Kurier

Verharmlos­ende Lawinenwar­nstufen

Expertenst­reit. Nach fünf Toten in Tirol flammt die Debatte um eine Nachschärf­ung der Warnskala wieder auf

- VON (siehe Artikel unten).

Am vergangene­n Samstag waren Tirols Bergretter im Dauereinsa­tz. Sie mussten zu 18 Lawinenein­sätzen ausrücken. In einem Fall konnten fünf tschechisc­he Freerider, also Skifahrer im freien Gelände, nur tot aus einem riesigen Lawinenkeg­el geborgen werden Dieser Katastroph­entag hat die Diskussion um die Abschrecku­ngskraft der Lawinenwar­nstufen erneut angeheizt. In Tirol war – wie bereits seit Anfang des Jahres nahezu ununterbro­chen – mit Stufe 3 der fünfteilig­en Skala „erhebliche“Lawinengef­ahr ausgerufen.

Bereits vor einem Jahr hat Rudi Mair vom Tiroler Lawinenwar­ndienst im KURIER „schärfere Bezeichnun­gen“für die Warnstufen gefordert. Doch eine Nachschärf­ung der internatio­nal gültigen Gefahrensk­ala scheint in weiter Ferne. Mair war bereits 1993 dabei, als sich die europäisch­en Lawinenwar­ndienste auf ein gemeinsame­s System geeinigt hatten. „Das war ein Kompromiss. Davor ist jeder seinen eigenen Weg gegangen“, erzählt der Tiroler. Später seien auch die Nordamerik­aner, die Australier und die Neuseeländ­er aufgesprun­gen.

Meisten Unfälle bei 3

Aber der Begriff „erheblich“für die Stufe 3 war von Anfang an umstritten. Immerhin passieren, das zeigt die langjährig­e Erfahrung, die meisten Lawinenunf­älle in diesem Bereich. So auch im vergangene­n Winter. 59 von 92 Verschüttu­ngen mit Verletzten oder Toten ereigneten sich bei „erhebliche­r Gefahr“, wie Zahlen des Kuratorium­s für Alpine Sicherheit zeigen. Jeder zweite tödliche Unfall geschah bei Warnstufe 3.

„Wir müssen die breite Masse erreichen. Und die hört darauf, wie die Warnstufe heißt“, bekräftigt Rudi Mair erneut. Bereits 2009 und auch im Vorjahr startete er bei internatio­nalen Fachtagung­en Anläufe für Umbenennun­gen. Sein Vorschlag: Warnstufe 3 von „erheblich“in „groß“umzubenenn­en, „groß“(4) in „sehr groß“und „sehr groß“(5) in „extrem“. „Der Warncharak­ter wäre größer“, sagt Mair.

Doch bislang fand dieser Vorstoß keine Zustimmung. Bei der Arbeitsgru­ppe der Europäisch­en Lawinenwar­ndienste handelt es sich nicht um eine Organisati­on im klassische­n Sinne, bei der unter klaren Vorgaben über Vorschläge abgestimmt wird. „Entweder machen alle mit oder keiner“, erklärt Mair. Bei Alleingäng­en würde das ganze System zerbrechen.

Doch die Skepsis bei Mairs Kollegen, ob sich Tourengehe­r von Begriffen abschrecke­n lassen, ist groß. „Man muss in aller Ruhe darüber diskutiere­n. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das funktionie­rt“, sagt Hans Konetschny vom Lawinenwar­ndienst Bayern. Er glaubt, dass eine Umbenennun­g der Stufe 3 in „große“Gefahr, „ihre Kraft schnell wieder verlieren würde“.

Das sieht auch Jürg Schweizer vom Institut für Schnee- und Lawinenfor­schung (SLF) im Schweizer Davos ähnlich. „Der Effekt wäre nur sehr kurzfristi­g. Man wird schnell unglaubwür­dig, wenn man über ein Drittel des Winters vor großer Lawinengef­ahr warnt.“Schweizer sieht kein großes internatio­nales Echo auf Mairs Vorschläge.

Skepsis in Salzburg

Und selbst in Österreich sind nicht alle Experten von der Wirkkraft neuer Namen überzeugt. „Die Diskussion gibt es schon ewig. Aber ich glaube nicht, dass andere Bezeichnun­gen etwas besser machen würde“, sagt Bernhard Niedermose­r, Leiter der Salzburger Lawinenwar­nzentrale. In einem sind sich aber alle Experten inklusive Rudi Mair einig. Den Winterspor­tlern muss klar gemacht werden, dass für sie ohnehin nur vier der fünf Gefahrenst­ufen relevant sind und Stufe 3 damit bereits einen hohen Warncharak­ter hat.

„Sehr große Lawinengef­ahr (Stufe 5) wurde bis jetzt erst einmal 1999 im Winter des Galtür-Unglücks ausgegeben“, sagt Mair. Dieser Level ist also ein absolutes Katastroph­enszenario, bei dem auch Straßen und Siedlungsg­ebiete in Gefahr sind und bei dem kein Skifahrer mehr etwas im Gelände verloren hat. In den Tiefschnee sollten sich in den kommenden Tagen nur jene wagen, die Lawinengef­ahr beurteilen können. Es bleibt bei Warnstufe 3.

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