Kurier

Ist Bernhard bei Trost gewesen? Alte Meister.

Des Autors Tiraden gegen die Renaissanc­emaler – eine Nachschau im Kunsthisto­rischen

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Man darf davon ausgehen, dass Thomas Bernhard mit der Website des Kunsthisto­rischen Museums nicht einverstan­den gewesen wäre. In seinem Roman „Alte Meister“(1985) zerlegte er die Gemäldegal­erie des ehrwürdige­n Hauses nach Strich und Faden. Hauptfigur Reger, ein Musikkriti­ker, den drei Jahrzehnte lang regelmäßig­e Besuche in das Museum trieben, fand eigentlich alles abscheulic­h, was die Habsburger aus der Renaissanc­e zusammenge­sammelt hatten.

Einzige Ausnahme: Der „Weißbärtig­e Mann“von Tintoretto. Vor dem Bildnis saß Reger, las Reger, sinnierte Reger und fand alles andere abscheulic­h. Sogar seine Frau lernte er dort kennen.

Unter den „Ausgesucht­en Meisterwer­ken“auf der KHM-Website findet sich das Bildnis nicht. Was für eine Kränkung. Drei Jahrzehnte nach der Veröffentl­ichung der „Alten Meister“empfiehlt sich also ein Rundgang im Museum, um das meisterlic­he Bild in Augenschei­n zu nehmen. Und die angeblich schlechte Kunst rundherum wird man schon ertragen. Bernhard selbst wäre schließlic­h heute 85 geworden.

Nur wohin? Der BordoneSaa­l, in dem Reger drei Jahrzehnte saß, ist eine literarisc­he Erfindung. Es gab in Wien nie genügend Bilder des Tizian-Schülers, um ihm einen eigenen Raum widmen zu können. In den weitläufig­en Sälen der Gemäldegal­erie stoppt dann eine schwarze Tafel den Schritt. Hier wird umgebaut, wir bitten um Verzeihung. Daneben: der Tintoretto. Als letztes Bild vor dem baubedingt verschloss­enen Durchgang. Eine seltsame Begegnung: Das soll also im ganzen Haus das einzige meisterhaf­te Werk sein? Ist Bernhard bei Trost gewesen?

Es handelt sich um ein Bildnis eines venezianis­chen Patriziers aus dem 16. Jahrhunder­t, „Auftragsku­nst“, wie er selbst schreibt. Ein wirkmächti­ger Mann, entschloss­en, aber mit melancholi­schem Blick scheint auf der Leinwand am Betrachter vorbeizuma­rschieren.

„Zwei Frauen sind vor ihm gestorben“, klärt der emeritiert­e Philosophi­eprofessor Alfred Pfabigan auf. Der Bernhard-Kenner bietet mit seiner Frau Magda Privatführ­ungen zu den „Alten Meistern“an und hat offenkundi­g Spaß an der Materie.

In die Waagschale

Ein paar Bilder weiter ist klar, warum. Bernhards Tiraden funktionie­ren einwandfre­i: Er warf sich selbst auf die Waagschale gegen die Größen der Kulturgesc­hichte. Und macht den Museumsrun­dgang somit zum königliche­n Spaß.

Tizians Bildnis der „Kirschenma­donna“, auf dem er den Jesus im Kleinkinda­lter seiner Mutter Kirschen füttern lässt, hält er zum Beispiel einfach nur für schlechte Arbeit. Es „zerfließe“vor den Augen, beklagt Reger im Buch. Und der Betrachter schmunzelt auch im Jahr 2016 über solchen Hass gegen ein 500 Jahre altes Gemälde. Meisterlic­hkeit ist hier nicht mehr als eine Dekoration für die Museumswan­d. Besonderen Schmerz verursacht Reger in dem Buch ein nicht näher spezifizie­rtes Werk von Andrea Mantegna, das er am liebsten von der Wand gerissen hätte – „eine Gemeinheit“findet er.

Sieht man sich die drei kleinen Bilder des prägendste­n Malers der Frührenais­sance an, die das KHM bereit hält, stellt sich der Effekt nur bedingt ein. Allerdings lässt sich erahnen, dass sich Bernhard von unauthenti­scher Malerei eher unterdurch­schnittlic­h unterhalte­n fühlte.

Demgegenüb­er: Der „Weißbärtig­e Mann“wirkt so, als könnte er tatsächlic­h um die nächste Ecke biegen. Und er strahlt eine Ruhe aus, neben der man es wohl 30 Jahre aushalten könnte.

Erstaunlic­h doppelbödi­g wird es bei Giorgiones „Bild einer jungen Frau (Laura)“. Darauf zeigt die 1506 Abgebildet­e die rechte Brust und beweist, dass gekonnte Entblößung die größte Wirkung entfaltet – selbst in einem Museum, wo nackte Frauen an jeder Ecke dargeboten werden. Bernhard wetterte hier nur: „Erregungsk­unst“, ätzte er. „Dieser Giorgione ist so aufgeblase­n, dass es zerplatzt vor den Augen.“

Dem Erregungsk­ünstler, der selbst zu Lebzeiten zum Wiener Literatur- und Bühnenskan­dal aufgeblase­n wurde, dürfte die Ironie dieses Urteils nicht entgangen sein.

Wie Reger treffend bemerkt, fehlen in der Sammlung El Greco und Goya. „Keinen Goya, sagte er, das sieht den Habsburger­n ähnlich, die ja, wie Sie wissen, keinen Kunstverst­and gehabt haben.“Wir wissen Bescheid.

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