Van der Bellens schwieriger Spagat
Hofburg-Strategie. Wie der Ex-Grünen-Chef versucht, über die Parteigrenzen hinweg zu punkten
Für Alexander Van der Bellen war schon zu Beginn des Wahlkampfs klar, dass er nur eine Chance hat, in die Hof burg zu kommen: Er muss weit über den Kern seiner politischen Heimat hinaus wirken. Das scheint zu gelingen.
Die Grünen liegen in der Sonntagsfrage konstant bei etwas mehr als zehn Prozent. Ex-Grünen-Chef Alexander Van der Bellen liegt in Umfragen für die Hof burg-Wahl seit Jahresbeginn ebenso konstant bei rund dem Doppelten.
Von den vier Partei-(nahen) Kandidaten, die sich um das Amt des Bundespräsidenten bewerben, wird Van der Bellen der Einzige sein, der am Wahltag nicht nur das Potenzial seiner Partei ausschöpfen wird können, sondern auch noch weit darüber Stimmen einsammeln wird.
Wie macht Van der Bellen das? Wie schafft er den Spagat, gleichzeitig grünes, rotes, schwarzes und liberales Publikum anzusprechen?
„Es ist eine Persönlichkeitswahl, und Alexander Van der Bellen ist eine Persönlichkeit, die für Ausgewogenheit steht“, sagt sein Kampagnenleiter Lothar Lockl. „Man traut ihm zu, dass er Österreich gut vertritt und in schwierigen Zeiten das Gemeinsame über das Trennende stellt.“
Hinter dieser simplen Erklärung steckt freilich mehr.
Zuallererst: Gute Vorbereitung. Van der Bellen hat sich im vergangenen Sommer entschieden, anzutreten, und sich seither intensiv mit der Rolle des Bundespräsidenten auseinandergesetzt, gemeinsam mit seinem Team eine Strategie ausgetüftelt.
Eigener Kopf
Überspitzt könnte man sie so zusammenfassen: Grüne Stammwähler werden ohnehin mehrheitlich Van der Bellen wählen – also kann er sich im Wahlkampf darauf konzentrieren, alle anderen anzusprechen.
Zugutekommt ihm dabei, dass er schon in der Vergangenheit oft in großen Fragen von der Parteilinie abwich: Van der Bellen war 1994 für den EU-Beitritt, während die Grünen mehrheit- lich dagegen waren; er verhandelte mit Wolfgang Schüssel über eine schwarz-grüne Koalition, obwohl wichtige Landesverbände dagegen wetterten; er hält – im Gegensatz zu den Grünen – Studiengebühren für eine gute Idee.
Und so ist es nicht unglaubwürdig, dass sich Van der Bellen im Wahlkampf demonstrativ bemüht, aus dem grünen Eck zu kommen. Die Grünen übernehmen zwar einen Großteil der Kosten für die – offiziell unabhängige – Kampagne. Ansonsten präsentiert sich der Professor jedoch betont eigenständig.
Es gibt keine Auftritte mit grünen Spitzenpolitikern oder bei grünen Parteiveranstaltungen.
Die Plakate unterscheiden sich optisch deutlich vom Stil der letzten Grün-Kampagnen.
Im Personenkomitee finden sich Promis und Ex-Politiker, die für gewöhnlich schwarz oder rot zugeordnet werden – Vertreter der Grünen aber fehlen auch hier.
Und auch bei den Themen setzt Van der Bellen andere Schwerpunkte: Als er etwa in der
ORF- Pressestunde gefragt wurde, ob er – grüne Ikone, die er ist – nicht mehr den Klimaschutz thematisieren müsste, gab er der Sache sofort einen Spin, der auch vom Wirtschaftsbund hätte kommen können: Ja, sagte Van der Bellen, er würde sich als Bundespräsident für den Klimaschutz einsetzen. Und zwar mit einer Konferenz in Wien, die den heimischen Export ankurbeln würde.
Abweichende Linie
Mitunter gestaltet sich der Spagat schwierig – zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik: Fotos von Van der Bellen unter Flüchtlingshelfern, etwa am Wiener Westbahnhof, sucht man vergebens. Er geißelte zwar die angedachte Schließung der Brenner-Grenze als „das Letzte“; gleichzeitig räumte er ein, weitere 90.000 Asylanträge – wie im Vorjahr – werde Österreich nicht schaffen. Als Grüner Parteichef hätte er sich dafür wohl wieder einen Rüffel von der Basis geholt; als Kandidat kann er so punkten.