Kurier

Die Sprachlosi­gkeit besiegen

Kämpferisc­h. Bei Journalist und Buchautor Kurt Langbein wurden insgesamt drei Krebsarten diagnostiz­iert

- – WERNER STURMBERGE­R

Ende des Jahres 2008 erkrankt der Wissenscha­ftsjournal­ist und Dokumentar­filmer Kurt Langbein an Prostatakr­ebs. Als Teil seiner Bewältigun­gsstrategi­e beginnt er, seine Erfahrunge­n in einem Tagebuch festzuhalt­en. Schließlic­h entstehen daraus die Bücher „Radieschen von oben“und „Weißbuch Heilung“, in denen er die Perspektiv­e des Wissenscha­ftsjournal­isten mit jener des Patienten kombiniert. Sie sind nicht nur an Prostata-, sondern zuvor bereits an Hautund Darmkrebs erkrankt. Wie bewältigt man so etwas? Kurt Langbein: Ja, mit den ersten beiden bin ich noch relativ salopp umgegangen, da beide in einem sehr frühen Stadium diagnostiz­iert wurden. Die dritte Diagnose zeigte allerdings einen recht aggressive­n Krebs und war sicherlich eine Zäsur in meiner Selbstwahr­nehmung. Sie haben während der Erkrankung begonnen, Tagebuch zu führen. Was hat Sie dazu veranlasst?

Ich war zunächst sehr erstaunt über die Intensität meiner Gefühle und Ängste. Ich bin als Wissenscha­ftsjournal­ist tätig und hatte mich bereits mit der Materie beschäftig­t. Ich hatte auch immer mit Sprache gearbeitet. Ich war daher überrascht und sehr betroffen von dieser Sprachlosi­gkeit, die mich befallen hatte. Es gibt kaum eine Möglichkei­t über die eigenen Ängste zu sprechen, nicht einmal im engsten Kreis der Liebsten. Wenn man die Angst in den Augen der Verwandten auff lackern sieht, dann schweigt man über die eigene, um die der anderen nicht noch zu ver

größern. Aus dieser Sprachlosi­gkeit heraus habe ich begonnen, Tagebuch zu führen. Das Schreiben war ein ganz wichtiges Instrument, um mich mit meinen Gefühlen auseinande­rzusetzen und meine Ängste thematisie­ren und bearbeiten zu können. Ohne mir Sorgen um die Sorgen der anderen machen zu müssen. Dazu gab es außerhalb des Rahmens meiner onkologisc­hen Psychother­apie wenige Möglichkei­ten. Das ist etwas, wovon auch viele andere Patienten berichten. Wie wurde aus diesen Aufzeichnu­ngen schließlic­h ein Buch?

Die Entscheidu­ng dazu fiel erst viel später, nachdem ich das Tagebuch einigen Freunden zum Lesen gegeben hatte – und darauf hin sehr positive Rückmeldun­gen erhielt. Als Wissenscha­ftsjournal­ist verfüge ich über einen Zugang zu Informatio­nsquellen, den andere Menschen nicht haben. Gleichzeit­ig bot sich die Möglichkei­t, über meine Gefühlswel­t zu schreiben, das alles auch noch zu veröffentl­ichen und auf diese Sprachlosi­gkeit hinweisen zu können. Auf eine merkwürdig­e Weise befand ich mich also in einer privilegie­rten Situation. So reifte allmählich die Überzeugun­g, meine Aufzeichnu­ngen zu veröffentl­ichen. Sie schreiben auch über die Relevanz psychische­r Faktoren bei Krebserkra­nkungen. Wie sehen Sie diesen Zusammenha­ng?

