Wenn Literatur zu Kunst wird Literaturmuseum.
Die Sonderausstellung „Bleistift, Heft & Laptop“lässt zehn Autoren sehr viel Freiraum
Vor genau einem Jahr, am 18. April 2015, wurde im ehemaligen Hofkammerarchiv, dem einst Franz Grillparzer als Direktor vorstand, das Literaturmuseum der Nationalbibliothek (ÖNB) eröffnet. Die Dauerausstellung im 1. und 2. Stock ist äußerst liebevoll eingerichtet: Man begibt sich zwischen den denkmalgeschützten, vielfältig befüllten Holzregalen auf Entdeckungsreise.
Die Publikumsfrequenz dürfte aber – auch wenn man dies nicht eingesteht – niedriger als erhofft ausgefallen sein. Denn das Literaturmuseum kam bis Ende 2015 auf nur 18.405 Besucher, nach einem Jahr liegt man bei etwa 24.000. Zwei andere, durchaus sehr spezifische Einrichtungen der ÖNB erreichten ohne „Neu!“-Bonus ähnliche Zahlen: Das Globenmuseum kam letztes Jahr auf 19.577 Besucher, das Papyrusmuseum auf 18.963.
Zündende Idee
Aufgrund von Budgetknappheit konnte erst jetzt, zum Jahrestag, die erste Sonderausstellung eröffnet werden. „Bleistift, Heft & Laptop“
sollte die Darstellung der Literaturgeschichte anhand von zehn Positionen in die Gegenwart ziehen. Je fünf Frauen und fünf Männer, darunter auch etliche bekannte Namen, wurden eingeladen, „sich, ihr Werk und ihre Zugänge zum Schreiben“zu präsentieren.
Die grundlegenden Fragen der beiden Kuratoren Angelika Reitzer und Wolfgang Straub lauteten: „Wie werden aus Einfällen Gedichte, Theatertexte, Erzählungen oder Romane? Woran entzünden sich die Einfälle? Was wird aus den Einfällen im Verlauf der Arbeit am Text?“
Es ging ihnen aber nicht um eine wissenschaftliche Dokumentation oder einen Querschnitt, sondern um „einen unakademischen Blick auf die Schreibpraxis“der jungen und der bereits eta- blierten Schriftstellergeneration. Die Kuratoren ließen den Autoren bei der Gestaltung mehr oder weniger freie Hand. Jede und jeder bekam Regale im 3. Stock des „Grillparzerhauses“zugewiesen, fast jede und jeder gab sich bei der Gestaltung Mühe, aber keine oder keiner stellte wirklich die „Werkstatt“aus oder gab etwas von sich oder den Prozessen preis.
Einige Beiträge sind sogar eine Themenverfehlung. Clemens J. Setz zum Beispiel, der gegenwärtige Star der „heimlichen“Literaturhauptstadt Graz, stellte kleine, surreale Ölgemälde in die Regale, zu denen Katharina Weiß von Zitaten aus seinen Büchern inspiriert wor- den war. Auch wenn im „Hörraum“Handy-Aufnahmen von Setz mit Ideen für Texte abruf bar sind: Der Titel „Bleistift, Heft & Laptop“führt in die Irre. Die Ausstellung selbst ist aber sehenswert – aufgrund der Annäherungen, wie man in der Rolle des bildenden Künstlers mit dem Raum umgehen soll.
Installation aus Papier
Manche der Autoren sind Doppelbegabungen – und tun sich daher recht leicht. Brigitta Falkner zum Beispiel zeigt einen Querschnitt ihrer grafischen Arbeiten, darunter Bildtexte, Storyboards, Comics und Anagramme. Teresa Präauer stellt gefaltete Papierobjekte und bunte Zeichnungen aus. Sie ist übrigens die einzige, die sich selbst präsentiert: verkleidet als Bleistift mit einer „Spitze“auf dem Kopf, inmitten einer Installation aus Papier.
Andere präsentieren ihre Recherchematerialien: Die Pinnwand von Anna Weidenholzer besteht aus Fotos, Texten und Zeitungsschnipseln; es gibt auch ein paar „Hörbucher“im wahrsten Sinn des Wortes: Wenn man diese aufklappt, hört man Interviews, die Weidenholzer für ihren Roman über eine arbeitslose Verkäuferin mit Betroffenen führte. Und Thomas Stangl präsentiert die Grundlagen für seine Stadt-Topografien, darunter Metropläne, Fotos, Landkarten, Jahreszahlen.
Auffallend aber sind die Kollaborationen mit Künstlern: Der Dichter Ferdinand Schmatz stellt unter anderem die Gemeinschaftsarbeit mit Heimo Zobernig aus („Die Kunst der Enzyklopädie“), die Dramatikerin Gerhild Steinbuch hat mit Philine Rinnert vielfältige, mit Schrift verzierte Objekte geschaffen. Und Kathrin Röggla zeigt zusammen mit Oliver Grajewski eine Büro-Installation, die sich auf ihre Arbeiten über unsere „alarmbereiten“Medienwelten bezieht. Wenn plötzlich das Telefon am Schreibtisch klingelt: Soll man abheben?
Der versprochene Blick auf die Schreibpraxis wird sicher auch noch folgen.