Zornige Textsalven gegen den Terror
Uraufführung. Nicolas Stemann inszenierte in den Münchner Kammerspielen Elfriede Jelineks „WUT“– wuchtig
Die „Stücke“von Elfriede Jelinek sind überbordende Ansammlungen von Gedanken und Äußerungen zu einem Thema, zu Katastrophen und politischen Ereignissen.
„WUT“, das neue Werk der Literaturnobelpreisträgerin, ist nicht anders, vielleicht sogar noch extremer: Dass es sich bei den 113 dicht beschriebenen Seiten Text um kein „Drama“handelt, ist offensichtlich: Die Autorin selbst klassifiziert „WUT“im Untertitel als „kleines Epos“samt der ironischen Anmerkung: „Geh bitte, Elfi, hast du’s nicht etwas kleiner?“
Der Begriff „Epos“passt ganz gut. Denn Jelinek beschäftigt sich in erster Linie mit den Attentaten in Paris auf Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt. Sie seziert die Taten von Menschen, die im Namen Gottes morden und deren Wut, die sie nicht nachvollziehen kann. Genauer und immer wieder repetierend, setzt sie sich mit der eingesetzten Waffe, der Kalaschnikow, auseinander, die über eine „Gaskammer“verfügt.
Geheiligter Zorn
Jelinek ref lektiert, wie Homer, das Geschehen, sie artikuliert auch ihre eigene Wut. Sie zitiert Sigmund Freud und bringt Herakles ins Spiel, der, von Göttin Hera verwirrt, die Familie auslöscht. Einer der zentralen Sätze ist die nicht neue, aber erschütternde Erkenntnis: „Jeder Mensch besiegt jeden Gott, der nicht seiner ist.“Ja, es dreht sich andauernd um geheiligten Zorn: „Gott, wie konntest du das zulassen!“
Nebenbei behandelt die Autorin auch die Schulden von Griechenland wie unsere Schuld, den Nationalismus und die Flüchtlingsproblematik. Um diese Anrufung zu Gehör zu bringen, bräuchte es Abende. Aber Jelinek ist auch eine rechte „Schwätzerin“. Für die Münchner Kammerspiele erstellte Dramaturg Benjamin von Blomberg eine exzellente Strichfassung: Von so mancher Seite blieb bloß ein Satz über – etwa „Der Tod, der kostet das Leben, aber heute gibt’s ihn gratis“oder „Wir lassen uns nicht erziehen, wir ziehen nur los“. Dieses verdichtete Konvolut auf der multimedialen Show-Bühne in Purpur von Katrin Nottrodt umzusetzen: Das hätte in zweieinhalb Stunden gehen müssen.
Nicolas Stemann, höchst versierter Jelinek-Regisseur, tat sich trotzdem schwer. Am Samstag trat er vor der Uraufführung auf die Bühne, um einzubekennen: Er sei nicht fertig geworden. Er wisse nicht genau, wie lang der Abend dauern werde, vier Stunden etwa. Man werde durchspielen, denn die Thematik vertrage keine Pause. Weil dies aber unzumutbar sei, würden etwa zur Halbzeit die Türen aufgehen, und man könne sich etwas zu trinken holen. Davon machen etliche Zuschauer Gebrauch – ohne wiederzukehren. Sie haben vieles versäumt.
Zeremonienmeister
Die einnehmende Einleitung ist natürlich Teil der Inszenierung. Stemann wird sich in der Folge immer wieder einbringen – als Zeremonienmeister, Conferencier, Aktionist. Er zieht die Fäden. Und er sprüht vor Ideen.
Zunächst bleibt er nah an der Vorlage: Die sieben Akteure verwandeln sich in clowneske Figuren, sie skandieren Passagen zur bedrohlichen Live-Musik von Thomas Kürstner und Sebastian Vogel. Claudia Lehmann überträgt alles mit GoPro und Handy-Kamera auf Leinwände. Schließlich filmten die Mörder ihre Taten mit.
Später dann wird das erfundene, auf Textzitaten basierende Dramolett „Nicolas Stemann kauft eine Gitarre und geht mit mir essen“gegeben: Julia Riedler versucht sich als „Elfi“, die sich „den Arsch aufreißt“, in breitem Wienerisch. Und der Regisseur erklärt, dass es sich dabei um eine Karikatur handle. Bitte nicht beleidigt sein! Ähnliches wird sich wiederholen: Jesus empfängt diverse Götter zur Party – von Zeus bis Buddha, nur der „beliebte Mo“bleibt fern.
Selbstmörder-Katze
Seit dem Schreiben von „WUT“im Frühjahr 2015 hat sich die Situation radikalisiert, es kamen viele Terroranschläge hinzu. Stemann packt all das hinein, was seither passierte. In der NichtPause zum Beispiel machte er eine Stegreif-„Presseschau“rund um die Affäre Jan Böhmermann – hatte „Merkel beugt sich Erdowahn“getitelt. Oder er ließ die „Piano Phase“von Steve Reich intonieren, um an das Konzert kürzlich in Köln zu erinnern, das abgebrochen werden musste, weil das Publikum „Buh“und „Entartet“schrie.
Stemann schickt eine riesige Selbstmörder-Katze auf die Bühne, er inszeniert einen plakativen „Shitstorm“(die Akteure werfen mit Exkrementen), er errichtet eine Grenzkontrolle und lässt den Eisernen Vorhang herunter, er erinnert an das Massaker an den Algeriern 1961 in Paris. Und Annette Paulmann fungiert quasi als Jelinek bei einer Lesung. Kurz vor Mitternacht ist Schluss: „Wenn alles tot ist, ist alles gleich.“
Beklemmend. Grandios.