Die SPÖ entdeckt das Grätzl neu
Unter die Jubelstimmung ob des Sieges gegen die FPÖ mischten sich bei der Wiener SPÖ im vergangenen Herbst rasch andere Töne. Die Parteiarbeit muss auf neue Beine gestellt werden, will man bestimmende Kraft in Wien bleiben. So warnte Michael Häupl vor zu viel Euphorie.
Ein halbes Jahr später legt die SPÖ jetzt mit einer Nachbarschaftskampagne los. Funktionäre und Parteimitarbeiter sollen in den kommenden Monaten im Wiener Grätzel Stimmung und Problemzonen erforschen. Geht es nach Häupl und seinem Parteimanager Georg Niedermühlbichler, sollen bereits im Herbst erste Ergebnisse vorliegen und Nachbarschaftsprojekte umgesetzt werden.
Noch klingt die Reform in der Wiener SPÖ in Teilbereichen diffus. Man wolle viele Gespräche führen, um zu erfahren, wo die Grätzel-Bewohner der Schuh drückt. Die größte Problemlage ist dem Bürgermeister bekannt: „80 Prozent der eMails, die mich erreichen, drehen sich um Arbeit und Wohnen.“Daher will er in jedem Bezirk einen Sozial-Bezirksrat seiner Partei, der ganz genau weiß, welche Sozialleistungen man hilfesuchenden Wiener anbieten kann.
Bei all diesen Aktionen geht es Häupl in Wahrheit darum, den zunehmend verloren gegangenen Kontakt zwischen seiner Partei und den Wienern wieder herzustellen. Die Parteistruktur ist ergraut. Oder es gibt den Hausmeister auf unterster Ebene nicht mehr.
Orientierte sich die SPÖ in ihrer Arbeit bisher an den Wahlsprengeln, entsteht in der Zentrale in der Wiener Löwelstraße gerade ein neuer Strategieplan. Die SPÖ will das Wiener Grätzl hoch aufs Schild heben. Niedermühlbichler bestätigt, dass seine Partei gerade an einer neuen Wiener Grätzlkarte für die eigenen Funktionäre arbeite.
Genau definiert ist dieser Punkt noch nicht. Nach Lesart Niedermühlbichlers ist das Grätzl jede Form von Treffpunkten der Wiener, also Wirte, Trafikanten bis hin zum Fußballplatz. Für Parteichef Michael Häupl ist sein Grätzl die Sandleitengasse oder es sind Gegenden wie der Brunnenmarkt. Am Ende des Tages schweben Häupl und Niedermühlbichler ein neues Netzwerk der Roten über ganz Wien vor. Mit dem Ziel, bei der Gemeinderatswahl 2020 die lästige FPÖ deutlicher zu distanzieren. Ein Urgestein verlässt unterdessen die ÖVP. Ernst Paleta, Fraktionschef der ÖVP im Liesinger Bezirksparlament und seit 45 Jahren Mitglied, verlässt die Partei im Zorn. Er bleibt parteiloser Bezirksrat. Als Grund für seinen Schritt nennt Paleta das fehlende Vertrauen in die Parteispitze und den fehlenden personellen und inhaltlichen Neustart nach der Wienwahl im Vorjahr. Gemeinsam mit Paleta geht auch seine Stellvertreterin Waltraud Schrittwieser.
Für die Landespartei kein großer Verlust: „Wie überall im Leben ist auch in der Politik der Weg der Veränderung oft ein schwieriger und einer, den nicht immer jeder mitgehen will. Dann ist es auch gut und richtig wenn man den Weg für einen echten Neustart freimacht“, sagt eine Sprecherin der Landespartei.