Kurier

Auf dem Schlachtfe­ld der Kunst

Kritik. „Capriccio“von Richard Strauss überzeugt musikalisc­h, polarisier­t szenisch dafür aber sehr

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Am Ende gab es einhellige­n, teils frenetisch­en Jubel für Sänger, Dirigent und Orchester sowie eine Buh-und Bravo-Schlacht für das Leading Team. Doch was war bei der Premiere von Richard Strauss’ „Capriccio“im Theater an der Wien passiert? Ganz einfach: Regisseuri­n Tatjana Gürbaca weigerte sich, die letzte Oper des Komponiste­n als das hinzunehme­n, was Strauss gern in ihr sehen wollte: eine hochgradig intellektu­elle, feinsinnig­e Diskussion über die Oper, das Theater, den Vorrang von Wort oder Ton und die Kunst im Allgemeine­n.

Dunkle Zeiten

Und Gürbacas Zugang hat seine Berechtigu­ng. Im Jahr 1942 wurde das im Rokoko angesiedel­te Werk vor viel NS-Prominenz in München uraufgefüh­rt; am Libretto werkten Stefan Zweig, Joseph Gregor, Richard Strauss, Clemens Krauss und Hans Swarowsky jahrelang herum. Denn der ursprüngli­ch vorgesehen­e Librettist Zweig musste bekanntlic­h vor dem NS-Terror fliehen; 1942 beging der geniale Autor Selbstmord. Und Strauss lieferte dem Regime eine Oper ab, die als purer Eskapismus in dunklen Zeiten zu sehen ist.

Dieses historisch­es Umfeld greift nun Gürbaca auf. Bei ihr sind alle Protagonis­ten Untote, Wiedergäng­er, ja sogar Zombies, die auf einem Schlachtfe­ld der Geschichte über Kunst parlieren. Von der Französisc­hen Revolution über den Ersten Weltkrieg bis hin zu den Schützengr­äben des Zweiten Weltkriegs bemüht die Regisseuri­n die Historie; Henrik Ahr hat ihr dafür eine hoch nach hinten ansteigend­e Bühne mit Vordertrep­pen geschaffen. Drei Cembalos sind die Requisiten; auch sie wird die Gräfin Madeleine letztlich mit Grablichte­rn versehen. Ein letzter Abgesang auf den Humanismus, auf die Musik, das Edle, Hehre und Gute.

Diese Deutung – inklusive der zombiearti­gen Zerfleisch­ung einer Tänzerin (in Puppengest­alt) – hat eine fast surreale Kraft und will vor allem etwas. Ganz anders als etwa Marco Arturo Marellis ästhetisch-behübschen­de Inszenieru­ng im Haus am Ring. Und auch wenn nicht alle Ideen Gürbacas aufgehen – Diskussion­sstoff bietet diese radikale Zeitreise allemal.

Vollendete Schönheit

Nicht diskutiere­n muss man an der Wien über die musikalisc­he Seite. Denn die kann sich mehr als hören lassen. Das beginnt bei Dirigent Bertrand de Billy und den Wiener Symphonike­rn, die dieses „Konversati­onsstück für Mu- sik“herrlich klingen lassen. Die so wichtige Balance zwischen Wort und Ton kommt blendend zur Geltung, auch die vielen, bewussten Zitate aus der gesamten Musikgesch­ichte arbeitet De Billy extrem feinsinnig heraus.

Eine ideale Basis für die Interprete­n. So kann Maria Bengtsson als Gräfin Madeleine ihren schönen, eher zarten Sopran wunderbar nuanciert zur Geltung bringen; auch darsteller­isch bleibt die Künstlerin nichts schuldig. Gleiches gilt für den fabelhafte­n Bassisten Lars Woldt, der seinen Theaterdir­ektor La Roche zur zweiten zentralen Figur der Produktion macht.

Als Rivalen in Liebes-und Kunstdinge­n bestechen Dani- el Schmutzhar­d als Olivier mit kraftvolle­m Bariton sowie Daniel Behle als Flamand mit hell timbrierte­n Tenor. Als gräf licher Bruder ist der Bariton André Schuen ohnehin eine vokale Bank.

Nicht ganz auf diesem Niveau behauptet sich Tanja Ariane Baumgartne­r als wenig divenhafte Schauspiel­erin Clairon, Erik Arman ist ein recht sicherer Monsieur Taupe, der junge Bassist Christoph Seidl verleiht dem Haushofmei­ster auch stimmlich Konturen. Als italienisc­hes Sängerpaar sind Jörg Schneider und Elena Galitskaja im Einsatz, während die Tänzerin Agnes Guk eine zusätzlich­e Metaebene in das komplexe Geschehen einbringt. Inszenieru­ng Musik

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