Kurier

Ein Meisterstü­ck ins Blaue hinein

Leicester. Wie eine englische Stadt mit ihrem Fußballver­ein den Weg aus der Mittelmäßi­gkeit gefunden hat

- Tels.uk.com. ho-

Der Fan hat sich die Farben von Leicester City ins Gesicht gemalt. Fahne und blau – man muss nicht bösartig sein, um zu behaupten, dass das gestern auf etliche Fans zugetroffe­n hat. Das vorletzte Spiel der Saison war eine Starparade, die EvertonSpi­eler standen für die Überrrasch­ungsmeiste­r Spalier.

Endlich durfte auch Vardy wieder zur Party – und er zündete den ersten Kracher. 1:0 nach nur vier Minuten. Der Stürmer und Publikumsl­iebling hatte wegen einer Sperre in den letzten beiden Partien gefehlt. Das Match drohte dahin zu plätschern, der Regen wurde stärker. Andy King heizte aber mit dem 2:0 die Stimmung wieder an. Zur Pause hörte dann auch der Himmel auf zu weinen – wahrschein­lich hatte er es aus Freude getan. Vardy schoss einen Elfer zum 3:0 und seinem 24. Saisontor ein und verschoss einen weiteren.

Der Triumphzug

Das 1:3 von Mirallas kurz vor Schluss war ein vernachläs­sigbarer Makel. Die Spieler bekamen ihre Medaillen, stellten sich auf ein Podium. Und dann war es so weit: Kapitän West Morgan stemmte den Pokal um 19.40 Uhr englischer Zeit in den Himmel. Drei Minuten später war Christian Fuchs dran, es ist der erste Meistertit­el in der Karriere des Teamkapitä­ns.

Nach dem Spiel ging die Party in der Stadt weiter. Die Fans pilgerten in die Innenstadt, nur eine halbe Stunde braucht man zu Fuß vom Stadion ins Zentrum. Aber die Feiertage gehen weiter. Montag in einer Woche wird ein blauer Bus durch Leicester tuckern. Auf dem oben offenen Gefährt werden einen Tag nach dem letzten Meistersch­aftsspiel bei Chelsea die Spieler den Pokal zeigen.

Tickets für die Partie gegen Everton gab es schon seit einem Monat keine mehr. Die Kassen hatten geschlosse­n, auch im StadionFan­shop gab man w. o. 1500 Quadratmet­er Verkaufsfl­äche schauten aus wie ein Geschäft in der ehemaligen DDR nach einer Bananenlie­ferung – leergeräum­t.

Die Mannschaft aus der Stadt in den East Midlands, eine knappe Autostunde von Birmingham entfernt und mit dem Schnellzug aus London in etwas mehr als einer Stunde zu erreichen, hat als Underdog, der letztes Jahr fast abgestiege­n ist, die Großen des englischen Fußballs abeghänt und ist erstmals in der 132-jährigen Klubgeschi­chte Meister geworden.

Weg aus dem Mittelmaß

Der Fußballklu­b, aber auch die Stadt, bewegten sich bislang an der Wahrnehmun­gsgrenze. Leicester City hat nicht einmal einen Lokalrival­en, und die Stadt Leicester mit ihren 330.000 Einwohner hat nur 91 Hotels laut www.

Davon ist die Hälfte mehr als zehn Kilometer vom Zentrum entfernt. Touristen sieht man nur selten. Ein Besuch lohnte sich nicht. Das mittelalte­rliche Stadtzentr­um ist in den Fünfzigeru­nd Sechzigerj­ahren durch Bausünden zerstört worden. In den letzten Jahren ist aber viel gearbeitet worden, um der Stadt ein anziehende­s Inneres zu verpassen. Leere Schaufenst­er gibt es in Zentrumsnä­he kaum noch. Sikhs, Hindus und Moslems machen Leicester zu einer ethnisch bunten Stadt, zur ersten in England, in der die Mehrheit der Einwohner dunkle Hautfarbe hat. Die Mannschaft ohne große Stars ist das Spiegelbil­d der multiethni­schen, engagierte­n Gesellscha­ft. „Die Spieler machen uns mit ihrer Leidenscha­ft stolz“, sagt Fan Frank.

Letztes Jahr wurden die Gebeine von Richard III. in der Kathedrale beigesetzt. Die Überreste des 1485 verstorben­en Monarchen waren 2012 unter einem Parkplatz im Zentrum der Stadt entdeckt worden. Richard III. war gar kein solcher Schurke, wie ihn Shakespear­e in seinem Werk darstellt. Und Leicester ist nicht so schlecht, wie es oft gemacht wurde. Seit Richard in der Kathedrale seine Ruhe gefunden hat, geht es mit dem Klub aufwärts. Dieser Tage ist es aber vorbei mit der Ruhe.

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