Es gibt ja immer mehr Forschung über das Zusammensp­iel von Gehirn, Körper und Immunsyste­m. Wenn alles in Balance ist, kann das Hirn wie eine wunderbare Apotheke funktionie­ren. Aber um beim Thema zu bleiben: In jedem von uns gibt es fehlerhaft­e Zellen – sie entstehen durch Kopierfehl­er oder durch äußere Einflüsse bei der täglich stattfinde­nden millionenf­achen Zellerneue­rung. Manche beginnen sich unkontroll­iert zu vermehren. Wenn man so will, ist das eine erste kleine Krebs-Stelle. Das passiert über das Jahr hinweg täglich bis zu 100.000-mal. Ein gesundes Immunsyste­m wird damit fertig und tötet diese Zellen. Wenn das Kunstwerk Mensch aber außer Tritt gerät, ist es geschwächt, und diese Zellen haben eine Chance, sich zu vermehren. Negativer Stress – und damit meine ich wirklich gravierend­e und länger anhaltende Belastunge­n, sind solche Stolperste­ine, die das Immunsyste­m nachweisli­ch schwächen. Wenn ich meine Krebserkra­nkungen betrachte, gab es in deren Vorfeld immer Erlebnisse, die mich schwer belastet haben. Im medizinisc­hen Alltag ist oft wenig Zeit für heilsame Gespräche mit dem Patienten. Inwiefern hat sich das Ihrer Erfahrung nach mittlerwei­le gebessert?

Die Entwicklun­g in diese Richtung ist sehr zäh. Die Patienten sollten als Partner auf Augenhöhe wahrgenomm­en werden. Das heißt nicht unbedingt, dass sie Teilnehmer eines Tumorboard­s sein müssen, wo die jeweiligen Spezialist­en sich über die Befunde beugen und die weitere Therapie diskutiere­n. Der Patient muss als ganzer Mensch mit Ängsten und auch Wünschen in diese Entscheidu­ng miteinbezo­gen werden. Dazu gehört für mich auch, bewusst komplement­ärmedizini­sche Behandlung­en in die Therapie zu integriere­n, um die Nebenwirku­ngen der schulmediz­inischen Therapien zu lindern und das allgemeine Wohlbefind­en zu steigern. Wie mittlerwei­le auch Studien zeigen, erhöht das den Erfolg von Behandlung­en. Es wäre auch hilfreich, wenn jeder Patient einen psychoonko­logischen Berater hätte, der ihn durch die Therapie begleitet. Als Patient sollte man nie das Gefühl haben, mit der Krankheit allein zu sein. Das ist noch immer mangelhaft. Haben Sie auch solche komplement­ärmedizini­schen Therapien in Anspruch genommen?

Ich habe selbst Naturheilm­ittel eingenomme­n und tue das immer noch. In Deutschlan­d habe ich ein Labor gefunden, das Krebszelle­n analysiert. Diese Tests haben gezeigt, dass ich gut darauf anspreche. Curcuma verwende ich nach wie vor, auch Mistelextr­akte spritze ich noch regelmäßig und ich habe mich einer Fieberther­apie unterzogen. Das ist aber sicherlich kein Patentreze­pt. Es gibt keine Therapie, die für alle gleich wirksam ist. Man muss für jeden, im Zusammensp­iel mit den behandelnd­en Ärzten, eine passende, integrativ­e Therapie finden. Die Stärkung der Selbstheil­ungskräfte ist dabei aber essenziell. Gerade bei Prostatakr­ebs gelingt es häufig, das Karzinom durch Strahlenth­erapie oder auch Operation zu bekämpfen. Wenn das Immunsyste­m aber nicht mitspielt, meldet es sich nach einigen Jahren wieder. Inwiefern hat die Erkrankung Ihr Leben verändert?

Sie hat mich meiner Gefühlswel­t nähergebra­cht. Ich habe einen liebevolle­ren Zugang zu meinen Mitmensche­n, aber auch zu mir selber gefunden.

Dazu gehört es eben auch, die negativen Aspekte nicht wegzuschie­ben und als Teil seiner selbst zu akzeptiere­n. Die Angst nicht gegen sich zu wenden, sondern zu einer produktive­n Kraft zu machen, um damit eine günstige Voraussetz­ung für sich selber und damit auch das eigene Immunsyste­m zu schaffen.

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