Mehr als nur neue Tabletten Komplex.
Wie die Forschung Strategien entwickelt, um resistente Prostata-Karzinome auszutricksen
Die Entwicklung neuer Medikamente ist nicht notwendigerweise das Ziel der Krebs-Forschung. Je aufschlussreicher die diagnostischen und prognostischen Verfahren sind, desto exakter lässt sich bestimmen, wer wann welches Medikament bekommen sollte. Julia Höfer von der Medizinischen Universität Innsbruck forscht mit ihren Kollegen an Indikatoren zur Bestimmung der Aggressivität von ProstataKarzinomen. Sie haben das Prostata-Karzinom unlängst als „vielseitig, geschickt, erfinderisch und kommunikativ“beschrieben. Der Tumor ist doch kein denkendes Wesen? Julia Höfer: Nein, aber er ist sehr komplex und dadurch anpassungsfähig. Praktisch jeder Tumor entwickelt über einen längeren Zeitraum Resistenzen gegen spezifische Therapieformen. Im Falle des Prostatakarzinoms ist es etwa so, dass dessen Wachstum vom männlichen Sexualhormon Testosteron abhängig ist. Häufig wird daher eine Hormonentzugstherapie angewandt, um ein Fortschreiten des Tumors zu stoppen. Das geschieht mittels chemischer oder in seltenen Fällen chirurgischer Kastration. Die Therapie führt aber zu einem Selektionsprozess auf der molekularen Ebene des Tumors. Entzieht man einem Karzinom diese Hormone, sterben jene Tumorzellen ab, die für ihr Fortbestehen auf Testosteron angewiesen sind. Der Tumor schrumpft. Die Zellen, die ohne das Hormon überleben können, vermehren sich jedoch bald weiter. Diese Zellen sind entweder in geringer Zahl vorher schon im Tumor vorhanden oder erwerben diese Eigenschaft während der Therapie. Etwa durch Mutationen oder das Verändern von Signalwirkungsketten. Langfristig kommt es so zu einer Resistenz gegen diese Behandlung, der Tumor wird zum kastrationsresistenten Prostatakarzinom und man muss zu anderen therapeutischen Strategien greifen. Stehen diese Resistenzen Mittelpunkt Ihrer Forschungen?
Wir untersuchen die molekularen Unterschiede zwischen Patienten und deren Ansprechen auf spezifische Therapien. Dazu versuchen wir herauszufinden, warum gewisse Zellen resistent sind oder werden, wenn sie langfristig mit einem Präparat behandelt werden. Zudem helfen sie bei der Entwicklung neuer Medikamente und auch bei der Verbesserung der Zielgenauigkeit bestehender Therapien. Man könnte dann bereits vorher mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, dass ein spezifisches Medikament bei einem Patienten nicht besonders wirksam sein wird – und bereits im Vorfeld zu anderen Therapiemöglichkeiten greifen. Woran forscht Ihr Team konkret?
Im Körper gibt es Botenstoffe, die das Wachstum und die Differenzierung von Zellen regulieren. In gesunden Zellen wird die Signalwirkung dieser sogenannten Zytokine durch hemmend wirkende Proteine wie SOCS und PIAS gehemmt. Beide sorgen für eine korrekte Regulation des Zellwachstums. Je mehr Proteine wie PIAS1 im Körper vorhanden sind, umso besser ist das im Kampf gegen Krebs?
Das könnte man meinen. Unsere Studien zeigen aber etwas anderes. Die Konzentration ist in besonders aggressiven Tumoren und in Metastasen wesentlich höher, als in weniger bösartigen Tumoren oder in gesundem Gewebe. Der Grund dafür ist, dass PIAS1 auch den Signalweg des Androgenrezeptors stimuliert, welcher die Wirkung von Testosteron vermittelt und somit ausschlaggebend für das Wachstum von Prostatakrebszellen ist. In weiterführenden Zellkultur-Studien konnten wir außerdem zeigen, dass PIAS1 ein Protein unterdrückt, welches die Zellteilung bei Bedarf stoppen kann. Je mehr PIAS1 also im Tumor vorhanden ist, desto rascher kann der Tumor wachsen. Wann wird aus Ihren Forschungsergebnissen eine Therapie?
In meinem aktuellen, vom FWF und dem Land Tirol co-finanzierten Projekt untersuchen wir die Rolle von PIAS1 in der Strahlentherapie. PIAS1 ist nämlich auch an der Reparatur von DNA-Brüchen beteiligt, wie sie zum Beispiel durch eine Strahlentherapie bewusst hervorgerufen werden. Wir vermuten, dass eine geringe PIAS1-Konzentration in Tumorzellen die Erfolgsaussichten einer Strahlentherapie verbessert, eine hohe sie dagegen schmälert. So könnte man betreffenden Patienten eine voraussichtlich wenig effektive Therapie ersparen und frühzeitig nach Alternativen suchen. Diese Studie könnte einen neuen Ansatzpunkt für eine Kombinationstherapie liefern, in der man PIAS1 in der Krebszelle zusätzlich zur Bestrahlung hemmt und damit deren Effektivität erhöht. Lässt sich das auf andere Krebserkrankungen übertragen?
Tumore unterscheiden sich je nach betroffenem Gewebe stark und sogar innerhalb einer Tumorentität gibt es große Unterschiede. Verallgemeinerungen sind daher nur eingeschränkt möglich. Zur Rolle von PIAS1 bei anderen Tumoren gibt es bisher wenig vergleichbare Daten. Es gibt eine Ausnahme: Brustkrebs ist, genauso wie Prostatakrebs, ein hormonabhängiger Tumor. Wir fanden erste Hinweise darauf, dass PIAS1 nicht nur mit dem männlichen Sexualhormon, sondern auch mit dem weiblichen in einem Zusammenhang steht und somit in dieser Krebserkrankung eine ähnliche Rolle spielen könnte. Auch diese Fragestellung ist Teil meines aktuellen Forschungsprojektes.