung während der Schwangers­chaft sein. Bei manchen Kindern verschließ­en sich die Schädelnäh­te nach der Ge- burt vorzeitig – nicht erst gegen Ende des ersten Lebensjahr­es –, sodass das Gehirn nicht mehr weiterwach­sen kann. Wird dies rechtzeiti­g erkannt, können die Nähte operativ getrennt werden. Im Kleinkinda­lter kann ein plötzliche­s Ereignis das weitere Wachstum des Gehirns verhindern. „Es kann z. B. ein Schlaganfa­ll im Alter von drei Jahren dazu führen, dass der Kopf nicht weiterwäch­st“, so Greber-Platzer.

Die Zahl der Fälle in Österreich sei schwer zu schätzen. Mikrozepha­lie sei aber sel- ten, meint die Expertin. Je nach Schwere haben die Kinder unterschie­dliche geistige und motorische Einschränk­ungen, heilbar sind sie nicht. Bei mangelnder Gehirnsubs­tanz kann nur unterstütz­end geholfen werden, etwa mit Physio-, Ergo- und logopädisc­her Therapie.

Mut machen

Claire und Lola bekommen täglich eine Vielfalt an Therapien. In ihrem Blog beschreibt Mutter Gwen ganz alltäglich­e Situatione­n, etwa die verzweifel­te Suche nach Lolas kleinem Plastikhuh­n Bok, dem einzigen Gegenstand, den sie in der Hand halten kann. Mit dem Blog und zahlreiche­n Fotos will sie anderen Familien Mut machen: „Ist es manchmal hart? Habe ich harte Tage? Absolut. Aber diese traurigen Zeiten dauern nie lange. Ich habe viel zu viel, das mich glücklich macht – jeder Tag mit den Mädchen ist ein Geschenk.“

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