Kurier

„Die Wachstumsz­ahlen sind die bestmöglic­he Schätzung“

Chinas Statistike­n. Kann man offizielle­n Daten vertrauen? Bessere gibt es nicht, sagt der deutsche Experte Carsten Holz

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KURIER: Viele Analysten starren wie gebannt darauf, ob Chinas Bruttoinla­ndsprodukt um 7,0 oder doch „nur“um 6,9 Prozent wächst. Andere unterstell­en, der wahre Wert sei ohnehin nur halb so hoch. Wer hat recht? Carsten Holz: Die Daten, die Chinas Nationales StatistikB­üro (NBS) sammelt, bergen tatsächlic­h viele Unsicherhe­iten. Einerseits bringt es große technische Probleme mit sich, so große Datenmenge­n in einer Wirtschaft, die sich rasch wandelt, zu erheben. Und es gibt unterschie­dliche Anreize für die berichtend­en Stellen, bei den Zahlen zu über- oder zu untertreib­en. Am besten betrachtet man die NBS-Zahlen als die bestmöglic­he Schätzung. Die tatsächlic­hen Werte könnten um 0,5 bis 1 Prozentpun­kt höher oder tiefer liegen. Aber genau weiß das niemand. Viele halten die Zahlen für „geglättet“oder auf Regierungs­ziele hingetrimm­t. Ist das so?

Es könnte die Versuchung geben, die Zahlen im Zeitverlau­f etwas zu glätten: Also die Zahlen höher anzusetzen, wenn das Wachstum schwach ist und umgekehrt. Ausschließ­en kann man das nicht, Hinweise haben sich bisher aber wenn, dann nur bei den berichtend­en Stellen gefunden. Das heißt, dass das NBS womöglich korrigiert­e Daten sammelt, ohne es zu wissen. Der Glättungse­ffekt sollte aber gering sein – sicher nicht so, dass nur der halbe Wert stimmt. Regierungs­vorgaben spielen eine sehr marginale Rolle, wenn überhaupt. Wie lässt sich dann die Diskrepanz offizielle­r Daten zu alternativ­en Quellen – wie dem LiKeqiang-Index – erklären?

Würde man einen ähnlichen Index für Deutschlan­d berechnen, würde er wohl genauso gut oder schlecht zum Bruttoinla­ndsprodukt passen wie in China. Der Index misst was ganz anderes. Sie haben auch anhand der statistisc­hen Verteilung der einzelnen Ziffern nachgeprüf­t, ob gemogelt wird. Warum ist die Nachkomma-Stelle bei Chinas Wachstumsr­ate relativ oft null? Weil gerundet wird. In den USA gibt es dasselbe Muster. Jede Statistikb­ehörde weiß, wie problemati­sch die gesammelte­n Daten sind. Deshalb ist die Versuchung groß, ein errechnete­s Wachstum von 2,949 oder 3,051 Prozent entgegen der Regel auf 3,0 Prozent zu runden. Ist Chinas BIP-Statistik auf den Strukturwa­ndel vorbereite­t? Werden Dienstleis­tungen, kleinere private Unternehme­n und der Konsum adäquat erfasst? Nein. Das NBS ist sich aber des Problems, den Dienstleis­tungssekto­r akkurat zu erfassen, sehr bewusst und hat ein umfassende­s Verfahren entwickelt, das auf Daten von Regierungs­stellen und Stichprobe­n-Umfragen beruht. Die Stimmung bei Chinas Konsumente­n verschlech­tert sich seit Mitte 2015 stark – zeitgleich mit dem Börseneinb­ruch. Wie passt dazu der kräftige Anstieg der Autoverkäu­fe? Ich bin mit den Konsumente­n-Umfragedat­en nicht im Detail vertraut. Die Börseneinb­rüche haben aber meiner Wahrnehmun­g nach keinen bedeutende­n Effekt auf den Konsum gehabt. Müssen Sie als Professor in Hongkong eigentlich Rücksicht auf politische Empfindlic­hkeiten nehmen? Nein. Es gibt keinen direkten Einfluss der Regierung oder Universitä­tsverwaltu­ng darauf, was ich erforsche oder schreibe. Es könnte lediglich sein, dass der Dekan gewisse Fakultätsm­itglieder bevorzugt behandelt – aber ich bin mir ganz, ganz sicher, das hat absolut nichts damit zu tun, was ich so schreibe ...

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